Zurzeit stehe ich auf Blumenkohl. Auch mal Broccoli oder Romanesco. Bei letzterem fühle ich mich vor allem von den wunderbaren fraktalen Strukturen angezogen. Fraktale finde ich faszinierend, wie sie auch in den immer weiterführenden Verästelungen von Bäumen oder im Adergeflecht des menschlichen Körpers zu bestaunen sind, eigentlich überall in der Natur. Ein bekanntes Beispiel eines Fraktals ist die Küstenlinie Großbritanniens, welche immer länger wird, wenn man die Messgenauigkeit/Auflösung erhöht. Um vernünftige Ergebnisse zu erhalten, muss man sich also auf eine Auflösung für alle Küstenlinien einigen. Und so verhält es sich mit vielen Dingen unserer Wirklichkeit – wir legen sie vernunftbedingt fest, um es im Alltag und darüber hinaus (z.B. bei Arbeitsprozessen, in der Wissenschaft, im gesellschaftlichen Miteinander) leichter zu haben. Nach und nach entwickelte sich eine globale Doktrin der Weltsicht – eine Art Gleichschaltung (positiver: Gleichklang). Das Manko dabei ist, dass uns die Sensibilität für andere Wirklichkeiten (oder andere Ebenen der Wirklichkeit) flöten geht. Zudem sind wir verführt zu glauben, dass die von uns selbst normierte Wirklichkeit, nicht nur ein Bild derselben ist, sondern wahrhaftig die einzige Wirklichkeit. Doch jegliche Entität, die meint, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein, läuft in die Irre und kann großen Schaden anrichten. Nur zwei Beispiele aus der Geschichte: Kirche und Hexenverfolgung, Nationalsozialismus und Rassenwahn. Auch heute keimen nach wie vor munter fundamentalistisch ideologische und religiöse Haltungen, welche eine humanistisch und freiheitlich geprägte Welt verhindern wollen. Selbst die Wissenschaftsgemeinde (ein Instrument der Aufklärung) tritt mir oft zu selbstüberzeugt/selbstherrlich auf (als ließen sich alle Probleme mittels Wissenschaft und Technik lösen), – blind gegenüber den Lebensrealitäten außerhalb ihres Elfenbeinturms.
Mein Kredo in dieser Sache: Mir ist egal, wie lang die Küstenlinie Großbritanniens ist. Auf ein paar Kilometer mehr oder weniger sollte es nicht ankommen. Ich nenne es Toleranz.
Es riecht nun in der Küche nach Blumenkohl. Er köchelt vor sich hin. Das Küchenfenster beschlägt. Ich zeichne mit dem Finger ein Herz auf die Scheibe. Mal sehen, wie lange es sich hält.
Und alles vergeht und ist gleich. Die Farben verblassen. Die Welt im Kochtopf. Meine Existenz ein kondensierter Wassertropfen…
Sensibilität
Erschöpft
Glieder und Rücken schmerzen vom langen Liegen. Mit ein paar kurzen Unterbrechungen lag ich gut 14 Stunden in der Koje. Ich fühle mich, als wäre ich gut doppelt so alt. Unglaublich, was man innert einem Menschenleben leiden muss… Vor allem empfindsame Seelen (wie ich) tragen schwer am Dasein.
Ja, ich weiß, die ganze Welt ist sensibel – nicht dass sich ein Sensibelchen hier auf den Schlips getreten fühlt. Ich muss echt aufpassen mit diesen Verallgemeinerungen. Die rutschen einfach so raus. Oft rede ich von der Spießer-Gesellschaft und kriege dann sofort Gegenwind. Einige Artgenossen fühlen sich gleich in die Spießerecke gestellt. Aber gemach, gemach, ich schätze, dass in jedem von uns ein kleiner Pharisäer steckt. Oder nicht? … Mehr oder weniger.
Seit einigen Jahrzehnten beobachte ich, dass der Spießer-Index unserer Gesellschaft wieder kontinuierlich ansteigt. War in den Nachkriegsjahren das Spießertum hauptsächlich kirchlich und in der Traditionsbewahrung verortet, sehe ich den heutigen Spießer vor allem als sattgefressenen Einfaltspinsel, der sich mit seinem Wohlstand brüstet. Reaktionär hält er an seinem Konsum- und Mobilitätsstatus fest. Er huldigt dem Auto, dem Smartphone und den Einkaufszentren. Auf riesigen Kreuzfahrtschiffen lässt er sich exklusiv über die Weltmeere schippern, oder er fliegt mal eben zum Vergnügen nach Malle oder sonst wohin. Der Spießer von heute ist ein anderer als noch vor 50 Jahren. Jedes Zeitalter bringt ein anderes Spießertum hervor, welches überwunden werden sollte. Damals waren es Flowerpower und Friedensbewegung, die neuen Wind in den spießigen Mief brachten. Heute ist es die „Fridays for Future“ Bewegung. Seit Corona höre ich allerdings nichts mehr von ihr. Ich hoffe, die jungen Leute lassen in ihrem Bemühen nicht nach, gegen die umweltzerstörende Wachstumsseuche Kapitalismus zu protestieren. Die Hoffnung für die Zukunft einer Gesellschaft lag nie bei den Spießern, sondern stets bei der Jugend, die frisch und unbedarft ins Leben startet und zurecht die alten Hüte kritisiert, – zumal wenn der Handlungsbedarf zur Erhaltung einer lebenswerten Welt immer dringender wird: Frischer Geist gegen die ewigen Bewahrer! Lasst euch nicht eure Empfindsamkeit nehmen! Traut euren Herzen!
Die erste Arbeitswoche nach dem Urlaub war anstrengend. Zurück ins Korsett des Arbeitsalltags. Die Verabschiedung meiner alten Bürokollegin in den Ruhestand schwingt emotional nach. Dann die Weiterbildung, die all meine Konzentration erforderte. Das wird auch noch ein Weilchen anstrengend bleiben, bis sich das Neue in meinem Kopf verfestigt. Die Stimmung unter den Büro-Hühnern ist so-la-la. Jedenfalls schienen sich einige wirklich zu freuen, mich mal wieder zu sehen. Schön. Nun erstmal Wochenende.
Ach ja, das Pub hat wieder geöffnet! Bei dem schwülheißen Wetter werde ich aber eher den Biergarten aufsuchen…