Unter Wolken

Leider blieben die dunklen Wolken nicht am Horizont. Bei meiner zweiten Radtour nach Lubmin erwischte es mich auf dem Rückweg. Ich suchte unter den Bäumen einer langen Allee Schutz. Eine große fette Wolke regnete sich über mir ab. Gespenstisch wirkte die Kulisse. Hätte sich aus der Wolke ein Tornado entwickelt, wäre ich nicht erstaunt gewesen. Nach einer halben Stunde wagte ich mich wieder auf die Strecke. Der Wind hatte die Wolke hin zur Küste getrieben. Wolkenlöcher taten sich auf, aber vom Horizont schoben sich bereits die nächsten dunklen Wolkenungetüme heran. Der Fahrtwind trocknete mich schnell. Ich trat ordentlich in die Pedale, und als ich in Wiek am Ryck ankam (vier Kilometer vor Greifswald), war ich nassgeschwitzt. Vor einem Restaurant gegenüber der historischen Zugbrücke gönnte ich mir ein leckeres Hüttenbier…

Lecker!

Aus dem Kapitel „Nikolskoje – Saltykowskaja“

Ich weiß noch, schon früher, wenn die Leute in meiner Anwesenheit eine Unterhaltung oder Diskussion über irgendwelchen Unsinn anfingen, sagte ich: „Wie kann man sich nur mit so etwas Belanglosem auseinandersetzen?!“

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Ich behaupte nicht, dass ich die Wahrheit erkannt hätte oder dicht an sie herangekommen wäre. Mitnichten! Aber ich habe mich ihr gerade so weit genähert, dass ich sie bequem betrachten kann.
Ich betrachte, erkenne und bin schmerzerfüllt. Ich glaube nicht daran, dass unter euch noch einer ist, der in seinem Bauch ein so explosives Gemisch mit sich herumschleppt wie ich
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… und wie sollte ich da nicht Wodka trinken? Ich habe mir dieses Recht verdient. Ich weiß besser als ihr, dass der Weltschmerz nicht etwa eine Fiktion ist, die von den alten Literaten in Umlauf gebracht wurde. Ich weiß es, weil ich den Weltschmerz selbst im Herzen trage.

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(„Die Reise nach Petuschki“, Wenedikt Jerofejew)

Ein kurzer Überblick

Frühstück war inklusive. Da musste ich also durch entgegen meiner Gewohnheit, eigentlich nie zu frühstücken. Während ich frühstückte, machten die Damen mein Zimmer. Viel war da nicht zu machen, denn ich bin ein ordentlicher deutscher Jung. Die Wirtsleute waren Italiener, sehr nett. Mir fiel schon am ersten Tag in Greifswald auf, dass es dort sehr viele Italiener gibt. Dafür weniger Türken. Wahrscheinlich mögen die Einheimischen lieber Italiener. Ich frühstückte also in der Pizzeria, die zur Pension gehörte: Zwei Brötchen, eine Ecke Schmierkäse, ein Teil Butter, zwei Scheiben Käse, drei Scheiben Wurst, vier Scheiben Salatgurke, ein Ei und drei Tassen Kaffee. Damit war ich ausreichend gestärkt und zog mich in mein Zimmer zurück. Dort überlegte ich mir bei Morgenfernsehen und ein paar Gläsern Rotwein, was ich den lieben Tag lang zu machen gedachte. Je nach Laune und Wetter legte ich mich schließlich fest: am 1. Tag mit dem Fahrrad nach Lubmin, am 2. Tag mit dem Zug nach Stralsund, am 3. Tag mit dem Fahrrad nach Lubmin, am 4. Tag mit dem Zug nach Stralsund, am 5. Tag mit dem Fahrrad nach Lubmin, am 6. Tag mit dem Zug nach Hause.
Also jeden Tag was anderes. Und niemand sollte sagen, dass ich die ganze Zeit auf der faulen Haut gelegen hätte. Die Tour nach Lubmin war nicht ohne, hin und zurück ca. 60 Kilometer, je nach der Route, die ich nahm, ein paar Kilometer mehr oder weniger, und auf der Rückfahrt immer fuckin` Gegenwind.
Lubmin ist ein kleines Seebad mit wenig Touristik. Ich fand schnell meinen Lieblingsplatz am Strand, wo ich aufs Meer blickte, Bier aus dem Supermarkt trank und las. Endlich schaffte ich Jörg Fausers „Das Schlangenmaul“. Bald ein Jahr lang trug ich diesen kleinen an sich nicht schlechten Detektivroman mit mir herum. Meine Leselust in den letzten Jahren nahm kontinuierlich ab. Ich führe es auf meine kognitiv anstrengende Arbeit als Tumordokumentar zurück. Da habe ich nach Feierabend die Schnauze voll von Buchstaben. Schade eigentlich. Nun konnte ich also mit der nächsten Lektüre in Stralsund beginnen, vor einer Hafenkneipe sitzend: Wenedikt Jerofejews „Die Reise nach Petuschkin“. Erster Eindruck: köstlich!
Nach meinen Ausflügen nach Lubmin und Stralsund setzte ich mich am frühen Abend in Greifswald an den Ryck. Am Ufer waren jede Menge Fress- und Trinkstände, und ich ließ mich auf die zum Wasser hin abfallenden Steinstufen nieder, streckte meine müden Glieder aus, beobachtete die Menschen, darunter viele Studenten, die Boote und Jachten und die Kulisse der gegenüberliegenden Altstadt.

