Wochenende, und ich mache das, was ich am besten kann, nämlich Nichtstun. Das ist nicht unbedingt typisch deutsch. Ich weiß nicht, von wem ich es habe, von meinen Eltern sicher nicht. Die waren alles andere als faul. So weit ich mich erinnern kann, gaben sie sich nie dem Nichtstun hin. Meine Eltern waren fleißige, ordnungsliebende, brave und genügsame deutsche Bürger. Ich nehme an, dass sie nach den traumatischen Kriegserfahrungen, eine große Sehnsucht nach Ordnung und Normalität hatten. Dazu kam eine Erziehung im Dritten Reich, welche auf Zucht und Ordnung abhob. In vielen deutschen Haushalten ging es ähnlich zu wie in dem unseren. Das deutsche Spießertum erlebte seine Blütezeit…
Am Nichtstun fand ich schon damals großen Gefallen. Die Schule war mir bald verleidet. Sie gerierte sich zu einem Hort des Zwanges, Drucks und der Angst – Vorbereitung auf die lebenslange Tretmühle. Mein Nichtstun bekam schnell den Anstrich von Rebellion. Ich entwickelte für mich das Prinzip der minimalen Anstrengung und Verdeckung, um in diesem Umfeld nicht unterzugehen. Dieses Prinzip bewahrte ich mir bis heute, ein halbes Jahrhundert später. Denn an der Tretmühle hat sich kaum was geändert. Die Leistungsgesellschaft zeigt nach wie vor ihre hässliche und verlogene Fratze, wenn man ihr die Schminke abwischt. Von wegen sozial und menschlich… Die Angepassten leben heute wie gestern am besten. Wer dem nackten Kaiser die schönsten Kleider andichten kann, kommt am weitesten.
Aber gut. Es ist, wie es ist. Ich hänge meinen Gedanken nach… Ich folge meinem Prinzip und genieße das Nichtstun.
Spießer
Eine gute Reiselektüre ist Gold wert
Als Reiselektüre hatte ich Bukowski im Gepäck. Der hält mich immer bei Laune, auch wenn er etwas viel übers Ficken schreibt. Bereits nach dem 2. Tag hatte ich die Short Stories halb durch. Ich konnte schließlich nicht nur auf die großen Pötte auf der Elbe und die Spießer gucken, die da rumliefen oder sich zum Fressen in den Restaurants niederließen. Wedel ist nicht die Stadt, wo ich unbedingt leben wollte. Eine typische Ortschaft ohne nichts, wie es tausende Orte in Deutschland und überall auf der Welt gibt. Immerhin fand ich dort einen Laden, wo ich ein paar Hosen erstehen konnte. Die Verkäuferin war jung, hübsch und aufrichtig freundlich. Ich hatte Glück.
Ich trieb mich den halben Tag dort an der Elbe herum und trank Bier. Mir wurde bald langweilig. Also radelte ich zurück zum ElbeCamp und weiter nach Blankenese, wo ich nochmal ein Bier trank. Ich erkannte, dass es mehr oder weniger arme und reiche Spießer gibt. Hier waren offensichtlich die reicheren und eingebildeteren unterwegs. Ich kann gar nicht sagen, wie mich diese Laffen ankotzen…
Gut, dass ich meinen Bukowski dabeihatte.
Ich war schon immer gegen Konventionen
Der Mainstream ist meist nicht nach meinem Geschmack. Mehrheits-Haltungen finde ich spießig… Doof, dass ich als „normal Hetero“ geboren wurde. Bin ich aber nun mal.
Seit sich immer mehr Menschen als schwul, lesbisch, bisexuell und „divers“ outen, atme ich auf. Könnte es sein, dass ich als Hetero in Wirklichkeit in der Minderheit bin? – Das würde besser zu mir passen.
Diktatur der Angepassten
Nichts Neues im Konsumwunderland
Der gesunde Menschenverstand war noch nie ein gutes Argument, weil ihn jede Seite für sich beansprucht. Wer medial die Hoheit besitzt, kann Meinungen nach Belieben lenken. Quantität siegt über Qualität. Das ist nicht neu. Wer seine Lügen am Besten verpackt, ist am erfolgreichsten. Heutzutage spricht man von Framing… Wir leben inmitten eines weltweiten Informationskrieges. Auch das ist nicht neu. Ständig schlagen Fakenews in unseren Köpfen ein und verunsichern uns. Valide Fakten werden unter den Tisch gekehrt, wenn sie sich für das eigene Meinungs- und Handlungsregime nachteilig auswirken könnten. Die „Kriegspropaganda“ zeichnet ein klares Schwarzweißbild. Es sollen keine Zweifel darüber entstehen, wen wir als Freund oder als Feind anzusehen haben. Erst nach dem Krieg erkennen wir, wie töricht es war, auf die Masche der Kriegstreiber hereinzufallen. Was aber, wenn es sich um einen endlosen Krieg handelt? Dann wären wir ewig in unserer Sichtweise gefangen/geframt, je nachdem auf welcher Seite des Konflikts wir ständen – nicht nur manipuliert, sondern total assimiliert.
