Es war gestern und ist doch heute

Zittern vor Kälte oder vor Liebe

die Kälte einer Frau
nachdem ich sie spüren durfte
auf einer Wiese pflücke ich Blumen
für den Muttertag
wie schnell sie welken
gestern waren wir noch wir
heute nur noch ich und du
der Hader trieb sich um
in unseren Seelen
die Kälte
das ist die Eiszeit unserer Empfindungen
erfroren in den Gedanken
ich liebte dich
in dieser Kathedrale
die ich für die Ewigkeit baute
und heute sehe ich die Ruine
auf den Mauern
moosbewachsen
liege ich nur noch
als Träumer und bete für eine bessere Welt
für gute Menschen
mein Knochengerüst juckt
auf dem harten Untergrund

du erzählst mir Geschichten
die unsere Liebe unmöglich machen
es sind die Argumente der Politiker
die ich tagtäglich in den Foren
der Medien höre
auf den schwarzen Steinen
ihrer Vernunft
die Adern in Marmor gegossen

ich muss nachgeben
weich will ich sein
damit sich alles in mich ergießt
es war ein schöner Augenblick mit dir

29.09.2004

Back in Berlin

Der gesamte Norden ist seit Tagen ein Kühlschrank mit nur wenigen lichten Momenten. Ich kam nicht drumherum, nach meiner Rückkehr von Wismar die Heizung in meiner Bude voll aufzudrehen. Scheiß Kälte.
Der Urlaub schon fast wieder vorbei – nun ja, eine Woche ist nicht viel. Der Herbergsvater hätte mich gern noch für eine weitere Übernachtung gehabt. Aber es machte nicht wirklich viel Spaß, draußen herum zu latschen oder mit dem Fahrrad Ausflüge ins Umland zu unternehmen. Also reiste ich planmäßig Donnerstag zurück.
Am Wismarer Bahnhof musste ich lesen, dass der Zug nach Rostock, den ich nach meinem Reiseplan nehmen sollte, ausfiel. Ein wenig genervt fragte ich im Reisezentrum nach. Eine nordisch-herbe Bahnangestellte teilte mir nach Einsicht meiner Fahrkarte mit, dass mein Zug nach Berlin bereits auf dem Bahnsteig bereitstünde. Ich war einigermaßen verdattert über diese Auskunft. Die Umleitung über Rostock sei einem Datenfehler geschuldet gewesen, sagte sie. Eine Baustelle gab es während der ganzen Zeit nicht. Ich hätte also auch schon auf der Hinreise die Direktverbindung per RE 8 zwischen Berlin und Wismar nutzen können. Ich will nicht wissen, wie viele Reisende auf diesen Umweg geschickt wurden. Nur gut, dass der Zug nach Rostock ausfiel, lachte ich in mich hinein, sonst hätte ich nicht nachgefragt und wäre dummerweise ebenso umständlich zurückgefahren.

da steht er und sagt nichts

Fahrplanänderung

Es ist kalt. Das muss ich sagen. Gestern radelte ich zum DB-Reisezentrum am Südkreuz. Ich wollte Klarheit. Mir wurde von der DB mitgeteilt, dass es eine Fahrplanänderung für meine Reise nach Wismar und zurück nach Berlin gibt. Ich solle eine andere Verbindung wählen. Vielleicht hätte ich das im Internet hingekriegt, aber ich wollte sicher gehen und zog eine persönliche Beratung bzw. Hilfestellung im Reisezentrum vor. Fast 2 Stunden wartete ich, bis ich dran war. Ich hatte eine Nummer. Ich redete zwischenzeitlich mit anderen Nummern.
Am Schalter erfuhr ich von einer netten Dame, dass ich über Rostock reisen muss. Die Direktverbindung Berlin-Wismar ist aufgrund von Bauarbeiten unterbrochen. Also gut. Sie druckte mir meine neuen Verbindungsmöglichkeiten aus. Statt gut 3 Stunden werde ich nun fast 5 Stunden für eine Strecke brauchen. Natürlich bin ich nicht sonderlich begeistert. Es gibt Dinge wie das Wetter und die Deutsche Bundesbahn, die man nicht beeinflussen kann.

