Gespräch mit dem Tod

Der Tod sagte mir kürzlich in einem vertraulichen Gespräch, dass er gern seinen Job wechseln würde. Selten sah ich den Tod derart traurig dreinschauen. Er hatte seine Arbeit echt satt.
„Geht mir ähnlich“, sagte ich und klopfte meinem alten Freund auf die Schulter, „immer nur Tumoren dokumentieren, stundenlang am Computer hocken…“
„Ja-ha-ha! Vom Altenpfleger zum Tumordokumentar. Du hättest in einen Bereich wechseln sollen, aus dem du mehr Lebensfreude schöpfen kannst.“
„Leicht gesagt, lieber Freund, aber die Rentenversicherung bezahlt nun mal nicht jede Weiterbildung. Wie dir anzusehen ist, hast du es mit deinem angestrebten Jobwechsel auch nicht gerade leicht. Was schwebt dir denn vor?“
„Ich wäre gern der Frühling!“ platzte es aus dem Tod heraus.
„Kann ich verdammt gut verstehen“, ich blickte in die leeren tiefen Augenhöhlen meines Freundes, „und wo liegt das Problem?“
„Na ja, dazu müsste der Frühling meinen Job machen. Und das will er nicht.“
„Hm, verstehe. Ihr könntet doch eine Vereinbarung treffen – alle paar Jahre hin- und herwechseln. Das fände ich gerecht. Und wenn sich diese Rochade bewährt, beteiligen sich vielleicht noch andere daran.“
„So dachte ich auch. Aber niemand will den Tod machen!“
Ich glaubte Tränen in den tiefen Augenhöhlen meines Freundes funkeln zu sehen.
„Fuck!“ entfuhr es mir.
„Du sagst es, ich habe die Arschkarte“, der Tod zog seine Kapuze zurück und rückte näher zu mir, „Lieber Freund“, begann er zögerlich, „… könntest du dir vielleicht vorstellen? – “
Mir war sofort klar, worauf er hinauswollte. Ich unterbrach ihn abrupt: „Ich dachte, du wolltest zum Frühling werden. Willst du etwa den lieben Tag lang Tumoren dokumentieren? Ich verstehe, du bist verzweifelt, aber überlege dir das gut.“
Mein Freund, der Tod, brach schluchzend zusammen. „Du hast recht. Ich muss ewig der Tod, das unbeliebte Arschloch, bleiben. Niemand mag mich…“
„Und ich? Bin ich nicht dein Freund? Ich weiß, welche Bürde auf deinen Schultern lastet. Dabei machst du nur, was dir aufgetragen ist. Rede nochmal mit dem Frühling. Er sollte ein Herz haben.“
Der Tod fuhr sich mit knöcherner Hand über seine leeren Augenhöhlen.
„Gebe nicht auf“, fügte ich bekräftigend hinzu.“
„Niemals werde ich aufgeben!“ der Tod erhob sich und lachte tönern, „niemals! … Lieber Freund, wie immer war es gut, mit dir zu reden. Du bist eine gute Seele. Und nun entschuldige mich. Ich muss zurück an meine Arbeit.“
Ich sah ihm nach, wie er über die Straße ging und an einer Tür klingelte. Was für eine Type, dieser Tod.

Es war gestern und ist doch heute (24)

GRAU SAM

Eine belebte Einkaufsstraße – lang, breit und grau.
Der Gestank von frischem Teer vermischt sich mit dem Duft von frischen Brötchen.
Viele, viele Menschen laufen – hohe Absätze, breite, niedrige, breite, schmale klappern über den Gehsteig. Der Gehsteig ist grau.
Sockenhalter im Angebot, Geschirrspülautomaten besonders preisgünstig, Rauschmittel im Ausverkauf – Flugtickets ins Schlaraffenland.
In den Häusern am Rande der Straße werden deine Wünsche und Begierden erfüllt. Die Häuser sind grau.
Dort wohnt er, der Seelenverkäufer. Er verkauft dich – er fängt dich und dann verschachert er dich. Das ist sein Geschäft. Du siehst ihn nicht? Nein? Er ist heimtückisch. Er hat dich in der Gewalt, ohne dass du es bemerkst. Er begleitet dich seit deiner Geburt. Sein Name ist GRAU SAM.
Siehst du ihn jetzt? Es hat geregnet. Die Straße ist nass.

(1980)  

Dicht dran – Lichtjahre entfernt

Der böse Russe verdrängt das böse Corona-Virus aus den Schlagzeilen. Ein Wintersturm jagt den nächsten. Ich sehe die Wolken fliegen und die kahlen Zweige der Stadtbäume sich wiegen. In der Nacht pfeift der Wind Lieder.

Der mittwöchendliche Bürotag gespickt mit kollegialen Plaudereien – herzerfrischend! Den Rest der Woche in der Homeofficeödnis, begleitet von TV-Geplapper.

Wie viele Lichtjahre liegen zwischen mir und der Welt da draußen? Wie nah bin ich mir selbst?    

Der Blick in den Kühlschrank zeigt an, dass ich einkaufen sollte. Nicht dass mir am Wochenende der Sprit ausgeht.

Aus einem fahrenden Zug steigt man besser nicht aus

Die Sonntagsonnenstrahlen schwingen sich aufs Ross und reiten mit glitzernder Rüstung die Straßen rauf und runter. Kampflos fällt die Stadt. Die Menschen ergeben sich, treten vor die Tür und begrüßen die Ritter der Sonne mit einem Lächeln.
Ich öffne die Fenster und dehne mich im Türrahmen. Ich laufe unruhig von Zimmer zu Zimmer. Ich fixiere den unanständig blauen Himmel über dem Hinterhof. Kühlschrankkälte fällt an mir vorbei in die Wohnung…