Das Gute ist dann, was die Hoheit, der wir uns unterwarfen, als gut absegnet, und jeder, der dies in Frage stellt, wird als böse für die Gemeinschaft erklärt. Auch das ist nicht neu in der Geschichte der Menschheit. Die Verkleidungen des Teufels sind mannigfaltig. Besonders gefällt ihm die Verkleidung als Gutmensch und Spießer/Opportunist. Der Teufel hat ein Faible für perfide/hinterfurzige Taktiken. Viele von uns können den Diavolo in sich nicht ausmachen. Sie folgen relativ unkritisch/geradlinig seinem (kapitalistischem, ideologischem, religiösem…) Verführungs-Mantra.
Sei es so.
Schieflage
Ich spüre es allerorts: Die Leute haben die Schnauze voll. Am Besten das Thema „Corona“ vermeiden. Weil man Repressalien fürchtet, trägt man Maske und hält Abstand. Doch das Ganze bricht an den schönen Frühlingstagen auf, wenn die Menschen zu Hunderten in die Parks strömen. Sie scheißen auf den Verordnungssalat und lassen ihrer Lebensfreude freien Lauf. Selbst die Ordnungshüter bringen sie nicht zur Raison. Ich beneide die Polizisten nicht um ihre tumbe Sisyphusarbeit. Statt Verbrecher zu jagen, wird ihnen nun auferlegt, harmlose Bürger zu drangsalieren. Die Grundrechte wurden ausgehebelt. Das Corona-Angstgespenst geht um. Für dumm und verantwortungslos/asozial werden all jene erklärt, die sich von der regierungsgesteuerten Corona-Propaganda nicht einwickeln lassen. Meinungsfreiheit?! – Fehlt nur noch, dass die Gedankenpolizei auf den Plan tritt…
Mir wird entgegengehalten, dass ich übertreibe. Kann schon sein, dass ich etwas sensibel reagiere, wenn mir Freiheiten weggenommen werden – Corona als Rechtfertigungsgrund ist mir einfach zu wenig. Dabei will ich weder die Existenz von Covid-19 ignorieren, noch die durch das Virus evozierten Erkrankungen kleinreden. In einer offenen Gesellschaft gibt es viele Risiken, zu verunglücken, zu erkranken und (vor der Zeit) zu sterben. Die Corona-Gefahr ist dahingehend einzuordnen. (Nicht mehr und nicht weniger.) Seit gut einem Jahr höre ich aber nur noch „Corona“… Wo bleibt der Sachverstand? Wo bleibt der lebendige Diskurs? Warum werden die Kritiker der Corona-Politik nicht gehört, sondern geächtet?
Ich spüre es allerorts: Die Menschen lassen sich nicht bändigen. In ihren Herzen scheißen sie auf die Staatsgewalt. (Von den Spießern/Opportunisten und Angsthasen mal abgesehen.)
TV-Tipp
„Der Untertan“, 20 Uhr 15, 3sat
…
Die eigentliche Krankheit ist der Mensch
Viele wundern sich, warum so viele Amerikaner Trump-Anhänger sind. Viele wundern sich, wie sich die AfD in der deutschen Parteienlandschaft etablieren konnte. Viele wundern sich über den Zuwachs der Rechten in Europa. Viele wundern sich, wie es kommen konnte, dass Großbritannien die EU verließ. Viele wundern sich über die immer stärker aufkommende Kritik an den demokratischen Systemen. Viele wundern sich über die Sehnsucht nach dem starken Führer. Viele wundern sich über China. Viele wundern sich über die zunehmende gesellschaftliche Spaltung: Arm gegen Reich, Jung gegen Alt, Links gegen Rechts, Schwarz gegen Weiß, Stadt gegen Land, Nord gegen Süd, West gegen Ost, Diktatur gegen Demokratie… Viele wundern sich über religiöse Fanatiker. Viele wundern sich über Neonazis. Viele wundern sich über Rassismus, Antisemitismus, Menschenhandel, Terror und Kriege im 21. Jahrhundert, als hätten wir gar nichts aus der Geschichte gelernt. Viele wundern sich über die nach wie vor inflationär stattfindende Zerstörung der Umwelt…
Viele wundern sich auch gar nicht. Oder sie wundern sich nicht lange. Weil sie gar keine Zeit fürs Hinterfragen haben. Oder weil sie keine Lust dazu haben. Bringt ja eh nichts, sich über alles Gedanken zu machen. Aber eine Meinung haben sie schon. Woher auch immer. Und so regen sie sich über Menschen mit anderen Ansichten auf. Hauptsache, man regt sich auf. Fakten spielen keine Rolle. Die Realität spielt keine Rolle. Einfach den anderen abqualifizieren. Ihn auslachen. Muskelspielereien.
