Fahrkartenkauf am Vatertag

Mein Zug geht schon kurz vor 8 am Sonntag. Alle späteren Züge nach Hamburg hatten keinen freien Fahrrad-Stellplatz. Ich fahre mit einem IC, damit ich nicht umsteigen muss. Kurz nach 10 werde ich bereits in Hamburg aufschlagen – also falls alles klappt. Meine größte Sorge ist immer das Einsteigen mit Fahrrad und Gepäck. Das kann stressig werden und wehtun. Hilfe vom Bahnpersonal erhält man selten.

Nach dem Fahrkartenkauf war ich noch auf ein Bier in der Kupferkanne. Necip grillte, d.h. sein Schwiegersohn stand am Grill. Der Laden brummte. Die ganze Familie war im Einsatz. Die Tische vor der Kneipe waren alle besetzt, also begab ich mich an die Bar und betrachtete von Drinnen die Kulisse. Rose, die hinter der Bar stand, war ganz schön im Stress. Bald hatte ich mich sattgesehen. Ich fand niemanden zum Plausch. Mit einem Steak und einer Wurst im Gepäck machte ich mich auf den Heimweg.

Hertha gewann gegen Stuttgart 2 : 1, und ich verpasste es

Eigentlich wollte ich das Spiel in der Kupferkanne sehen. Aber wie das so ist, wenn man bequem zuhause rum hockt. Gegen Mittag verfolgte ich einen Teil der Krönungszeremonie in England. Charles und seine Frau Camilla wurden kiloschwere Krönchen aufgesetzt, was sich ziemlich hinzog. Charles hatte lange darauf warten müssen. Wollte er es überhaupt noch? Ich dachte zwischenzeitlich, wie toll das wäre, wenn er einfach alles hinschmisse, also den ganzen Ablauf sprengte. Besonders glücklich wirkte er auf mich nicht, eher ängstlich. Aber gut, ich ließ mich damals auch konfirmieren, obwohl ich den Mist gar nicht wollte. Der Druck von außen war einfach zu groß. Hinterher aber feuerte ich all die Geschenke trotzig in die Ecke, worauf meine Mutter einen Weinkrampf bekam. Ich hatte es meinen Eltern bestimmt tausendmal gesagt, dass ich mich nicht konfirmieren lassen wollte, dass ich diesen ganzen kirchlichen Mist ablehnte. Aber mein Vater war der familiäre Obermacker und schmetterte mich mit den Worten ab „Es gehört sich so, basta!“.  Meine Eltern erklärten sich mein aufmüpfiges Verhalten wahrscheinlich als pubertäre Erscheinung. Wenige Jahre später trat ich aus der Kirche aus.

Ich lag faul auf der Couch und verfolgte die Krönungszeremonie und trank Wodka-Cola Zero Koffeinfrei. Charles tat mir irgendwie leid. Ich glaube, Camilla steckte es besser weg. Frauen sind vor allem im Alter oft taffer drauf als wir Männer – so meine Erfahrung im Altenheim. Wie viele alte Frauen sah ich regelrecht aufblühen, als ihr Mann (endlich) gestorben war. Und auch Trennungen verkraften Frauen im Allgemeinen besser als ihre Partner. Also es wäre nicht undenkbar, dass Camilla die dominierende in der Beziehung ist. Der arme Charles. Er hatte es mit vielen starken Frauen in seinem Leben zu tun. Wobei ich sagen muss, dass mir eine Frau mit Selbstbewusstsein immer lieber war als eine, die nach meiner Pfeife tanzte.
Ich schaute auf die Uhr. Der Anpfiff des Fußballspiels rückte unaufhaltsam näher. Hatte ich wirklich noch Lust auf das Fußballspiel? Hatte ich noch Lust auf Bier und Kneipe? Ich schlurfte in die Küche und schaute nach, was ich zu essen da hatte. Als ich den Topf mit den Nudeln aufsetzte, war die Sache klar.

  

Genaugenommen hätte ich es mir sparen können

Die Bayern gewannen gegen die Hertha, was abzusehen war. Trotzdem hofften fast alle in der Kupferkanne auf ein Wunder. Immerhin stand es bis zur Halbzeitpause noch 0:0.
Ich süffelte an meinem Bier und glotzte aufs Spiel. Stinkender Zigarettenrauch zog an mir vorbei hin zur Eingangstüre, die offen stand. Gabi hatte viel zu tun. Die Kneipe war gut gefüllt. Necip, der Wirt, saß wie üblich am Tisch mit einer Tasse Kaffee. Er konnte zufrieden sein. Gabi bedeutete ihm, dass ein Fass leer war. Behände sprang er auf, um im Keller ein neues anzustechen. Er ist flink wie ein Wiesel, wenn es ums Geschäft geht. Sowieso zeigt er sich gern als Macher, der alles im Griff hat. Ich nehme es ihm nicht übel. Eine Kneipe zu führen ist sicher kein Zuckerschlecken.
Ich ging ein paar Minuten vor Spielende. Ich fühlte mich nicht wohl in dem Kabuff voller Menschen, die mich eigentlich nichts angingen. Draußen sprang mir ein sonniger Tag entgegen.

