Was man nicht alles macht

Der neue Sattel prunkt bereits auf dem Reise-Bike. Ein Flyer Special, gefedert. Nicht dass ich nächstes Mal erneut mit dem Cambium auf Reise gehe. Ich mag`s zwar gern hart, aber diesmal zollte ich Tribut und scheuerte mich wund an Stellen, die kein Mensch je gesehen hat außer meine Mutter damals und eventuell einige Frauen… Die Schmerzen waren zwischenzeitlich höllisch. Die Unterhose klebte an den wunden Stellen. Jedes neue Niedersetzen auf den Sattel wurde zur Qual, bis ich eine halbwegs tolerable Sitzposition gefunden hatte. Ohne dieses pikante Problem wäre ich sicherlich um einiges besser unterwegs gewesen und auch flotter. So saß ich sprichwörtlich wie der Affe auf dem Schleifstein auf meinem Rad und vermied nach Möglichkeit streckengegebene Unebenheiten, die ich sonst locker weggesteckt hätte. Doch leider passierte es immer wieder und „Autsch!“ – mancher Ritt auf Wald- und Feldwegen wurde regelrecht zur Folter. Augen zu und durch. „Was man nicht alles macht…“, sagte ich dann wiederholt zu mir selbst.
Das Fahrrad steckte die Reise gut weg. Es steht mit dem neuen Sattel im Zimmer und grinst mich frech an. Gut, wenn das Material mehr aushält als ich. Eine Sorge weniger auf der Tour. Nach Kopenhagen meine zweite Reise mit dem Fahrrad, das ich mir erst letztes Jahr zulegte. Ich bin mehr als zufrieden. Langsam wachsen wir zusammen. Ich mag`s, wenn auf etwas Verlass ist. Das gilt nicht nur für Dinge. Und ich mag`s, wenn etwas was darstellt ohne viel Aufhebens darum. Ich liebe die Ästhetik der schlichten Funktionalität. Okay, ein Schuss Extravaganz darf schon sein. Der Cambium war so ein Schuss…, der aber in die Hose ging.

 

bike

mein Reise-Bock in Dömitz an der Elbe

Das Leben ist schön

Meine Güte, ich muss gewachsen sein – bei beiden Fahrrädern korrigierte ich die Sattelhöhe (ca. 2-3 Zentimeter) nach oben. (Vielleicht liegt es daran, dass ich zu viel Fleisch esse. Ist nur eine marginale Überlegung.) Ich dachte, dass man allgemein im Alter schrumpft, und nun das!
Gut, nach oben ist noch etwas Luft. Doch eigentlich war ich mit den 178 Zentimetern zufrieden, die in meinem Ausweis stehen. Sehr große Menschen erscheinen in meinen Augen immer etwas ungelenk. Und Basket- oder Volleyballspieler wollte ich nie werden. Auch was die Frauen angeht, gibt`s im Segment unter, sagen wir mal 172 Zentimeter, doch eine ganz gute Auswahl. Welcher Mann will schon eine Lady neben sich, zu der er aufgucken muss? In diesem Zusammenhang fällt mir immer wieder Humphrey Bogart ein, der sich bei den Dreharbeiten zu „Casablanca“ auf eine Art Podest stellen musste, um Ingrid Bergmann zu küssen. Immerhin hatte er die Hauptrolle… Ich habe nichts gegen kleine Leute. Woher? Nur die kleinen Kläffer gehen mir auf den Sack. Ich habe auch nichts gegen Große. Ein nahes Familienmitglied bringt es auf 198 Zentimeter. Woher kommen nur diese eklatanten Größenunterschiede? In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ging das mit dem Riesenwachstum los. Ich meine nicht das krankhafte Riesenwachstum, welches es auch gibt. Nein, die Menschen wurden allgemein größer. Ich könnte das jetzt im Internet recherchieren, aber das mache ich nicht. So sehr interessiert mich dieser Umstand dann doch nicht.

Ich schraubte im Wohnzimmer an meinem Fahrrad herum. Was gibt`s sonst zu tun sonntags? Kirchgänger war ich nie. Und man kann auch nicht ständig in die Glotze gucken. Ich machte gar nicht viel am Fahrrad, montierte lediglich einen Spritzschutz. Übereifrig, wie ich bin, flog dabei eine Schraube ins Zimmer. Natürlich flog sie hinter ein Regal. Fast war`s das, aber dann beschloss ich, die Schraube zu suchen…
Ich fand sie – leider sah ich bei der Suche einiges, was ich wirklich nicht sehen wollte. Man könnte es in einer Frage zusammenfassen: Woher kommt der ganze Dreck? Es sah danach aus, als ob er sich hier gemütlich eingerichtet hätte. Er machte das ganz geschickt, indem er sich die Ecken und Nischen aussuchte. Man müsste ihm ständig hinterherputzen. Aber wer will das schon? Uff! Warum fällt mir hierzu eine ungehörige Allegorie auf unsere Gesellschaft ein… Schließlich bin ich kein Nazi. Oder vielleicht doch im geheimsten Winkel meines Wesens? (Nein!) Man kann unmöglich Menschen mit Dreck vergleichen. Wo kämen wir dahin, wenn wir das Gesindel von den Straßen nähmen? Es gehört einfach dazu…
Nachdem ich den Dreck weggeputzt hatte (nicht sonderlich gründlich – wozu auch? Mir liegen solcherlei Sisyphos-Tätigkeiten nicht), rückte ich das Regal wieder an seinen Platz und vollendete die Arbeit an meinem Fahrrad.

Nachher werde ich mal `ne Runde mit dem höhergestellten Sattel (und dem neuen Spritzschutz) drehen. Nicht weit. Nur kurz die Kurfürstenstraße rauf und runter, am Straßenstrich vorbei, und danach auf ein Bier im rauchigen, verstaubten Pub bei den Losern abhängen.