Ich wundere mich, seit ich denken kann (seit gut 50 Jahren), darüber, dass die meisten meiner Mitmenschen (meiner Meinung nach) viel zu unkritisch sind. Unkritisch gegenüber allem: Gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen. Gegenüber den politischen Systemen. Gegenüber ihrem eigenen Leben, ihren Wünschen und Erwartungen. Gegenüber den Indoktrinationen durch Nation und Religion, je nachdem, wo sie aufwachsen. Gegenüber den übergestülpten Wertesystemen. Gegenüber den vielen Lügen und Unstimmigkeiten in dieser Welt.
Viel zu viele, die ehemals für die Wahrheit aufstanden und stritten, ob damals während der 68er oder zu anderen Zeiten, versanken nach und nach im Sumpf der Angepasstheit. Sie nennen es vielleicht Altersweisheit. Natürlich lernt man aus seinen Erfahrungen. Vielleicht hatten sie aber auch keinen Arsch in der Hose.
Ich blieb mir und meinen Fragen treu. Ich blieb meiner Auflehnung treu. Anpassung niemals im Geiste. Ich werde doch nicht zum Teufel jagen, was mein Menschsein ausmacht. Wenn schon ein Marionettendasein, dann ein kritisches.
Erschöpft
Glieder und Rücken schmerzen vom langen Liegen. Mit ein paar kurzen Unterbrechungen lag ich gut 14 Stunden in der Koje. Ich fühle mich, als wäre ich gut doppelt so alt. Unglaublich, was man innert einem Menschenleben leiden muss… Vor allem empfindsame Seelen (wie ich) tragen schwer am Dasein.
Ja, ich weiß, die ganze Welt ist sensibel – nicht dass sich ein Sensibelchen hier auf den Schlips getreten fühlt. Ich muss echt aufpassen mit diesen Verallgemeinerungen. Die rutschen einfach so raus. Oft rede ich von der Spießer-Gesellschaft und kriege dann sofort Gegenwind. Einige Artgenossen fühlen sich gleich in die Spießerecke gestellt. Aber gemach, gemach, ich schätze, dass in jedem von uns ein kleiner Pharisäer steckt. Oder nicht? … Mehr oder weniger.
Seit einigen Jahrzehnten beobachte ich, dass der Spießer-Index unserer Gesellschaft wieder kontinuierlich ansteigt. War in den Nachkriegsjahren das Spießertum hauptsächlich kirchlich und in der Traditionsbewahrung verortet, sehe ich den heutigen Spießer vor allem als sattgefressenen Einfaltspinsel, der sich mit seinem Wohlstand brüstet. Reaktionär hält er an seinem Konsum- und Mobilitätsstatus fest. Er huldigt dem Auto, dem Smartphone und den Einkaufszentren. Auf riesigen Kreuzfahrtschiffen lässt er sich exklusiv über die Weltmeere schippern, oder er fliegt mal eben zum Vergnügen nach Malle oder sonst wohin. Der Spießer von heute ist ein anderer als noch vor 50 Jahren. Jedes Zeitalter bringt ein anderes Spießertum hervor, welches überwunden werden sollte. Damals waren es Flowerpower und Friedensbewegung, die neuen Wind in den spießigen Mief brachten. Heute ist es die „Fridays for Future“ Bewegung. Seit Corona höre ich allerdings nichts mehr von ihr. Ich hoffe, die jungen Leute lassen in ihrem Bemühen nicht nach, gegen die umweltzerstörende Wachstumsseuche Kapitalismus zu protestieren. Die Hoffnung für die Zukunft einer Gesellschaft lag nie bei den Spießern, sondern stets bei der Jugend, die frisch und unbedarft ins Leben startet und zurecht die alten Hüte kritisiert, – zumal wenn der Handlungsbedarf zur Erhaltung einer lebenswerten Welt immer dringender wird: Frischer Geist gegen die ewigen Bewahrer! Lasst euch nicht eure Empfindsamkeit nehmen! Traut euren Herzen!
