Danke

Die Ostsee verliert man schnell aus dem Blick, wenn man nicht direkt an der Küste entlangfahren kann. Im Umland ist es zwischen den vielen Dörfern schwierig mit der Orientierung. Leider half mir meine Radreisekarte nicht immer, so dass ich mich durchfragen musste. Ich fühlte mich streckenweise wie auf einer Schnitzeljagd. Wenn mir andere Radler entgegenkamen, wusste ich, dass ich nicht ganz falsch sein kann, und der Weg irgendwo rauskommt.
2 Tage krabbelte ich wie ein Käfer im Zickzackkurs an der Ostseeküste entlang, bis ich als letzte Station einen Campingplatz, ca. 8 km von Oldenburg ansteuerte. Von Oldenburg aus wollte ich meine Rückreise mit dem Zug antreten. Meine Urlaubstage schmolzen dahin. Auch fühlte ich mich zugegebenermaßen ganz schön K.o…
Dann das Wetter. Richtig gemütlich wurde es selten, in den Nächten bitterkalt. Ich musste mich vollständig in meinen Schlafsack einmummeln, wenn ich nicht frieren wollte – nur doof, wenn der Reißverschluss Probleme macht.

Hier war ich angekommen, und vielmehr hatte ich mir auch nicht vorgenommen. Dabei viel frische Luft, Bier und wunderbare Landschaften genossen… an der Elbe, am Nord- Ostseekanal, an der Ostsee. Danke für dieses Erlebnis. Und ein großes Danke an meine Schutzengel.

Ich nehme vorher nochmal alle meine Schutzengel ins Gebet

„Okay, ihr habt mich immer gut begleitet auf meinen Wegen. Dafür bin ich euch ewig dankbar. Ihr hattet keinen leichten Job… Aber das muss ich euch nicht sagen. Früher oder später kommt es, wie es kommen muss. Ihr hättet längst schon resignieren können.
Nun werde ich diese Reise machen. Vielleicht habe ich es nicht verdient, aber ich bitte euch, mir nochmal zur Seite zu stehen. Nicht, dass ich in die Nord- oder Ostsee falle… Ihr kennt meine Neigung, mich auf solchen Fahrten mit Alkohol zu dopen. Und dann fahre ich womöglich Schlangenlinien.
Außerdem könnte ich mich übernehmen, einfach vom Fahrrad kippen und von einem Traktor überrollt werden.
Okay, ich mache es kurz – schließlich seid ihr die Profis. Ich wollte einfach nur Danke sagen für eure hervorragende Arbeit bis heute… Lasst mich nicht im Stich.
Danke!“

 

Vatertag 2021

Der Vatertag fällt buchstäblich ins Wasser. Na gut: 1. bin ich kein Vater, und 2. ist mir im Urlaub ein Tag so gut wie der andere. Etwas schöneres Wetter hätte ich mir freilich gewünscht, um mit dem Fahrrad durch die Gegend zu pirschen oder im Park zu klönen. Nach überreichlich Aprilwetter hatte ich auf den Mai gehofft. Doch leider prognostiziert der Wetterfrosch eine längere Schlechtwetterperiode. Was bleibt mir da zu sagen? Es ist, wie`s ist. Ich ergebe mich dem Schlechtwetter-Blues… und sende Petrus einen Gruß: „Bitte kumm ma mit kane Ausreden mehr. Ausreden wüll i nimmer hern“ – aus einem Song von Ambros & Heller (– kam mir intuitiv in den Sinn). Den Song werde ich mir nachher auf YouTube aufrufen. Schon lange nicht mehr gehört.
Außerdem rufe ich meinen Papa im Himmel an: Kannst du mal nachgucken, was da bei euch los ist?! Pennt Petrus etwa?! … Mein Papa – Pragmatiker in Person. Auf ihn war 100% Verlass. Wenn er etwas anpackte, machte er es richtig. Bei Widerspruch konnte es gewaltig knallen… Petrus sollte sich also schon mal warm anziehen. Erst im Alter wurde mein Papa weicher, beinahe zärtlich. Die Demenz holte ihn sich – grausam und konsequent… Ich blickte nie hinter seine Stirn. Er war verschlossen und wortkarg. Oft hatte ich Angst vor ihm – vor seinen jähzornigen Ausbrüchen. Er arbeitete hart für die Familie. Die Familie war sein Heiligtum, und er herrschte über sie.
Ach Papa, ich fand nie zu dir… Aber eines rechne ich dir hoch an: Wenn ich in der Scheiße steckte, halfst du mir ohne Wenn und Aber heraus. Vielleicht wirkst du immer noch im Verborgenen als mein Schutzengel… Es ist einfach deine Art, dich nicht offen zu zeigen.

