Ich blicke nicht durch

Auf der Arbeit wird alles komplizierter. Bald übertreffen die Dokumentationsregeln die medizinische Komplexität der Tumoren. Als einfacher Dokumentar verliere ich den Überblick. Bleibt die Hoffnung, dass die „Generäle“ den Überblick bewahren.

Der Krieg in der Ukraine wird fortgeführt, bis irgendwann Munition und Soldaten ausgehen werden. Jeder Kriegstreiber (im Westen wie im Osten) hat morgens nach dem Aufwachen und abends vor dem zu Bett gehen 10 Ohrfeigen verdient… Die Dosis ist nach oben offen.

Ich könnte mich manchmal selbst ohrfeigen, aber aus anderen Gründen.

Und schließlich die alles entscheidende Frage: Warum feuerte der FC Bayern Julian Nagelsmann?

Von den Straßen

Wir spielten in den Gassen. Die Straßen brachten uns zur Schule. Die Straßen wuchsen mit uns. Niemand sagte uns, wohin; wir sollten einfach den Straßen folgen. Ein Stehenbleiben war nicht gern gesehen. Wer gar rückwärtsging, wurde umgestoßen, beschimpft oder ausgelacht. Ich suchte ein Versteck. Ich wollte nicht ständig vorwärtsgeschubst werden. Die Kneipe war lange Zeit mein Versteck. Nur weg von den Straßen, dachte ich. Es waren nicht meine Straßen.

Es war gestern und ist doch heute

Zittern vor Kälte oder vor Liebe

die Kälte einer Frau
nachdem ich sie spüren durfte
auf einer Wiese pflücke ich Blumen
für den Muttertag
wie schnell sie welken
gestern waren wir noch wir
heute nur noch ich und du
der Hader trieb sich um
in unseren Seelen
die Kälte
das ist die Eiszeit unserer Empfindungen
erfroren in den Gedanken
ich liebte dich
in dieser Kathedrale
die ich für die Ewigkeit baute
und heute sehe ich die Ruine
auf den Mauern
moosbewachsen
liege ich nur noch
als Träumer und bete für eine bessere Welt
für gute Menschen
mein Knochengerüst juckt
auf dem harten Untergrund

du erzählst mir Geschichten
die unsere Liebe unmöglich machen
es sind die Argumente der Politiker
die ich tagtäglich in den Foren
der Medien höre
auf den schwarzen Steinen
ihrer Vernunft
die Adern in Marmor gegossen

ich muss nachgeben
weich will ich sein
damit sich alles in mich ergießt
es war ein schöner Augenblick mit dir

29.09.2004

Von Erwartungen

Als ich ein Baby war, erwartete ich fast nichts… Als Kind wurde ich süchtig nach Spielsachen und Süßigkeiten. Ich erwartete von meinen Eltern, dass sie Spielzeug und Süßigkeiten für mich kauften. Als ich zum Teenager heranreifte, räumte ich die Spielsachen unters Bett. Ich war überwältigt von für mich neuartigen Erwartungen.  Die hatten etwas mit Mädchen zu tun. Als junger Mann war ich ein Spielball meiner Hormone. Ich war lange ein junger Mann… Gewissermaßen bin ich es heute noch. Aber der Trieb ließ nach. Was für ein Leben hatte ich erwartet? Ich wollte nie eine Familie gründen. Schule und Berufsausbildung empfand ich als Zwang. Ich verstand das Leben nicht. Es wurde mir aufgestülpt. Vielleicht lernte ich auch nie die Richtige oder das Richtige für mich kennen. Scheiß drauf… Ich landete früh an der Flasche. Es tut mir leid, liebe Leute, dass ich mein Leben derart vergeudete. Ich verstehe es selbst nicht. Nichts verstehe ich. Warum ist die Welt, wie sie ist?
Am liebsten würde ich alle Erwartungen in mir abtöten.