In der Höhle des Löwen

Ich hatte mit Gabi um ein Bier gewettet. Sie setzte auf Sieg für Hertha und ich auf Unentschieden. Freiburg ging in der 2. Halbzeit in Führung. Das Spiel nahm an Fahrt auf. Schließlich schaffte Hertha noch den Ausgleich. Ich bekam mein Bier und gab es Gabi übers Trinkgeld zurück.
Immer mehr junge Leute strömten in die Kupferkanne. Sie kamen wegen des folgenden Knallerspiels Bayern-Dortmund. Necip stürzte sich in die Arbeit. Ich konnte die Dollarzeichen in seinen Augen sehen. Ich hatte für den Tag genug Bier und genug Fußball.
Wie ich gerade las, siegten die Bayern mit 4:2. Die natürliche Ordnung ist also wiederhergestellt. Bestimmt strahlen die Bayernbosse über alle vier Backen. Schon allein wegen des kaltschnäuzigen Trainerwechsels hätte ich den Bayern eine Klatsche gewünscht. Nicht dass mir Nagelsmann besonders leid täte…, er wusste, dass er sich in die Höhle des Löwen begab. Fußball ist ein knallhartes Geschäft.

Ein Viertel des Jahres liegt schon wieder hinter uns. Ich kann 2023 bisher nicht viel Positives abgewinnen. Das Rad der Geschichte dreht sich weiter. Die Flimmerkisten laufen. Die Welt ist eine Tragikomödie. Hurra, wir leben noch.

   

Verabschiedung

Der Büro-Freitag verging schnell. Ein gemeinsames Frühstück zur Verabschiedung einer langjährigen Kollegin in den Ruhestand war angesagt. Auch meine Lieblingskollegin, deren Zeitvertrag auslief, kam noch vorbei, um ihre Sachen zu holen sowie Transponder und Dienstlaptop abzugeben. Ich hatte mich dafür stark gemacht, dass sie bleiben kann, aber daraus wurde nichts. Und sie selbst machte am Ende auch nichts dazu. Wir tauschten unsere Nummern und E-Mailadressen aus. Einen gemeinsamen Besuch des Grosz Museums in der Bülowstraße schieben wir schon seit einer guten Weile vor uns her. Sie ist ein lieber Mensch. Schade, dass ich sie als Kollegin verliere.
Den Feierabend begoss ich in der Kupferkanne in kleiner Runde. Die alte Gabi bediente. Der rundliche Mustafa und ein 80zigjähriger Stammgast, den alle nur „Schlecki“ nennen, forderten die Spielautomaten heraus. Ich schaute hinaus in den Regen.

   

Das Riesenfaultier am Brandenburger Tor

Der Blick aus dem Fenster verhieß nichts Gutes. Immer wieder Schneeregen – ein Wetter, bei dem Riesenfaultiere wie ich ungern ihre behagliche Wohnstatt verlassen. Schließlich biss ich eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn die Zähne zusammen und machte mich auf den Weg. Als ich das Brandenburger Tor erreichte, quatschte Frau Schwarzer bereits. Die Bühne stand auf der anderen Seite, hin zur Straße des 17. Juni. Ich parkte mein Fahrrad und ging zu Fuß weiter. Die Menschenmassen verdichteten sich um mich herum. Bald war ich von allen Seiten eingequetscht, und an ein Zurück war nicht zu denken. Von hinten kamen immer mehr Menschen nach. Die meisten waren alte Säcke, sogar noch älter als ich. Im Schneckentempo schoben wir uns Richtung Tiergarten, in der Hoffnung auf einen Ausweg aus dem Gedränge. In mir blitzten Bilder von der Loveparade-Katastrophe auf… Jetzt nur keine Panik, dachte ich, hoffentlich behalten alle die Nerven. Für ca. 200 Meter brauchte ich eine gute Stunde. Von dem Geschehen auf der Bühne bekam ich nicht viel mit. Zu sehr war ich damit beschäftigt, niemandem mit meinen Riesenfaultierquadratlatschen auf die Füßchen zu treten.
Endlich hatte ich den Tierpark erreicht. Hier konnte man es aushalten. Frau Schwarzer und Frau Wagenknecht waren abwechselnd am Mikro. Die Massen klatschten Beifall und johlten. Immer wieder wurde skandiert: „Baerbock weg! Baerbock weg!“ Ich stellte mich neben einen alten Sack, der sich wie ich durch das Gedränge geschoben hatte. Aus meinem Rucksack holte ich zwei Dosen Bier und reichte ihm eine. Er strahlte. UFF! – Wir hatten es ans rettende Ufer geschafft.
Kaum hatten wir unser Bier getrunken, wurde die Veranstaltung für beendet erklärt, und jeder ging wieder seiner Wege.

