Wohin gehen als in mich selbst

Das Vertrauen in die Leuchttürme schwindet zusehends. Die Küstenlinien verschoben sich. Zu viele falsche Leuchtfeuer werden gezündet. Die Wissenschaften gelten als das tragende Leuchtfeuer der Moderne und Postmoderne… Daneben die Ruinen der alten Religionen. Die Herzen der Menschen wechseln von einem Käfig in den anderen. Es ist ein einziges Orientierungsdesaster. Der menschliche Geist scheitert an den Klippen seiner Ideen. Abermillionen Seelen folgen den falschen Lichtern und gehen unter – gestern wie heute.
Auch die Elfenbeintürme der Intelligenzia werden einstürzen. Sie bescheinen nur sich selbst. Die Wissenschaften verzetteln sich im Spezialistentum.
Und die Politik kann sich noch so strecken, sie erreicht die Herzen der Bürger nicht. Demokratie und Grundgesetz verlieren an Strahlkraft, – werden auf das Schlachtfeld der Meinungen geschleift, bis sie stumpf und abgewetzt erscheinen.

Seit Jahrzehnten hüte ich mein eigenes kleines Licht. Das Vertrauen in die Leuchttürme dieser Welt verlor ich bereits in der Schule. Meine Fragen wurden an diesem hehren Ort der Wissensvermittlung belächelt und weggewischt. Der Lehrplan sah nicht vor, das Herz zu bilden. Stattdessen wurden die Köpfe der Schüler mit allerlei Wissen zugemüllt. Es hieß, wir sollten auf die Leistungsgesellschaft vorbereitet werden. Unsere Zukunft schien vorgezeichnet.
Mein kleines Licht ging nie aus. Ich schreibe in jedem Gedicht und Text davon. In jedem Bild, das ich male, leuchtet mein eigenes kleines Licht… Und obwohl es mich in die Einsamkeit führte, halte ich eisern daran fest.

   

Ernste Fragen

Wenn die Welt noch zu retten ist, so wird sie von den Amateuren gerettet werden. Die Spezialisten sind mehr als alle anderen verantwortlich für die desolate Lage, in der wir uns befinden. Sie wissen über zu wenig zu viel, aber jeder weiß etwas ganz Besonderes. Sie können kaum einander verstehen; sie reden auch nicht miteinander; sie sitzen stumm und dienstbar da. Für die Laienwelt sind sie von sehr begrenztem Nutzen. Will man ihre Weisheit anzapfen, muss man die richtige Stelle des betreffenden Spezialfasses sehr genau kennen – die Fässer sind mit unzähligen falschen Hähnen besetzt, aus denen nichts als heiße Luft kommt. Nur ein einziges Spundloch steht wirklich mit der Quelle des Spezialwissens in Verbindung, und hier wird der Interessent mit einer üppigeren Dosis Wissen durchnässt, als ihm lieb ist.
Erwin Chargaff

Gleich der erste Absatz sagte mir, dass ich die richtige Lektüre gewählt hatte. Der Autor Erwin Chargaff (Wissenschaftler und Schriftsteller, 1905 – 2002) formuliert vorzüglich, was ich schon lange über den Wissenschaftsbetrieb und das zunehmende Spezialistentum denke.
Als Amateur werde ich nicht ernstgenommen, wenn ich die Elfenbeintürme dieser Welt kritisch beleuchte. Darum ist es wohltuend für mich, dass doch nicht alle Wissenschaftler und großen Geister im Gleichschritt gehen, wie uns aktuell weißgemacht wird.
Erwin Chargaffs Essayband „Ernste Fragen“ lege ich all jenen ans Herz, die sich gedanklich über den Tellerrand des Wissenschaftskultes hinauswagen wollen. Kritisches Hinterfragen tut Not.