Sonntagmorgen

Ich träume von einem Zeitreisenden, der mir erklärt, dass es das Raumschiff Enterprise aus der TV-Serie Star Trek wirklich geben wird. Ich überlege, wie ich daraus eine Geschichte konstruieren kann, komme aber nicht weit. Die Blase drückt. Verschlafen schaue ich zum Wecker. Die Nacht ist vorbei, also fast. Noch ist nicht hell. Nachdem ich mich zur Toilette und zurück bewegt habe, lege ich mich wieder hin. Ich weiß, dass ich nicht mehr einschlafen werde. Das Tablet steht auf einem leeren Schuhkarton meiner Exfreundin neben dem Bett. (Der hat genau die richtige Höhe.) Ich schalte das Tablet ein und durchforste YouTube. Ich suche Bestimmtes. Bereits früh am Morgen läuten Die Achse des Guten sowie Kontrafunk den Sonntag mit teils interessanten Gesprächsrunden ein. Ich tauche in die unendlichen Weiten des Gesprächsraums ein, lasse mich von den Stimmen und Meinungen berieseln. Zeitreisender müsste man sein. Ich würde gern 50 Jahre in die Zukunft reisen und schauen, wohin sich unsere Welt entwickelt, speziell die deutsche Gesellschaft. Entweder schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen, oder ich kehre beruhigt in die Gegenwart zurück mit dem Wissen, dass alles nicht so schlimm kommt, wie man befürchten könnte. Zweiteres wäre mir lieber. Ich habe keinen Bock auf Dramatik am Lebensende. Ich habe keinen Bock auf Krieg und politische Unruhen. Ich will die paar Jahre, die ich noch habe, in Frieden mit meinen Mitmenschen verbringen, möglichst angstfrei.
Genaugenommen sind wir alle Zeitreisende, sinniere ich, wir reisen von Tag zu Tag in die Zukunft…
Durch den Vorhang scheint erstes Tageslicht. Es hält mich nicht mehr im Bett. Ich bin Käpt’n Kirk und gebe Scotty die Zielkoordinaten durch. „Energie“, füge ich kurz und knapp hinzu, und Scotty im Maschinenraum antwortet: „Ei, ei, Käpt`n.“ Ich erhebe mich ächzend und taumele zum Fenster. Der Himmel über Berlin ist gleichmütig grau.

Verpasst

Mal ist die Poesie ein Luftballon, mal ein Medizinball. Ich strecke meine Glieder am Türrahmen. Ich begrüße mein Fahrrad, das im Flur steht. Ich schiele hinaus, ohne richtig hinzusehen. Die Welt hat sich über Nacht nicht auf den Kopf gestellt. Auch ich… mutierte nicht, weder zu einem Käfer noch zu einem anderen Wesen. Alles ist gut. Wobei ich schon gern verjüngt aufwachen würde, wenigstens um ein paar Jahre. Nicht mein ganzes Leben soll sich zurückdrehen – um Gottes Willen, nein! Ich möchte nur ein wenig an der Vergänglichkeitsschraube drehen. Die Selbstverliebtheit leidet doch sehr, wenn ich morgens beim Blick in den Spiegel mit dem Sieg der Schwerkraft konfrontiert werde. Allein schon die Ohrläppchen. Einst liebte ich meine Ohren. Andere Körperteile atrophieren komischerweise. (Ich will hier nicht näher darauf eingehen.) Die Verwandlung findet nicht über Nacht statt. Lange Zeit ignorierst du sie. Eines Morgens dann schaust du in den Spiegel und schreist: What the Fuck?!

In meiner Jugend hörte ich den Spruch „Das Leben ist wie eine Hühnerleiter – kurz und beschissen“, und wir lachten. Heute lache ich nicht mehr.
Genaugenommen ist das Altwerden ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Danke lieber Gott, oder wie ich dich nennen soll. Du musst ein Perversling sein. Bist du süchtig nach Gammelfleisch?!
Wozu das alles?

Ich sitze wie jeden Sonntagmorgen am Schreibtisch, höre Musik und schreibe. Ich laufe in den Tag hinein, ohne zu laufen. Ich denke, ohne zu denken. Ich atme, ich schwitze, und merke es nicht. Ich sehe meine alternden Hände über die Tastatur huschen. Ich würde gern Luftballons steigen lassen.

Was sagen mir die Sterne?

Glück ohne Schmerz ist nicht denkbar. Es sieht so aus, als wäre das Glück von einer Corona des Schmerzes umgeben. Geburt und Tod umschließen das Leben. Der Weg zum Sieg ist von Niederlagen gepflastert. Das Glück der Liebe hängt am seidenen Faden. Jeglicher Reichtum wird zur Last. Das Aufglühen des Seins versinkt in der Nacht. Ich laufe gegen viele Wände, bevor ich einen Ausweg finde. Die Schönheit verblüht. Ich versacke im süßen Schmerz der Melancholie. Was sagen mir die Sterne? Ich öffne mein Herz und fühle nichts. Ich lasse mich von einem Tag in den nächsten fallen. Bin ich noch am Leben, wenn es nichtmalmehr weh tut? Warum weine ich, wenn ich nichts empfinde?
Ich werde immer auf dem Heimweg sein, vorbei an offenen und geschlossenen Türen. Wenn ich doch wüsste, was ich suche. Vielleicht ist mein Zuhause zu weit weg, oder es ist einfach da, wo ich gerade bin. Ich sollte glücklicher sein. Ständig laufe ich an mir selbst vorbei.