Begegnung in der Kälte

Ich stand an der Seebrücke Wendorf und blickte versonnen aufs Meer. Vor mir lag die Wismarer Bucht. Es war verdammt kalt. Der Tag war trübe, aber da und dort schimmerte etwas Blau durch die Wolkendecke. Auf dem Wasser trieben Eisschollen und der Strand war weiß vom Schnee. Ab und zu kamen ein paar Spaziergänger vorbei. Manche gingen an mir vorbei auf die Seebrücke. Ich hatte gehofft, mich in einem Restaurant oder einem Café aufwärmen zu können. Aber hier gab es nichts dergleichen. Ein Hotel stand einsam an der abfallenden Küste und blickte wie ich stoisch hinaus auf die See, im Rücken Wendorf, eine kleine normale Ortschaft.
Der Weg von Wismar nach Wendorf führte mich vorbei an Schrebergärten, einer Kläranlage und dem Gelände einer Werft. Der Weg ging ein wenig auf und ab und war nicht ganz vom Schnee geräumt. Vorsicht war geboten auf meinem kleinen Fahrrad. Mir reichte die Erkältung, die mir zusetzte, ich brauchte nicht noch blaue Flecken und Schrammen von einem Sturz. Es waren etwa 5 Kilometer bis zur Seebrücke. Im Rucksack hatte ich ein paar Dosen Bier, als hätte ich es geahnt, dass ich erstmal nicht einkehren konnte.
So stand ich an der Seebrücke mit einer Dose Bier und machte mit meinem Smartphone einige Fotos von der Aussicht. Ich wollte mich schon auf den Rückweg machen, um nicht festzufrieren, als ein Mann neben mir stehen blieb. Er war etwa in meinem Alter und wollte sicher auch ein paar Fotos schießen, denn er trug eine richtige Kamera mit sich. Der winterliche Ausblick auf die Ostsee hatte was Magisches. Ich weiß nicht mehr, wie wir ins Gespräch kamen, wahrscheinlich über das Wetter. Jedenfalls wurde mir schnell klar, dass der Mann mehr zu erzählen hatte. Ich erfuhr, dass er an Krebs erkrankte und darum seinen Job im Hotelgewerbe aufgeben musste, dass er bereits ins Hospiz gehen wollte, aber es ihm überraschend wieder besser ging und der Krebs sich zumindest nicht weiter ausbreitete. Ich betrachtete den Mann, der mir gegenüberstand. Er sah nicht krank aus. Aber ich glaubte schon, dass er mir die Wahrheit erzählte. Er wusste gut Bescheid über Krebsbehandlungen. Das saugte er sich nicht aus den Fingern. Auch wirkte er in seinem Habitus relativ seriös. In der Regel vertraue ich meiner jahrelang in Kneipen und im Altenheim trainierten Spinner-Sensorik. Ich hörte noch die ein oder andere persönliche Geschichte aus seinem Munde: dass er in Argentinien aufwuchs, dass er lange in Berlin wohnte, dass er geschieden war, dass er sich um das Kind einer asozialen Nachbarin kümmerte… es jedenfalls versuchte. Mir wurde immer kälter. Warum offenbarte er mir, einem Fremden, dem er zufällig auf der Seebrücke Wendorf begegnete, seine halbe Lebensgeschichte? Der Mann hatte ganz schön was hinter sich. Er war mir weder besonders sympathisch noch unsympathisch. Schließlich verabschiedeten wir uns. Ich hätte es in der Kälte kaum länger ausgehalten. Er spazierte hin zum Ende der Seebrücke, und ich stieg auf mein kleines Fahrrad, das nicht weit von mir wartete.
Im Dunkeln erreichte ich durchgefroren die Pension. Es war der Tag, an dem ich 60 wurde. Während ich mich im Bett aufwärmte, fragte ich mich immer wieder, ob hinter dieser Begegnung ein tieferer Sinn steckte.