Die erste Arbeitswoche nach dem Urlaub war anstrengend. Zurück ins Korsett des Arbeitsalltags. Die Verabschiedung meiner alten Bürokollegin in den Ruhestand schwingt emotional nach. Dann die Weiterbildung, die all meine Konzentration erforderte. Das wird auch noch ein Weilchen anstrengend bleiben, bis sich das Neue in meinem Kopf verfestigt. Die Stimmung unter den Büro-Hühnern ist so-la-la. Jedenfalls schienen sich einige wirklich zu freuen, mich mal wieder zu sehen. Schön. Nun erstmal Wochenende.
Ach ja, das Pub hat wieder geöffnet! Bei dem schwülheißen Wetter werde ich aber eher den Biergarten aufsuchen…
Karl
Gibt es da draußen in den unendlichen Weiten des Alls einen Menschen oder auch einen Außerirdischen, der wie ich Weihnachten zum Kotzen findet, zumindest mit diesem ganzen Zinnober nichts anfangen kann? Melde dich bitte! Es ist ein verdammt scheußliches Gefühl, mit seiner Einstellung ganz allein zu sein…
Ich habe zwar Karl, der regelmäßig an Weihnachten und Silvester Mitleid mit mir hat und vorbeikommt, aber Karl ist eben nur in meinem Kopf… Obwohl, so genau weiß ich es nicht. Momentan sitzt er auf meiner Couch und grinst mich an. Er ist so lässig wie ein Goldfisch im Aquarium, dabei aber rotzgescheit. Beinahe besserwisserisch. Keine Ahnung, ob er ein Außerirdischer oder einfach ein Hirngespinst ist. Er sagte nie, woher er kommt. „Das ist unwesentlich“, meinte er, „du hängst viel zu sehr am Irdischen.“ „Woran zum Teufel soll ich mich denn sonst orientieren?“ fragte ich zurück. Und wie reagiert Karl? Er grinst mich breit an. Wie immer, wenn er bei mir sitzt. Jetzt übrigens auch. Wir müssen nicht mehr viel miteinander reden. Ich kenne ihn, und er kennt mich.
Karl ist nicht schon immer da. Er kam erst, als ich gegen die Gesellschaft mit ihren ganzen Unsinnigkeiten und geistigen Oberflächlichkeiten rebellierte. Also so vor gut vierzig Jahren. Genau weiß ich es nicht mehr. Umso mehr ich realisierte, dass die Welt, in die ich hineingeboren wurde, sich mit meinem Denken und Fühlen schwer vereinbaren ließ, desto mehr kam Karl ins Spiel. Er gab mir zu verstehen, dass ich mir in Bezug auf die Menschheit keine Hoffnung machen sollte.
„Und warum bin ich anders?“ fragte ich.
„So viel anders bist du gar nicht – nur in einem Punkt eigentlich…“
„Aha. Und der reicht, dass ich mich in der Welt unglücklich fühle?“
„Kennst du Platons Höhlengleichnis?“
Und da ich damals keine Ahnung vom Höhlengleichnis hatte, erzählte es mir Karl. Ehrlich gesagt, kapierte ich es nicht so ganz… War mir didaktisch zu kompliziert. Die Quintessenz erfahre ich aber täglich emotional.
So ist Karl nun mal. Er kann den Klugscheisser nicht ganz ablegen. Trotzdem mag ich ihn, weil er mich versteht. Er versteht, warum ich Weihnachten und Silvester zum Kotzen finde. Ich bin ein Bauch-Typ. Karl dagegen ist Intelligenzler. Irgendwie sind wir wie zwei Seiten einer Medaille. Sage ich mal spontan unüberlegt, wie ich eben bin…
Karl sitzt also heute wieder bei mir auf der Couch und grinst. Schön. Wenn er mal nicht an Heiligabend käme, wäre ich echt traurig. Vielleicht nehme ich ihn nachher mit ins Pub. Karl wird schon seine Klappe halten können. Er mehr als ich.
„Verplappere dich bei den Spießern nicht“, gibt er mir oft mit auf den Weg.
„Na klar.“
„Willst du einsam sterben?“
„Nö, eigentlich nicht.“
Und – was soll ich sagen? Besser ich hätte auf Karls Ratschläge gehört!