Es war gestern und ist doch heute (30)

Der Schrei(b)er

Die Straße glänzt mattgrau. Es regnet.
Der Kinderwagen hat ein Nummernschild und einen Benzinmotor.
Menschliche Formen kriechen über den Erdboden, entblößt,
die Strömung reißt sie in den Abgrund,
Hände, klammernd am Kanaldeckel, Gefühle werden weggeschwemmt.
Ein Mann geht nach Hause zum Abwasch,
eine Frau bedient den Presslufthammer.
Kinder sind Verbrecher.
Das Paradox wird zur Norm.
Ich sehe, was du hörst,
ich rieche, was du siehst,
ich fühle dich, du Biest.
Der Schreiber ist verwirrt, er wird abnorm.
Hat er die Abnormität erst erreicht, kann er sie nicht mehr beschreiben.
Ich möchte nicht schreiben,
ich möchte schreien!
Die Persönlichkeit verwächst mit dem Geschriebenen,
Gedanken fließen aufs Papier und versickern.

(1981)

Weiß der Teufel

Hallo ihr lieben Sackgesichter, diesseits und jenseits des Jordans. Ich hoffe, ihr habt regelmäßig Stuhlgang und keinen Mundgeruch. Mundgeruch ist ein echter Liebestöter. Ihr kennt das Wort Liebe sicher noch. Ich habe es nämlich vergessen. Da war mal was… Wenn ich mich verliebte, hatte ich meistens einen Schnupfen. Damals hieß das noch nicht Corona. Mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Die Welt beschleunigt von einem neuem Smartphone hin zum nächsten neuen Smartphone. Es wirken inzwischen 5G-Kräfte. Ich kralle mich am Schreibtisch fest – nicht, dass es mich hinaus ins Blödheitsuniversum schleudert. Ihr müsst wissen, ich bin mit 60 nicht mehr der Jüngste. Als ich geboren wurde, gab es in den meisten Haushalten nicht mal Transistorradios. Damals fand ich den technischen Fortschritt echt spannend. Die Amerikaner landeten auf dem Mond – war das nicht supergeil?! Es war eine gute Zeit. Ich ging sogar gern in die Schule. Ich erkannte in den ersten Jahren noch nicht, welche Tretmühle die Schule ist. Ich war ein Kind und fügte mich in die Gegebenheiten. Aber die Schlinge zog sich immer weiter zu um meinen Hals. Die Versagensängste wuchsen. Die Schule wurde zum Angst-Ort. Bald gehörte ich zu den Außenseitern. Wenn ich Glück hatte, bekam ich in einem Fach einen empathischen Lehrer, der nicht nur Hausaufgaben kontrollierte und Wissen abfragte, sondern mich über Wertschätzung zum Lernen motivierte. Diese Lehrer liebte ich. Sie trotzten wie ich der Hölle.  
Aber zurück ins Heute: Die Hölle von damals ist keine Vergangenheit. Sie nahm sogar an Geschwindigkeit auf. Das Blödheitsuniversum verschlingt uns. Wer rebelliert?

Die Leere

Die Leere blickt mich an durch die Autos, die am Straßenrand parken, durch die Fenster der Häuserfront gegenüber, durch meinen Badezimmerspiegel… Die Leere fließt durch die Straßen und Häuser der Stadt. Die Leere ist überall. Es bleiben Körper, Karosserien, Wohnungen, in denen niemand mehr lebt. Wir bilden uns nur noch ein, dass wir leben. Unsere Seelen schmelzen dahin wie Schnee. Wir huldigen der Leere. Ich wurde in die Leere hineingeboren. Die Zombies fraßen an meiner Seele. Ich flüchtete in die Einsamkeit.
Die Untoten beherrschen die Welt. Sie schütten leere Worte über mich. Ihr Lachen ist eine Schablone. Die Leere kann in jede Gestalt schlüpfen. Die Liebe entfernt sich von mir wie ein Schiff, das nicht zurückkommen wird. Ich schaue ihm hinterher. Ich schaue mir selbst hinterher.
Mir fehlen die Argumente, um die Untoten bloßzustellen. Ich bildete mir zu viel ein auf meine Empfindungen. Die Leere ist zu weit fortgeschritten.
Vielleicht ist die Leere das eigentliche Leben. Und ich bin weniger als nichts.