Okay, genug jetzt mit dem sentimentalen Gequatsche – ich weiß, das macht dich nur verlegen.

Kein Mensch ist schuldlos

Als ich vor drei Jahren mit der Altenpflege aufhörte, hatte ich keine konkrete Idee, wie es weitergehen sollte. Ich wollte einfach raus aus dieser Klitsche. Die jahrelangen Nachtdienste hatten mich endgültig zermürbt. Ich bewegte mich nur noch als Schatten zwischen zwei Welten. Am Tage sah ich unsere Wohlstandskultur, die mir immer fremder wurde. Nein, stimmt nicht, die Welt um mich herum war mir bereits im Kindergarten und in der Schule fremd. Was war mit mir los? Warum kam ich nicht klar mit der Welt? Scheiße…
Und in der Nacht sah ich, wie alles zu Ende ging – realer hätte es nicht sein können. Seltsamerweise waren mir die Todgeweihten lieber als die Lebenden. Vielleicht mitleidsbedingt. Ich weiß nicht. Wer den Tod unmittelbar vor sich sieht, erkennt die Wahrheit (zum Verrücktwerden).
Oft trat ich auf die Terrasse des Altenheims und blickte in die Sternennacht. Ich wurde eins mit dem Gebäude und den Bewohnern, über die ich wachte.
Im Geheimen kämpfte ich mit meinen Ängsten. Ich wollte verstehen, warum die Welt ist, wie sie ist. Ich kam zur Altenpflege, weil ich erfahren wollte, was hinter den Mauern passiert, wo Menschen dahinsiechen und sterben. Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Zeit: Kein Mensch ist schuldlos. Das einzige, was uns bleibt, ist, Frieden machen – Frieden machen mit der Welt und den furchtbaren Dingen, die auf ihr geschehen.
Wenn das so einfach wäre…

Als meine Eltern starben, fühlte ich mich hilflos und überfordert. Ich hatte sie aufgegeben.
Ich lebte schon lange nur noch mein eigenes Leben. Allein die Liebe zu einer Frau holte mich zwischenzeitlich aus dem Schneckenhäuschen. Aber es reichte nie. Ich kapitulierte vor der neuen Verantwortung. Jeder Weg musste zur Sackgasse werden. Ich prallte gegen die immergleichen alten Ängste. Wenn ich wieder alleine war, konnte mir wenigstens niemand Vorwürfe machen, und niemand hatte Erwartungen.
Keine Ahnung, ob ich nur ein Arschloch unter vielen Arschlöchern oder ein einzigartig großes Arschloch bin. Das sollen die anderen Arschlöcher beurteilen. Ich weiß, dass ich Schuld auf mich lud, und ich versuche damit zu leben. Von wegen Selbstmitleid. Mir geht`s doch gut.
Bestimmt habe ich einen Schutzengel oder einen guten Geist, der in all den Jahren zu mir hielt. Wie hätte ich sonst so viel Glück haben können? Ich fand eine neue Liebe, eine Wohnung in Berlin, sogar einen neuen Job. Vor drei Jahren hätte ich mir das alles nicht vorstellen können. Manchmal denke ich an meine Eltern im Himmel, dass sie meine Schutzengel sind. Schon zu Lebzeiten halfen sie mir über manchen selbstverschuldeten Mist in meinem Leben hinweg. Sie machten mir nie Vorwürfe…
Warum bin ich nicht glücklich? frage ich mich, ich habe doch so viel verdammte Gründe, glücklich zu sein! Warum mache ich mir und dem Menschen, der mich liebt, das Leben so schwer?
Was ist mit mir los? Warum komme ich nicht klar mit der Welt?