Seebrücke Wendorf, 16.12.2022

Ankunft in Wismar

Meine Reisen sind in der Regel keine Vergnügungsreisen. Vielleicht trifft es eher das Wort „Ausflug“. Ich fliege aus hin zu anderen Gefilden, lasse mich von anderen Landschaften und Orten betören. Ich liebe dabei (angemessene) Herausforderungen. Meine Ausflüge sind in der Regel keine Erholungsreisen. Eine gute Portion Leidensfähigkeit gehört mit ins Gepäck.
Diesmal bestand die Herausforderung in der Hauptsache aus einem Atemwegskatarrh, der mich 2 Tage vor der Abreise ereilte und mich körperlich schwächte. Mir ging es so mies, dass ich mir ernsthaft überlegte, Wismar ausfallen zu lassen. Vernunft ist aber nicht alles – Gott sei Dank. Also machte ich mich auf den Weg. Es war beißend kalt. Neben meiner körperlichen Abgeschlagenheit war die Kälte die zweite Herausforderung. Der Zug erreichte Wismar im Schneetreiben…

   

auf dem Weg zur Pension

Ich hatte nur etwa einen Kilometer bis zu meiner Unterkunft. Nachdem mich der nette und zuvorkommende Pensionswirt eingewiesen hatte, machte ich mich sogleich auf zu meiner ersten Erkundungstour durch Wismar (erstmal ohne mein kleines Fahrrad).

erst zum Hafen

dann hoch in die Stadt zum Weihnachtsmarkt – das Schneetreiben hatte zugenommen

Genug ist genug, dachte ich, lieber zurück zur Pension, bevor ich zum Schneemann werde. Ganz einfach war das nicht, denn ich hatte die Orientierung verloren. Schließlich fand ich zurück auf den Weg, den ich gekommen war.

Anarchie des Wartens

Ich warte auf den Frühling, aber noch ist die Sonne kalt, zumindest hier im Osten Deutschlands.
In den Nachrichten gibt es kaum etwas anderes als Krieg, die Corona-Zahlen und den Wetterbericht.
Die gekalkten Zimmerwände schmiegen sich an mich wie eine zweite Haut. Ich kann die Stunden nicht zählen, die ich auf der Couch und im Bett verbringe.
Ich wundere mich über meine Tränen.
Die Welt ist ein Film. Mein eigenes Leben verblasst.
Ich stehe morgens auf, ich gehe zur Toilette, ich wasche mich, ich esse und trinke, ich gehe zu Bett, ich schlafe.
Ich atme. Mein Herz schlägt.
Meine Haare und Nägel wachsen unaufhörlich. Sie sind ziemlich anarchistisch.
Ich warte auf den Frühling oder sonst was. Oder ich warte auf eine wärmende Umarmung. Alles muss irgendwann aufgeladen werden, selbst wenn es nur nichtsnutzig herumliegt.


Aus einem fahrenden Zug steigt man besser nicht aus

Die Sonntagsonnenstrahlen schwingen sich aufs Ross und reiten mit glitzernder Rüstung die Straßen rauf und runter. Kampflos fällt die Stadt. Die Menschen ergeben sich, treten vor die Tür und begrüßen die Ritter der Sonne mit einem Lächeln.
Ich öffne die Fenster und dehne mich im Türrahmen. Ich laufe unruhig von Zimmer zu Zimmer. Ich fixiere den unanständig blauen Himmel über dem Hinterhof. Kühlschrankkälte fällt an mir vorbei in die Wohnung…