Die Kupferkanne erreichte ich gerade noch rechtzeitig, um die 2. Halbzeit „Hertha-Augsburg“ mitzukriegen. Auch wollte ich mich aufwärmen. Es stand 0:0, und die Stimmung war betreten. Hertha musste gewinnen, wenn sie noch eine Chance auf den Klassenerhalt haben wollten. Okay, ich mach`s kurz: Schlussendlich siegte die Hertha mit 2:0. Die Gesichter der Fans entspannten sich.

noch auf der falschen Seite

Blick zur Bühne

im Getümmel gefangen

das rettende Ufer erreicht – Prost!

auf dem Rückzug – es gab auch andere Stimmen

bald ist das Fahrrad in Sicht

Ich hatte schon schlechtere Sonntage

Nun siegte am Sonntag die CDU in Berlin. Aber wird sich darum etwas Entscheidendes ändern?
Die Wahl verlief unproblematisch. Es waren nicht viele vor mir. 3 Kreuzchen musste ich machen. So genau habe ich nicht hingeschaut. Nur kurz, um nicht daneben zu liegen. Nach wenigen Minuten stand ich schon wieder draußen auf dem Schulhof. Berliner kamen und gingen. Es war gegen 3 Uhr am Nachmittag. Ich stieg auf mein Fahrrad und zischte davon, gemäß meinem Alter, einigermaßen verhalten. Mit der Lichtgeschwindigkeit hadere ich nach wie vor. Ich kam auch so noch vor Beginn des Spieles Hertha gegen Gladbach in der Kupferkanne an. Necip (der Wirt) stand bereits in Position, in jeder Hand eine Fernbedienung, und versuchte den richtigen Sender einzustellen. Die alte Gabi hatte Tresen-Dienst. Wir begrüßten uns. Mir gefällt es, begrüßt zu werden. Ich setzte mich auf den Barhocker, auf dem ich meist sitze. Gabi hatte mein Bier bereits in der Mache. Necip fuchtelte nach wie vor mit den Fernbedienungen herum. „Scheiß Technik“, sagte ich.

Hertha gewann 4:1 gegen Gladbach. Letztendlich verdient. Aber wird sich darum etwas Entscheidendes ändern? Immerhin seit längerem ein Glücksmoment für die Hertha-Fans. Ich gab Gabi ein Bier aus. Ich freute mich für sie. Auch Necip war hin und weg. Er gab mir einen Schnaps aus.

Am Morgen des 4. Advents

noch im beschaulichen Hansestädtchen Wismar

rechtzeitig zum WM-Finale am Nachmittag zurück im grauen Häusermeer Berlin

Das Finale zwischen Argentinien und Frankreich konnte spannender nicht sein, ein Wechselbad der Gefühle.
Am Ende siegten im Elfmeterschießen die Messi`aner – insgesamt verdient, wie ich meine. Die meisten Kneipengäste freuten sich für die Argentinier.
Nach dem Spiel war ich reif für die Koje.

Samstagnachmittag in der Kupferkanne

Marokko erkämpfte sich gegen Portugal ein 1:0 und zieht ins Halbfinale ein. Stimmung wollte keine echte aufkommen. Nur wenige Gäste verfolgten das Spiel. Ich saß einigermaßen verloren an der Bar.  Die Portugiesen blieben hinter ihren Erwartungen zurück. Der Schankraum war düster und rauchverhangen. Wann sah ich das letzte Mal die Sonne? Ganz Berlin liegt seit Tagen unter einer Dunstglocke. Der Superstar Christiano Ronaldo schaute ziemlich betreten drein. Ich wollte mich für die Marokkaner freuen, aber die Lethargie hielt mich fest mit sanftem Säufergriff.

In der dritten WM-Woche

Die Fußball-WM befindet sich seit dem Achtelfinale in der ruhigen Phase, nicht mehr jeden Tag wird gekickt, dafür sind die Spiele maximal dramatisch. Bereits vier Spiele wurden im Elfmeterschießen entschieden (wenn ich mich nicht verzählte), 2 x für die Kroaten mit dem besseren Ende, gestern gegen den Favoriten Brasilien. Nun mal sehen, wie sich Marokko gegen Portugal schlägt. Ich hätte nichts gegen eine Überraschung. Spannend sollte es auf jeden Fall werden. Das Spiel wird 16 Uhr angepfiffen. Ich stelle mich auf einen Fußballnachmittag in der Kupferkanne ein.
Das Leben ist schon hart, wenn man nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß. Da greift man nach jedem Strohhalm – okay, lieber Fußball in der Kupferkanne gucken als arbeiten.