Erschöpft

Glieder und Rücken schmerzen vom langen Liegen. Mit ein paar kurzen Unterbrechungen lag ich gut 14 Stunden in der Koje. Ich fühle mich, als wäre ich gut doppelt so alt. Unglaublich, was man innert einem Menschenleben leiden muss… Vor allem empfindsame Seelen (wie ich) tragen schwer am Dasein.
Ja, ich weiß, die ganze Welt ist sensibel – nicht dass sich ein Sensibelchen hier auf den Schlips getreten fühlt. Ich muss echt aufpassen mit diesen Verallgemeinerungen. Die rutschen einfach so raus. Oft rede ich von der Spießer-Gesellschaft und kriege dann sofort Gegenwind. Einige Artgenossen fühlen sich gleich in die Spießerecke gestellt. Aber gemach, gemach, ich schätze, dass in jedem von uns ein kleiner Pharisäer steckt. Oder nicht? … Mehr oder weniger.
Seit einigen Jahrzehnten beobachte ich, dass der Spießer-Index unserer Gesellschaft wieder kontinuierlich ansteigt. War in den Nachkriegsjahren das Spießertum hauptsächlich kirchlich und in der Traditionsbewahrung verortet, sehe ich den heutigen Spießer vor allem als sattgefressenen Einfaltspinsel, der sich mit seinem Wohlstand brüstet. Reaktionär hält er an seinem Konsum- und Mobilitätsstatus fest. Er huldigt dem Auto, dem Smartphone und den Einkaufszentren. Auf riesigen Kreuzfahrtschiffen lässt er sich exklusiv über die Weltmeere schippern, oder er fliegt mal eben zum Vergnügen nach Malle oder sonst wohin. Der Spießer von heute ist ein anderer als noch vor 50 Jahren. Jedes Zeitalter bringt ein anderes Spießertum hervor, welches überwunden werden sollte. Damals waren es Flowerpower und Friedensbewegung, die neuen Wind in den spießigen Mief brachten. Heute ist es die „Fridays for Future“ Bewegung. Seit Corona höre ich allerdings nichts mehr von ihr. Ich hoffe, die jungen Leute lassen in ihrem Bemühen nicht nach, gegen die umweltzerstörende Wachstumsseuche Kapitalismus zu protestieren. Die Hoffnung für die Zukunft einer Gesellschaft lag nie bei den Spießern, sondern stets bei der Jugend, die frisch und unbedarft ins Leben startet und zurecht die alten Hüte kritisiert, – zumal wenn der Handlungsbedarf zur Erhaltung einer lebenswerten Welt immer dringender wird: Frischer Geist gegen die ewigen Bewahrer! Lasst euch nicht eure Empfindsamkeit nehmen! Traut euren Herzen!

Die erste Arbeitswoche nach dem Urlaub war anstrengend. Zurück ins Korsett des Arbeitsalltags. Die Verabschiedung meiner alten Bürokollegin in den Ruhestand schwingt emotional nach. Dann die Weiterbildung, die all meine Konzentration erforderte. Das wird auch noch ein Weilchen anstrengend bleiben, bis sich das Neue in meinem Kopf verfestigt. Die Stimmung unter den Büro-Hühnern ist so-la-la. Jedenfalls schienen sich einige wirklich zu freuen, mich mal wieder zu sehen. Schön. Nun erstmal Wochenende.
Ach ja, das Pub hat wieder geöffnet! Bei dem schwülheißen Wetter werde ich aber eher den Biergarten aufsuchen…

 

Wer den Stein runterrollen lässt, muss ihn mühsam wieder hochtragen

Freiheit ist kein Zustand, der an Bedingungen/Lebensumstände geknüpft ist, sondern ein Gefühl. Doof halt, dass gewisse repressive äußere Umstände sich in aller Regel negativ auf mein Freiheitsgefühl auswirken. Dem wirke ich dann mit ein paar Flaschen Bier entgegen. Bestimmt gibt es auch wirksamere Drogen, um in einem Gefühl der Freiheit zu schwelgen… Ich persönlich bleibe lieber bei meinem alten Kumpel Alkohol. Ich bin etwas altmodisch. Es soll auch Menschen geben, die dasselbe durch Meditation erreichen. Das ist dann auf alle Fälle gesünder.
Was ich mit meinem Eingangssatz sagen wollte: Die Welt mit ihren Einschränkungen, Doktrinen, Gesetzen, Geboten, Regeln und Grenzen können wir schwer ändern. Im besten Falle erreichen wir punktuell mehr Freiheit für Einzelne oder Gesellschaftsgruppen, indem wir für geistige Aufklärung, Emanzipation und Gerechtigkeit eintreten. Viele Kämpfe wurden im Laufe der Geschichte für mehr Freiheit geführt. Einige wurden sogar gewonnen. Darum lebe ich heute in einer freieren Gesellschaft als vor… 80 Jahren. Würde ich mal behaupten. Noch – denn gesellschaftliche Freiheiten können uns auch wieder verloren gehen, oder sie verändern sich im Zuge der technischen und kulturellen Entwicklung. Die nächsten Generationen entwickeln womöglich ganz andere Werte, als ich sie habe. Die Digitalisierung der Welt weist bereits in eine Richtung, die mir nicht besonders angenehm ist. Ebenso existieren gegenwärtig auf der Welt Kulturen mit zum Teil unterschiedlichen Freiheitsvorstellungen. Eine westliche Demokratie ist nicht mit einem islamischen Staat zu vergleichen. Freiheit in der menschlichen Gesellschaft/Wirklichkeit ist also sehr relativ… Wir werden immer im Zeitgeist einer Kultur gefangen sein.
Eigentlich ist es müßig, ständig von Generation zu Generation, von Zeitalter zu Zeitalter gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit in der Welt anzukämpfen. Das Leben selbst mit seiner täglichen Routine ist Sisyphos in Reinkultur. Darum befasse ich mich lieber mit der Tagträumerei und der Freiheit als Gefühl – mehr oder weniger unabhängig von der Welt da draußen.
Freilich, würde man mir mein Bier wegnehmen, wäre ich echt sauer! Denn dann bliebe nur noch Meditieren…