Zimmer 7

Der Typ, der gerade diese Zeilen tippt, das bin nicht ich. Ich kann ihn beobachten, wie er das alles macht: morgens aufstehen, zur Arbeit gehen, mit den Bürohühnern quatschen, Einkaufen, im Pub Bier trinken…, aber das bin nicht ich. Nicht wirklich – es ist ein Programm, das abläuft. Aber was ist schon wirklich? Heute Morgen, als ich aufwachte, kam mir alles total unwirklich vor. Lebe ich in derselben Welt wie gestern? Oder kriege ich es nur suggeriert? Fuck! Mich beschleicht das unheimliche Gefühl, dass irgendwas mit der Welt grundlegend nicht stimmt, und niemand merkt was. Jedenfalls nicht ernsthaft. Vielleicht haben viele einen ähnlichen Verdacht wie ich aber trauen sich nicht, darüber zu reden – weil es einfach zu verrückt ist. Dabei ist für uns das Leben, wie es sich abspielt, nur deswegen normal, weil wir nichts anderes kennen und unser Hirn darauf programmiert bzw. geeicht ist. Abweichungen gelten als pathologisch. Ich bin mir aber sicher, dass ich nicht irre bin, sondern die Welt. Ständig frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Spielt da jemand ein abgefahrenes Spiel mit uns? Nach dem Motto: du darfst jedes Zimmer dieses Hauses betreten, nur nicht Zimmer 7 im dritten Stock. Zimmer 7 ist tabu, kapiert! Darüber gibt`s keine Diskussion!
Oder anders gesagt: Wer über eine gewisse Grenze hinausdenkt, betritt gefährliches Terrain. Jedes Programm hat seine Knackpunkte. Wenn man nicht will, dass alles kippt, hält man sich besser an die Regeln. Dumm nur, dass ich im Denken ein verdammter Anarchist bin. Ich stehe auf der Türschwelle zu Zimmer 7. Ich habe Angst. Nein, es ist nicht direkt Angst. Ich kann es schwer in Worte fassen. Eine Art Kälte, würde ich sagen…

Der Typ, der gerade diese Zeilen tippt, das bin nicht ich. Habe ich das schon gesagt? Keine Ahnung, was mit mir heute los ist. Wiedermal einer von meinen idiotischen Tagträumen. Ich hätte gestern den Cidre besser ohne Wodka getrunken. Dazu die schwüle Hitze. Und auf der Wiese machten zwei Girls Yogaübungen, und ich musste immer wieder hingucken, auf ihre Ärsche und Titten, ihre weiblichen Kurven… Fuck! Das ist Leben!

Es tut sich was

Langsam werden mir Rostock und Warnemünde immer vertrauter. Natürlich gibt es noch viele Ecken, die mir fremd sind – das ist in Berlin nicht anders. Aber nach einer Weile entwickelt man doch mit einer Region, auch ohne alles zu kennen, eine gewisse Vertrautheit. Mit Menschen ist`s, glaube ich, nicht anders. So geht es mir z.B. mit den Büro-Hühnern…

Die Kälte war bei meinem Kurztrip der größte Ungemütlichkeitsfaktor. Die gefühlte Temperatur lag weit unter der gemessenen. Der Aufenthalt an zugigen Plätzen fühlte sich an wie eine Eisdusche. Ich unternahm einen kleinen Spaziergang am Strand und kehrte nach einer guten halben Stunde verfroren zurück in die windgeschütztere Ortschaft. Nun nur noch ein Plätzchen zum Aufwärmen finden – glücklicherweise hatten in Warnemünde an Heiligabend mehr Lokale offen, als ich befürchtet hatte.

Drei Tage kam ich raus, – atmete andere Luft, nahm andere Gerüche wahr, befand mich in netter Gesellschaft, sah auf das Meer und die Horizontlinie… Zuhause in Berlin wäre mir sicher die Decke auf den Kopf gefallen. So war ich mit der Reise und allerhand Eindrücken beschäftigt. Den ganzen Weihnachtszinnober nahm ich nur am Rande wahr. Gut so. Ich scheiße auf Weihnachten. Nun nur noch Silvester, und dieser irrsinnige Jahresabschlussspuk hat wieder ein Ende.

Ich genieße meine Freiheit. Ich genieße die schönen Dinge um mich herum. Ich genieße den Anblick schöner Frauen. Ich genieße die Momente, wo ich spüre, wie das Leben in mich zurückströmt. Ich genieße den Blues. Ich genieße es, einfach da zu sein. Ich genieße es, wenn sich meine Blicke mit denen wildfremder Menschen treffen. Ich genieße es, wenn wir uns zulächeln. Ich genieße die Kraft meines Körpers. Ich genieße das Zurückkommen in meine Bude. Ich genieße das Bier. Ich genieße den Blick aus dem Fenster. Ich genieße, es warm zu haben.