Zurück aus dem Kühlschrank

bei Nieselregen an der Mole warte ich auf den Zug

mit dem RE nach Hannover, umsteigen in den IC nach Berlin

an der Siegessäule vorbei nach Hause


Mein Kopf ist matschig. Ich fühle mich wie nach einer Narkose. Alles wirkt seltsam unwirklich. Ich blicke wie durch einen Schleier in einen Berliner Sonnentag.
Zurück aus dem windigen nordischen Kühlschrank.
Doch eins nach dem anderen. Erstmal auspacken und ankommen.

ES war Gestern und ist doch heute (34)

Eine Fahrradreise am ersten Tag ist so jungfräulich und reizend wie ein Teeniearsch. Noch unbeleckt. Wenn ich wüßte, was in den nächsten Tour-Etappen auf mich zukommt, würde ich, glaube ich, den Rückwärtsgang einlegen.
Letztlich macht es die Mischung: das langsam aufkommende Gefühl „on the route“ zu sein, den schnöden Alltag hinter sich zu lassen, die vielen schönen Sinneseindrücke während der Fahrt, die Bierpausen, die befriedigende Erschöpfung am Ende eines Tour-Tags, die Bewältigung von Schwierigkeiten, das An-die-Eigenen-Grenzen-Gehen, die Tagträumerei, Einsamkeit, Wut und Verzweiflung – und sich doch wieder Aufraffen! Ich mag da jetzt gar nicht ins Detail gehen. Wie man so schön sagt: der Mensch wächst mit seinen Aufgaben – auch mal über sich hinaus. Der Alltag bietet mir dies nicht. In dem fühle ich mich eher wie in einer Zwangsjacke. Oder ich erlebe ihn als abgestandenes Brackwasser, miefig wie über mehrere Tage getragene Unterwäsche.
Apropos Mief: der verwandelt sich auf einer solcher Reise in den Duft von Abenteuer und Freiheit.

(2011)

Fahrkartenkauf am Vatertag

Mein Zug geht schon kurz vor 8 am Sonntag. Alle späteren Züge nach Hamburg hatten keinen freien Fahrrad-Stellplatz. Ich fahre mit einem IC, damit ich nicht umsteigen muss. Kurz nach 10 werde ich bereits in Hamburg aufschlagen – also falls alles klappt. Meine größte Sorge ist immer das Einsteigen mit Fahrrad und Gepäck. Das kann stressig werden und wehtun. Hilfe vom Bahnpersonal erhält man selten.

Nach dem Fahrkartenkauf war ich noch auf ein Bier in der Kupferkanne. Necip grillte, d.h. sein Schwiegersohn stand am Grill. Der Laden brummte. Die ganze Familie war im Einsatz. Die Tische vor der Kneipe waren alle besetzt, also begab ich mich an die Bar und betrachtete von Drinnen die Kulisse. Rose, die hinter der Bar stand, war ganz schön im Stress. Bald hatte ich mich sattgesehen. Ich fand niemanden zum Plausch. Mit einem Steak und einer Wurst im Gepäck machte ich mich auf den Heimweg.

Hamburg – Borkum

Den letzten Arbeitstag vorm Urlaub verbrachte ich im Homeoffice. Es wird Zeit, dass ich das Reisefahrrad aus der Kammer unter dem Treppenaufgang hole. Es wird Zeit, dass ich mich um das Ticket nach Hamburg kümmere. Dann gilt es noch ein paar Dosen Bier zu kaufen, damit ich am Abreisetag (wahrscheinlich Sonntag) nicht verdurste. Nach Wettervorhersage soll es erstmal nicht regnen. 10 – 12 Tage plante ich für die Reise ein. Ich zähle auf einer Tour nie die Kilometer. Ich orientiere mich an der Rad Karte und spähe von Tag zu Tag das Etappenziel aus. Am Ende sollte ich auf der Insel Borkum landen. Zurück geht`s dann von Emden aus mit dem Zug.
Obwohl ich solche (und größere) Fahrradreisen seit über 20 Jahren fast jährlich unternehme, bin ich doch jedes Mal davor ein wenig angespannt. Die Lockerheit ergibt sich erst, wenn ich auf dem Sattel sitze und vor mich hin strample. Aus eigener Kraft lasse ich die Kilometer hinter mir. Ich bin unterwegs unterm Himmelszelt. Ich blicke auf die Vielfältigkeit der Landschaft und Orte. Ich verschmelze mit allem. Ich atme die Freiheit.

Sonntagmorgen

Seit einer Stunde Hubschrauber-Geknatter über Berlin. Ich schätze wegen des Selenskyj-Besuchs.

Ich sitze wie jeden Sonntagmorgen am Schreibtisch und drehe Däumchen.

Der Blick aus dem Fenster zeigt mir: Heiter bis wolkig. Ich lasse Luft in die Bude.

Es ist Muttertag.

In Bremen wird gewählt. Wird wohl wieder Rot-Rot-Grün.

Und in der Türkei wird gewählt. Ob es Erdogan nochmal macht? Die Mehrheit der Deutsch-Türken sind Erdogan-Wähler.

Noch 3 Arbeitstage und ich habe gut 2 Wochen Urlaub. Warum bin ich nicht entspannter?

Ich süffele an meinem ersten Drink.

Das Internetradio spielt Evergreens aus den Sparten Rock, Blues und Soul.

Das Hubschrauber-Geknatter hat aufgehört.

Im Haus alles friedlich. Noch sind nur wenige Menschen unterwegs.



Von Seite zu Seite

Ich schreibe ab von einem Buch, das täglich vor mir liegt. Nicht immer kann ich die Schrift gut entziffern. Meine Sehkraft lässt langsam nach. Und manchmal kommt mir das Buch so schwer vor, dass ich es gar nicht erst aufschlagen will. Das Buch nennt sich mein Leben. Jeder Tag eine Seite. Die Story ist alles andere als spannend. Und dann diese elend langen philosophischen Monologe. Am liebsten würde ich einige Seiten überspringen. Warum passiert nicht mal wieder was Entscheidendes? Viele Bücher haben diese Hängepartien, wo es nicht weitergehen will. Ich befinde mich gerade in einer, in etwa auf Seite 22.000. So genau kann ich es nicht sagen. Ich sehe aber, dass ich inzwischen um einiges über die Mitte des Buches hinaus bin. Hoffentlich zieht sich das Ende nicht zu sehr.

Viel mehr ist heute nicht drin. Es ist Samstag, der 13. Mai 2023, nach der Zeitrechnung, die mein Leben taktet. In Berlin scheint die Sonne. Köln gewann gestern Abend 5:2 gegen Hertha. So ist das Leben. Wozu sich das Ganze angucken, wenn man schon vorher weiß, wie mies das Ergebnis wahrscheinlich ausfällt?
Von Verlierer zu Verlierer sage ich: „Macht weiter Jungs. Das Buch wird erst nach der letzten Seite zugeklappt.“