St. Pauli – Heidenheim, ein gutes Gespräch und das Huhn im Fahrradkorb

Kaum hatte ich mich gesetzt, fielen die Tore. Es lief St. Pauli gegen Heidenheim. Die Gäste grölten. St. Pauli zog in Toren davon. Die Mehrheit war offenbar für St. Pauli. Mir war`s wurscht. Ich hatte gar nicht daran gedacht, dass Samstagnachmittag im Pub Fußball lief. Ich wollte einfach nur für ein-zwei Stündchen rauskommen und vielleicht ein paar altbekannte Gesichter sehen. Die sah ich auch. Die Stammies saßen wie Vögel auf der Stange an der Theke. Eigentlich mein Lieblingsplatz, aber da hätte ich früher kommen müssen. Es blieb mir nur ein Platz eine Ebene tiefer. Thorsten bediente. Wir sahen uns ein gutes Jahr nicht mehr. Als er mir das Bier brachte, setzte er sich kurz dazu.
„Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?“
„Na ja, Corona, die Lockdowns, und im Sommer saß ich draußen.“
„Sonst alles okay?“
„Ja, was soll man zu dem Ganzen sagen… Zurzeit habe ich nur etwas Stress auf Arbeit.“
Thorsten begab sich wieder hinter die Theke, und ich glotzte auf den Bildschirm wie die anderen. St. Pauli war gut drauf, was der Stimmung im Gastraum zuträglich war… Mein zweites Bier war bereits in Arbeit, als 2 Ladies in elektrischen Rollstühlen mir gegenüber parkten. Natürlich hatte ich nichts dagegen. Keine Ahnung, wie ich ins Gespräch mit der jüngeren der Beiden kam. Ein Wort ergab das andere. Schnell stellte sich heraus, dass sie in Sachen Corona ähnlich wie ich tickte – wir hatten damit ein Gesprächsthema… Das Pub wurde indes immer voller. Der Lärmpegel stieg an, so dass ich mich zu der Lady im Rollstuhl vorbeugen musste, um sie zu verstehen. Ich war fürs Erste bedient. Genug Pub. Herzlich verabschiedete ich mich von den beiden Ladies und radelte Einkaufen. Am Eingang des Supermarkts begrüßte mich ein Huhn (ein echtes Huhn!), das im Lenkerkorb eines abgestellten Fahrrads ausharrte… Ich mag solche Tage.

 

Der verrückte Traum

Die Tage gingen dann doch ziemlich schnell rum im Eintönigkeits-Blues. Als hätte ich Weihnachten verpennt. Nun nur noch Silvester. Bleibt das vermaledeite Corona. Wie schön wäre das: ich wache auf: die Kneipen haben geöffnet, kein Mensch redet über Corona, Lockdown, Impfungen und Verschwörungstheorien – als wäre 2020 nur ein schlechter Traum gewesen. Und keine fuckin` Masken!

Thorsten stellt das Bier vor mich auf die Theke. „Und wie geht’s so“, fragt er mich.
„Ganz gut. Allerdings hatte ich einen verrückten Traum…“
Es ist erst kurz nach Mittag. Außer mir sind nur wenige Gäste im Pub. Thorsten hat nicht viel zu tun. Ich erzähle ihm also von meinem Traum.
„Und alle Kneipen mussten dicht machen während dieses… äh…“
„Lockdowns“, ergänze ich und nehme einen großen Schluck von meinem Berliner Kindl, „… alles hatte zu außer den Supermärkten.“
„Das geht doch gar nicht“, Thorsten schaut ungläubig.
Ich lache: „Klar – war ja auch ein Traum… Allerdings war der wie echt. Weißt du, was ich meine?“
„Hm… Hinterher ist man sich nicht sicher, was real und was Traum ist. Das sind die gruseligsten Träume.“
Ich nicke und blicke durch die Fensterfront auf die Potsdamer Straße. Menschen aller Couleur hasten vorbei, sich stauende Autos, Hupen… der ganz normale großstädtische Moloch.
„Und das Verrückteste“, bricht es aus mir hervor, „wir mussten alle Masken tragen!“
„Karnevalsmasken – oder was?“
„Du nun wieder… Natürlich nicht! Ich meine solche Schutzmasken, wie sie die Chinesen in ihren Großstädten tragen. Du weißt schon.“
Thorsten grinst breit und blickt fragend auf mein fast leeres Glas.
„Logo. Damit ich mir ganz sicher bin, dass es nur ein Traum war.“
Neue Gäste kommen ins Pub, und Thorsten ist erstmal beschäftigt. Ich halte mich am Bier und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich sollte diesen Traum aufschreiben, denke ich bei mir. Er war so real. Unglaublich.

Welchen Tag haben wir? Ich reibe mir die Augenbutter aus den Augen. In der Gemengelage von Feiertagen und Wochenende verliere ich leicht den Überblick. Zeit aufzustehen, signalisiert mir meine innere Uhr, obwohl noch dunkel ist. Ich lag lange genug in den Federn. Was war das für ein verrückter Traum, den ich hatte? – Ich war im Pub. Thorsten bediente…