Spaghetti nach dem Regen

Kürzlich hatte ich eine Vision: Ich sah vor meinem geistigen Auge die Figur eines Mischwesens, halb Mann, halb Frau. Der Kopf mit einem langen Vollbart, wie ihn traditionell viele Moslems tragen, der aber seit einigen Jahren auch bei westlichen Männern stark in Mode ist (siehe z.B. Bloggerkollege Hypermental), Gesicht und Haarschopf waren von meiner Ex; und der Oberkörper: rechts die behaarte Brust eines Mannes, links eine weibliche Brust mit mehreren Brustwarzen… oder mehrere dicht aneinanderliegende weibliche Brüste mit je einer Brustwarze – genau habe ich es nicht mehr in Erinnerung. Jedenfalls hingen daran mehrere Missgeburten, die gesäugt wurden. Als ich diese Eingebung hatte, saß ich im Biergarten und schaute Löcher in die Luft. Die Bedeutung erschließt sich mir nicht. Wäre aber ein interessantes Motiv zum Malen.

Die Waschmaschine läuft. Endlich wieder Wochenende! Meine Bürokollegin war ungewöhnlich gut drauf. Sie freute sich darauf, mit ihrem Enkel zum Feuerwehrfest zu gehen. Ich nahm mir das Bierfest auf der Karl-Marx-Allee vor. Hoffentlich bleibt es trocken… Und hoffentlich treffe ich bei meiner kleinen Rundfahrt durch Berlin nicht auf meine Ex (man soll den Teufel nicht an die Wand malen).

Ein Starkregen läutete das Wochenende ein. Ich schaffte es gerade noch in die trockene Höhle des Pubs…, genoss das Geräusch des prasselnden Regens, den Blick hinaus auf die Straße und die frische Luft, die in den Schankraum strömte. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Und so trank ich mehr als meine üblichen drei Bier.
Es sah irgendwann danach aus, als ob der Regen nachließe. Noch ein Bier? Nein, ich hatte genug. Obwohl ein netter Kerl neben mir saß, der mir zwischenzeitlich seine halbe Lebensgeschichte erzählte. Etwas schleppend, aber wirklich interessant. Er hatte alles hinter sich und wartete auf das Ende. Keineswegs verbittert – ganz im Gegenteil: er genoss seine Freiheit „jetzt und hier“. Lediglich seine Krankheiten und Gebrechen schränkten ihn ein – aber naja. Mir ginge es ähnlich, meinte ich – doch war klar: er hatte einen Vorsprung
Zuhause rieb ich mir die Haare mit einem Handtuch trocken und kochte Spaghetti.

Das Unwetter auf Hel

Die Halbinsel Hel hängt 34 Kilometer wie ein fransiger Strich bei Wladyslawowo in die Danziger Bucht. Ich hatte einen ziemlich harten Tagesritt hinter mir und suchte dort lediglich einen Übernachtungsplatz. Der nächste Campingplatz auf meiner Tour lag erst bei Sopot, und bis dahin war es mir zu weit. Die letzten Tage verliefen wettermäßig im Wechsel regnerisch und heiß. Ich musste mein Zelt am Morgen oft nass einpacken, weil es in der Nacht Gewitter gab. Die Tage begannen dann düster, mit Regenschauern durchsetzt. Aber nachmittags setzte sich irgendwann die Sonne durch, und es wurde heiß auf der Strecke. Scheiße heiß – wenn man auf dem Bock über Stock und Stein, bergauf-bergab durch Pommernland radelte. Ich kam nicht selten an meine Grenzen. Nicht unbedingt körperlich, aber moralisch.
Ich war halbwegs zufrieden mit meiner Tagesleistung, als ich beim zweiten Campingplatz auf Hel das Zelt aufbauen durfte. Ich wurde auf meiner Reise ein paarmal abgewiesen. Viele Campingplätze nehmen gar keine Zelte an – nur noch Wohnwägen und Campingbusse, oder sie spezialisierten sich auf Wohncontainer. Das mit dem Zelten scheint immer mehr aus der Mode zu kommen. Die Menschen stehen nicht mehr auf solch Hardcore-Camping. Sie verweichlichen immer mehr. Warum soll man gerade im Urlaub auf Bequemlichkeiten verzichten? Nun ja, ich bin auch eine bequeme Sau… Aber genau deswegen gebe ich mir solche Fahrrad-Reisen, um nicht noch mehr abzustumpfen. Der westliche Konsumsumpf macht dich doch irgendwann blöde, so dass du nicht mehr weißt, ob du noch lebst oder schon total zum Zombie wurdest.
Der Tag endete heiß auf Hel, aber dass es auch in dieser Nacht gewittern würde, zeichnete sich am Horizont bereits ab. Wenigstens schlief ich in einem trockenen Zelt ein, auch wenn ich es am Morgen für die Reise wieder nass einpacken müsste. Gegen Mitternacht begann das Inferno. Ich kann mich nicht entsinnen, ein solches Agglomerat an Unwettern jemals so direkt erlebt zu haben. Wie versteinert lag ich in meinem Schlafsack. Unmöglich diese Dichte an Blitz und Donner zu schildern. Dazu die Wasserfluten, die in Kürze vom Himmel herabgingen, auf mein Zelt eintrommelten, – der Wind, der in Böen an diesem fragilen Gebilde, in dem ich armes Würstchen meine Schlafruhe suchte, zerrte. An Schlafen war unmöglich zu denken. Das Wasser unterspülte das Zelt. Mit einem Rest Humor, dachte ich: Aha, so fühlt sich also ein Wasserbett an. Gut, dass der Zeltboden dichthielt. Zwischendurch hörte ich von draußen diffus Stimmen von Mitcampern. Neben mir zeltete eine Gruppe junger Leute, die offenbar einiges zu tun hatten. Der Lichtkegel einer Taschenlampe streifte meine Zeltwand, und der Schatten meines draußen ausharrenden Fahrrads zeichnete sich darauf ab. Indessen ließ das Unwetter kaum nach. Ich lag auf meinem neuen Wasserbett und hoffte-betete, dass es da draußen bald ruhiger würde.
Am Morgen war der Spuk vorbei – als hätte ich nur einen wüsten Traum gehabt. Einen äußerst wüsten Traum mit Todesängsten. Von meinen Nachbarn war nichts mehr zu hören. Sie schliefen nach der nächtlichen Aufregung sicher erstmal aus. Eines ihrer Zelte hatten sie auf eine erhabenere Stelle umgesetzt. Das Wasser unter meinem Zelt war inzwischen abgeflossen. Die Helligkeit des Tages holte mich zurück in die Wirklichkeit. Wie schön, dem Vogelgezwitscher zu lauschen…
Ich schlappte durch die Nässe zu den Sanitäranlagen mich waschen, vorbei an den Wohnwägen, Wohnmobilen und dicken SUVs. Der Campingplatz lag wie ausgestorben da. Wir waren alle davongekommen. Manche besser, andere schlechter.