Es schneielet, es beielet…

Der Winter ist dort, wo er hingehört. Am 1. Advent. Im Dezember. Ein Lichtlein brennt. Ich mag es, wenn die Natur das Geschwätz der Menschen ignoriert und einfach ihr Ding macht.
Ein paar Zentimeter würde ich mehr wünschen. Hier in der Stadt braucht es schon ordentlich viel Schnee, um den Dreck und das Grau zu übertünchen. Am liebsten wäre mir, wenn alle parkenden Autos zugeschneit wären, und die Räumfahrzeuge nicht mehr hinterherkämen mit dem Räumen der Straßen. Und die Klimakleber müssten sich nicht mehr festkleben, sondern sie würden auf den Straßen festfrieren. Aber okay, das wird nicht passieren…
Ich sitze am Schreibtisch umhüllt von einer Kuscheldecke. Die Heizung drehe ich nicht auf. Laut Zimmerthermometer sind es noch 19°C. Die Heizungsrohre liegen über Putz und strahlen normalerweise genug Wärme in die Räume ab, so dass ich die letzten Winter kaum heizte. Sowieso bin ich nicht der Verfrorenste. Es ist halt eine Umstellung, wieder mit mehr Schichten Klamotten die Tage zu begehen. Wie jedes Jahr. Nach ein paar Jahrzehnten sollte man sich daran gewöhnt haben. Als Kind war ich in den Schnee verliebt. Wenn ich morgens aufwachte und blickte in eine weiße Winterlandschaft, war das für mich ein Wunder. Ich freute mich, als hätte ich Geburtstag und konnte es nicht erwarten, hinaus in den Schnee zu gehen. Auch heute kann ich mich der Faszination der weißen Pracht nicht entziehen. Aber die Schneeabenteuer wurden viel seltener… Es ist nicht mehr dasselbe schöne Weiß. Das Märchen stirbt im Dreck der Städte und Straßen. Jeden Tag, jede Stunde werden wir Menschen seelenloser… Kälter als die Kälte im Winter ist unsere Seelenlosigkeit.

Sonntagmorgen

Seit einer Stunde Hubschrauber-Geknatter über Berlin. Ich schätze wegen des Selenskyj-Besuchs.

Ich sitze wie jeden Sonntagmorgen am Schreibtisch und drehe Däumchen.

Der Blick aus dem Fenster zeigt mir: Heiter bis wolkig. Ich lasse Luft in die Bude.

Es ist Muttertag.

In Bremen wird gewählt. Wird wohl wieder Rot-Rot-Grün.

Und in der Türkei wird gewählt. Ob es Erdogan nochmal macht? Die Mehrheit der Deutsch-Türken sind Erdogan-Wähler.

Noch 3 Arbeitstage und ich habe gut 2 Wochen Urlaub. Warum bin ich nicht entspannter?

Ich süffele an meinem ersten Drink.

Das Internetradio spielt Evergreens aus den Sparten Rock, Blues und Soul.

Das Hubschrauber-Geknatter hat aufgehört.

Im Haus alles friedlich. Noch sind nur wenige Menschen unterwegs.



Genaugenommen hätte ich es mir sparen können

Die Bayern gewannen gegen die Hertha, was abzusehen war. Trotzdem hofften fast alle in der Kupferkanne auf ein Wunder. Immerhin stand es bis zur Halbzeitpause noch 0:0.
Ich süffelte an meinem Bier und glotzte aufs Spiel. Stinkender Zigarettenrauch zog an mir vorbei hin zur Eingangstüre, die offen stand. Gabi hatte viel zu tun. Die Kneipe war gut gefüllt. Necip, der Wirt, saß wie üblich am Tisch mit einer Tasse Kaffee. Er konnte zufrieden sein. Gabi bedeutete ihm, dass ein Fass leer war. Behände sprang er auf, um im Keller ein neues anzustechen. Er ist flink wie ein Wiesel, wenn es ums Geschäft geht. Sowieso zeigt er sich gern als Macher, der alles im Griff hat. Ich nehme es ihm nicht übel. Eine Kneipe zu führen ist sicher kein Zuckerschlecken.
Ich ging ein paar Minuten vor Spielende. Ich fühlte mich nicht wohl in dem Kabuff voller Menschen, die mich eigentlich nichts angingen. Draußen sprang mir ein sonniger Tag entgegen.