So weit ein kurzer Überblick meiner Urlaubs-Unternehmungen.

 

 

Vorbereitungen

Die Reisetasche habe ich schon mal aus der Kammer geholt. Wird langsam Zeit, dass ich für ein paar Tage rauskomme. Sonst kommt noch das Grauen über mich – wie in Lovecrafts Erzählungen.
Ich lade schon mal den Zusatzakku fürs Smartphone, bevor ich`s vergesse. Das Reisefeeling mit ein paar Vorbereitungen hervorkitzeln. Der Zug fährt morgen Mittag. Also genug Zeit für alles. Eine Maske deponiere ich vorausschauend in der Reisetasche, nicht dass ich auf dem Bahnsteig ohne Maske dastehe, und der Zug fährt ein.
Dann überprüfe ich die Kulturtasche. Muss ich noch was nachkaufen? Nein, alles da. Nicht vergessen: Dosenbier für die Reise kaufen!
… Nur nicht zu viel Klamotten einpacken. Auf der anderen Seite werde ich um ein zusätzliches Paar lange Hosen, Strickjacke und Pullover nicht herumkommen. Was noch?
Mein Blick schweift übers Bücherregal… Welcher Lesestoff soll`s sein, mein Herr? Die Novellen von Miguel Unamuno wären sicher kein Fehlgriff. Oder doch lieber Wenedikt Jerofejew „Die Reise nach Petuschki“?
Eine Umgebungskarte, die Buchungsbestätigung und meine Fahrkarten liegen unübersehbar neben mir auf dem Schreibtisch. Ich falte die Karte auseinander. Ah ja. Schnell kommen Erinnerungen vom letzten Jahr hoch. Schön war`s da. Ruhig, friedlich. Ein Kontrast zu Berlin. Ich falte die Karte wieder zusammen. Es bleibt mir noch jede Menge Zeit, Zeit für alles…

 

 

Im Blubber-Modus

Buchung erledigt, Fahrkarte gekauft… nun muss nur noch Donnerstag werden. Ich liebe Reisen, die wenig Aufwand erfordern. Manchmal träume ich von einem Leben aus dem Koffer, – dass ich ganz minimalistisch, nur mit meinem kleinen Fahrrad (das auch in einen Koffer passt) durch die Welt reise. Ohne festen Wohnsitz. Natürlich bräuchte ich dazu eine Kreditkarte und ein dickes Bankkonto. Außerdem gäbe es da noch x Hindernisse mit der Bürokratie… Und schon habe ich ausgeträumt. Der Realismus ist unerbittlich.
Also backe ich weiter kleine Brötchen. Einfach über Wasser halten, ist ja auch schon was: mit einem sicheren Job, einer kleinen Wohnung in Berlin; und nun leiste ich mir eine kleine Urlaubsreise. Bescheiden geht die Welt zugrunde. (Oder so ähnlich.)
Als junger Mann freilich schienen selbst die irresten Träume noch eine Chance auf Umsetzung zu haben… Tja, hat wohl nicht ganz geklappt. Sei`s drum. Im vor mich hin blubbern bin ich auch ganz gut.

 

 

2 Wochen also

Ja…, ich teilte mir den Urlaub dieses Jahr in zwei Blöcke: Anfang des Sommers (Ende Mai/Anfang Juni) und Ende des Sommers (Ende August/Anfang September).
Meine sonst alljährliche Fahrradreise lasse ich sausen. Ich haderte eine ganze Weile mit mir. Aber ehrlich gesagt bin ich zu träge. Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr wieder mehr Feuer im Arsch habe. Dieses Jahr ist mir einfach nicht danach… Warum auch immer – Corona? Berufliche Belastung? Depri?
Eine kleine Reise werde ich aber doch unternehmen. Mir kam das schöne Städtchen Greifswald in den Sinn, wo ich im August letzten Jahres ein verlängertes Wochenende verbrachte und mich dort recht behaglich fühlte. Im Gepäck werde ich natürlich mein Brompton Faltrad haben, mit dem ich die Gegend unsicher machen kann. Ruck zuck bin ich an der Ostsee, z.B. bei Lubmin, oder ich radle Richtung Stralsund.
Und wenn so gar nicht Ausflugswetter ist, mache ich mir einen schönen Tag in Greifswald. Wirklich sehr nett dort. Hat eine beschauliche Innenstadt und sogar ein Kino. Im letzten Jahr sah ich mir dort Tarantinos „Once Upon A Time In Hollywood“ an. Auch an dem Flüsschen Ryck kann man gut bei einem Bierchen chillen. Genau meine Kragenweite, dieses Greifswald: ruhig, aber nicht zu ruhig, klein, aber nicht zu klein… und außenherum die wunderbare Bodden-Landschaft.

Nun erstmal ganz gemütlich in den Urlaub hineingleiten…