Unauflösbare Zweifel

„Und sonst – wie geht`s dir heute?“
„Wie soll`s mir schon gehen… nicht anders als sonst. Materiell gesehen sogar ganz gut. Ich habe ein Dach überm Kopf, habe Arbeit und bin nicht in den Miesen.“
Karl schaut mich an. Er hat diesen Bick, dem ich nicht lange standhalten kann. Ich grinse verlegen.
„Stimmt schon, wenn ich ehrlich bin, geht’s mir beschissen. Die Ratten fressen mich von innen auf. Ich bring es nicht zusammen: Das Leben, die Maloche, das Geld, die Liebe und den Tod, das Sternenzelt darüber. Ich verstehe es nicht.“
Karl sitzt auf der Couch, die ich zusammen mit meiner Ex kaufte, als wir in Berlin zusammenzogen. Er liest meine Gedanken. „Halte einfach durch“, sagt er.
„Einfach?“
Aber Karl hat recht. Einfach weitergehen. Nicht zurückschauen. Immer der Nase nach.
„Warum zweifelst du an dir?“ fragt Karl plötzlich.
Ich tauche ab in die Leere meines Selbst. Es gibt dort nichts zum Festhalten. Nicht mal ein Bild entsteht vor meinem geistigen Auge. Nichts. Ich gehe in die Küche und fülle mein Glas.
„Gute Frage“, sage ich, als ich an den Schreibtisch zurückkehre, „verdammt gute Frage! Willst du auch ein Glas? … Ja? Dann bediene dich.“
Karl ist mehr als nur ein Gast. Er gehört inzwischen zu meiner Wohnung wie das Mobiliar. Oder wie Edgar ins Pub.
Ich proste Karl zu. Er prostet von der Couch zurück und meint:
„Du solltest nicht so viel an dir zweifeln.“
„Leicht gesagt.“
„Aber ein Anfang.“
„Scheiße, Karl, das ist doch alles Humbug!“

Ich weiß, dass für Karl damit Ende Gelände ist. Er verabschiedet sich wie immer herzlich, indem er mich brüderlich umarmt aber mir im nächsten Moment sein Knie in die Eier rammt…
Ich sacke vor Schmerzen zusammen und ächze: „Danke Karl…
Fick dich!“

 

Meine Augen werden sich freuen

Ganz werde ich das Reisefieber vor einer größeren Fahrt nie ablegen. Für ein paar Tage verlasse ich mein Quartier. Der Tagesablauf wird auf den Kopf gestellt. Es stellen sich die immer selben Fragen: Erwische ich den Zug? (Hoffentlich verschlafe ich nicht.) Finde ich einen Platz? Bin ich ausgerüstet? Genug Bier dabei? … Und Zweifel kommen auf: Was will ich eigentlich dort den lieben Tag lang treiben? Wozu diese Anstrengung? Lohnt sich die Reise? Ich und meine fixen Ideen…
In meinem Innersten weiß ich freilich, dass alles tausendmal besser ist, als in Berlin abzuhängen. Die Hälfte der freien Tage ist bereits rum. Wird also höchste Zeit, dass ich den Arsch hochkriege.
Eindreiviertel Jahre ist es her, dass ich dort war. Erinnerungen werden wach. Keine allzu guten… Schwamm drüber. Jetzt ist jetzt. Man muss sich die Scheiße von den Schuhen kratzen und weiter geht`s. Auch dafür die Reise. Vielleicht wird mir die alte Vertrautheit guttun, auch wenn ich nicht mehr dazugehöre, sozusagen der Heimat entwachsen bin. Die Orte und Wege von damals gibt es nach wie vor. Sie werden mich wiedererkennen. Menschen dagegen sind flüchtig wie Jahreszeiten – gute und schlechte. Sie gehen dahin, bis sie der Horizont des Lebens verschluckt.
Es wird eine Reise nach innen. Meine Augen werden sich freuen. Mein Herz wird weinen.
Warm anziehen sollte ich mich. Eine Sonnenbrille werde ich nicht brauchen. Genügend Aspirin. Und ein gutes Buch.