Sonntagmorgen

Ich träume von einem Zeitreisenden, der mir erklärt, dass es das Raumschiff Enterprise aus der TV-Serie Star Trek wirklich geben wird. Ich überlege, wie ich daraus eine Geschichte konstruieren kann, komme aber nicht weit. Die Blase drückt. Verschlafen schaue ich zum Wecker. Die Nacht ist vorbei, also fast. Noch ist nicht hell. Nachdem ich mich zur Toilette und zurück bewegt habe, lege ich mich wieder hin. Ich weiß, dass ich nicht mehr einschlafen werde. Das Tablet steht auf einem leeren Schuhkarton meiner Exfreundin neben dem Bett. (Der hat genau die richtige Höhe.) Ich schalte das Tablet ein und durchforste YouTube. Ich suche Bestimmtes. Bereits früh am Morgen läuten Die Achse des Guten sowie Kontrafunk den Sonntag mit teils interessanten Gesprächsrunden ein. Ich tauche in die unendlichen Weiten des Gesprächsraums ein, lasse mich von den Stimmen und Meinungen berieseln. Zeitreisender müsste man sein. Ich würde gern 50 Jahre in die Zukunft reisen und schauen, wohin sich unsere Welt entwickelt, speziell die deutsche Gesellschaft. Entweder schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen, oder ich kehre beruhigt in die Gegenwart zurück mit dem Wissen, dass alles nicht so schlimm kommt, wie man befürchten könnte. Zweiteres wäre mir lieber. Ich habe keinen Bock auf Dramatik am Lebensende. Ich habe keinen Bock auf Krieg und politische Unruhen. Ich will die paar Jahre, die ich noch habe, in Frieden mit meinen Mitmenschen verbringen, möglichst angstfrei.
Genaugenommen sind wir alle Zeitreisende, sinniere ich, wir reisen von Tag zu Tag in die Zukunft…
Durch den Vorhang scheint erstes Tageslicht. Es hält mich nicht mehr im Bett. Ich bin Käpt’n Kirk und gebe Scotty die Zielkoordinaten durch. „Energie“, füge ich kurz und knapp hinzu, und Scotty im Maschinenraum antwortet: „Ei, ei, Käpt`n.“ Ich erhebe mich ächzend und taumele zum Fenster. Der Himmel über Berlin ist gleichmütig grau.

Aus einem fahrenden Zug steigt man besser nicht aus

Die Sonntagsonnenstrahlen schwingen sich aufs Ross und reiten mit glitzernder Rüstung die Straßen rauf und runter. Kampflos fällt die Stadt. Die Menschen ergeben sich, treten vor die Tür und begrüßen die Ritter der Sonne mit einem Lächeln.
Ich öffne die Fenster und dehne mich im Türrahmen. Ich laufe unruhig von Zimmer zu Zimmer. Ich fixiere den unanständig blauen Himmel über dem Hinterhof. Kühlschrankkälte fällt an mir vorbei in die Wohnung…

E-Mail von der Ex

Eine E-Mail meiner Ex verhagelt mir den Sonntagmorgen. Ich soll ihr bitte einen Brief von der RV nachsenden, der wohl fälschlicherweise an ihre alte Adresse bei mir geschickt wurde. Ich antworte knapp. Danach lösche ich ihre Mail aus dem Posteingang. Allein der Anblick ihres Namens reizt die alte Wunde. Um mein Herz wird`s mir schwer. Natürlich sende ich ihr diesen Brief, sobald er bei mir angekommen ist…, am besten so schnell wie möglich. Wenn ich diese Frau schon nicht ganz aus meinen Erinnerungen tilgen kann, will ich wenigstens jegliche Berührungspunkte mit ihr in meiner Gegenwart und Zukunft vermeiden. Oder anders ausgedrückt: Sie soll bleiben, wo der Pfeffer wächst! … Ich weiß, sie musste wegen dieses verdammten Briefes mit mir Kontakt aufnehmen. Am Besten bereite ich schon mal den Briefumschlag mit ihrer aktuellen Adresse vor.

Im Haus ist alles ruhig. Viele schlafen in den Sonntag hinein. Ich höre Musik aus meiner Mediathek. Der Lieblingsbluessender hat Sendepause. Schon den zweiten Tag. Ich sitze im Düsteren. Die Sonne verbirgt sich hinter einer dichten Wolkendecke. Das Kopfsteinpflaster glänzt feucht. Ich reibe mir die Augen. Sie sind noch verklebt von der Nacht. Ich sitze fest auf einem Ödland. David Bowie singt „Love Is Lost“.

 

Ein Wiedersehen

Unwillkürlich kniete ich mich neben Karl-Heinz, der im Rollstuhl saß. Seine Augen groß und matt im blassen Gesicht, sein Körper ausgezehrt. Er gehört zu den alten Stammis im Pub. Ich drückte seine Hand und umarmte ihn. Ich verstand kaum, was er sagte, nur, dass er wohl lange im Krankenhaus gewesen war. Er lächelte mich an, guter alter Karl-Heinz… vom Tode gezeichnet.
Pünktlich zum Marathon-Event schien die Sonne. Der unausweichliche Abschied vom Sommer legte eine kleine Pause ein – gut für die Besucher des Pubs, gut für die Musiker, die neben uns wunderbar aufspielten, gut für die Läufer… Die Profis waren längst im Ziel. Es folgte die langgezogene Masse der Freizeitläufer, die mitmachten, um mal dabei gewesen zu sein, oder um sich selbst etwas zu beweisen, oder vor Familie und Freunden anzugeben.
Ich freute mich über die vielen bekannten Gesichter. Fast ein Jahr lang hatte ich das Pub nicht mehr besucht. Aber man kannte sich noch. Ein schönes Wiedersehen. Im Sommer saß es sich vor der Kupferkanne besser als an der verkehrsreichen Potsdamer Straße. Es ist auch die Frage, wie eng ein Wirt die Corona-Regeln auslegt. Dahingehend muss ich Puschel noch auf den Zahn fühlen. An diesem herrlichen Sonntag verlor niemand ein Wort darüber.

    

Ich finde mich kacke

O Mann! Es gibt nichts schönzureden. Kurzentschlossen nahm ich die Haarschneidemaschine aus ihrem Futteral und machte, was längst überfällig war. Besser wie ein kurzgeschorener Idiot aussehen als wie ein Zausel. Mit dem Trost in der Hinterhand: Sie wachsen wieder. Und ich muss ja nicht so oft in den Spiegel schauen… Vielleicht sollte ich erstmal ausschließlich Homeoffice machen.
Anfühlen tut sich mein kurzgeschorenes Haar schön flauschig… Ich streiche mir mehrmals mit der Hand über den Kopf. Angenehme sinnliche Erfahrungen sind für einen Alleinlebenden immens wichtig: zärtliche Selbstberührungen oder sich selbst tätscheln.

Die Morgensonne lacht. Irritiert blinzele ich in den Tag. Vom Schnee sind auf der Straße nur noch krustige, schmutzige Inselchen übrig. Der Himmel tiefblau über Berlin…

  

Lieber einen Sprung in der Platte als gar keine Platte

Es verging einige Zeit, bis im Universum biologische Lebensformen im Pool der Möglichkeiten auftauchten. Damit auch die Lebensform, die sich Mensch nannte und sich anschickte, seiner Unbedeutsamkeit zu entfliehen, sich auf seinem Heimatplaneten zur Krönung der Schöpfung kürte und lange glaubte, alles würde sich um ihn, den Homo sapiens, drehen…  Veni, vidi, vici.
Tja, das Universum bringt nicht nur sympathische Erscheinungen hervor. Ein Kommen und Gehen.
Ich sitze in der Sonntags-Tristesse fest. Der Tag zeigt sich grau und düster. Nur wenige Spaziergänger vorm Fenster… Wie ich als Kind die Sonntagsspaziergänge hasste! Ich ließ mich in meiner Bockigkeit immer weiter hinter den Eltern zurückfallen, bis meine Mutter genötigt war, nach mir zu schauen… Lange ist`s her. Ein halbes Jahrhundert. 50-mal flitzte die Erde um die Sonne. Dabei legte ich 50 x 940 Millionen Kilometer zurück. Ganz ohne blöde Sonntagsspaziergänge… Aber was bedeuten schon Zahlen? Ich könnte auch ausrechnen, wie viel Liter Bier ich in den letzten 50 Jahren trank, oder wie viele Fischbrötchen ich aß. Zumindest überschlägig.
Nein, das mache ich jetzt nicht.  
Heute ist so ein Tag, an dem ich froh wäre, wenn ich ins Pub gehen könnte: Den Wirt grinsend begrüßen. Mit ihm einen Korn trinken und seinen Geschichten lauschen. Und Thorsten zapft mir selbstverständlich ein Bier, und fragt in seiner stoischen Art, wie`s mir geht. Und ich nicke und sage: „Na ja. Schön, mal wieder hier zu sein.“


Hatschiii!

Über mir zog ein junges Paar mit Kleinkind ein. Gerade hörte ich sie im Treppenhaus, als die Mutter mit dem Kinderwagen die Stufen hinunterpolterte. „Rumms, rumms, rumms…“ Das Kind scheint brav zu sein. Selten höre ich es schreien oder weinen… Der Tag beginnt trübe. Ohne Schreibtischlampe würde ich die Tastatur kaum erkennen. Ich tippe so vor mich hin… als klimperte ich auf einem Piano Versatzstücke von Melodien, planlos… Für die Gemütlichkeit könnte ich ein paar Kerzen anzünden. Der Sonntag-Blues – O Yeah! Morgen winkt mal wieder ein Bürotag. Ich werde ein paar der Hühner wiedersehen. Schön, schön. Trotzdem wird die Zeit mit der Tumordokumentation lang werden. Schon komisch das alles (Leben, Welt und Trallala). Heute Morgen nach dem Aufstehen hatte ich das Bild vor Augen, dass das Nichts nieste und damit die Welt erschuf… Ich muss oft niesen, vor allem, wenn ich ins Büro komme oder vom Kalten ins Warme. Wer weiß, warum das Nichts niesen musste. Kinder entstehen auch durch eine Art Niesen. Der Penis des Mannes niest in die Muschi der Frau. Und schon nimmt das Elend seinen Lauf…