Glück ohne Schmerz ist nicht denkbar. Es sieht so aus, als wäre das Glück von einer Corona des Schmerzes umgeben. Geburt und Tod umschließen das Leben. Der Weg zum Sieg ist von Niederlagen gepflastert. Das Glück der Liebe hängt am seidenen Faden. Jeglicher Reichtum wird zur Last. Das Aufglühen des Seins versinkt in der Nacht. Ich laufe gegen viele Wände, bevor ich einen Ausweg finde. Die Schönheit verblüht. Ich versacke im süßen Schmerz der Melancholie. Was sagen mir die Sterne? Ich öffne mein Herz und fühle nichts. Ich lasse mich von einem Tag in den nächsten fallen. Bin ich noch am Leben, wenn es nichtmalmehr weh tut? Warum weine ich, wenn ich nichts empfinde?
Ich werde immer auf dem Heimweg sein, vorbei an offenen und geschlossenen Türen. Wenn ich doch wüsste, was ich suche. Vielleicht ist mein Zuhause zu weit weg, oder es ist einfach da, wo ich gerade bin. Ich sollte glücklicher sein. Ständig laufe ich an mir selbst vorbei.
Nacht
Der Schuhkarton
An meinem Nachttisch steht ein Schuhkarton meiner Ex. Er hat genau die richtige Höhe, um darauf das Tablet zu stellen. Ich gewöhnte es mir an, im Bett Filme aus der Mediathek zu schauen oder YouTube-Videos. Ich gehe ziemlich früh zu Bett. Ich mache mir was zu essen und igele mich ein. Es gibt sonst nichts.
Ich schmiss fast alles von meiner Ex in die Tonne. Diesen einen Schuhkarton behielt ich. Er passt genau. Meine Ex hat die richtige Schuhgröße. Dazu muss man wissen, dass mein Bett nur aus Lattenrost und Matratze besteht, also ziemlich niedrig ist. Der Nachttisch überragt das Bett wie ein kleiner Turm. Zu hoch, um darauf das Tablet zu positionieren.
Meist gucke ich Krimis. Also erstmal einen Krimi oder zwei, drei Folgen einer Thriller-Serie. Und danach wechsele ich auf YouTube. Am Liebsten ziehe ich mir dort ein Hörspiel oder Hörbuch rein. Da muss ich nicht mehr hingucken, kann mich wegdrehen und mich ins Kissen kuscheln. Oft schlafe ich dabei ein.
Die Nächte sind lang, weil ich so früh zu Bett gehe. Ich schlafe sehr viel. Die meisten Träume sind passabel und beunruhigen mich nicht. Ich träume gern. Leider kann ich mir wenig davon merken.
Ich wundere mich über mich selbst, dass ich jeden Morgen aufstehe, einen neuen Tag beginne – ein Tag, von dem ich nichts erwarte, als ihn rumzubringen.
Die Mechanik dahinter
72 cm x 61 cm, Filzstift, Oktober 1995
Das Unwetter auf Hel
Die Halbinsel Hel hängt 34 Kilometer wie ein fransiger Strich bei Wladyslawowo in die Danziger Bucht. Ich hatte einen ziemlich harten Tagesritt hinter mir und suchte dort lediglich einen Übernachtungsplatz. Der nächste Campingplatz auf meiner Tour lag erst bei Sopot, und bis dahin war es mir zu weit. Die letzten Tage verliefen wettermäßig im Wechsel regnerisch und heiß. Ich musste mein Zelt am Morgen oft nass einpacken, weil es in der Nacht Gewitter gab. Die Tage begannen dann düster, mit Regenschauern durchsetzt. Aber nachmittags setzte sich irgendwann die Sonne durch, und es wurde heiß auf der Strecke. Scheiße heiß – wenn man auf dem Bock über Stock und Stein, bergauf-bergab durch Pommernland radelte. Ich kam nicht selten an meine Grenzen. Nicht unbedingt körperlich, aber moralisch.
Ich war halbwegs zufrieden mit meiner Tagesleistung, als ich beim zweiten Campingplatz auf Hel das Zelt aufbauen durfte. Ich wurde auf meiner Reise ein paarmal abgewiesen. Viele Campingplätze nehmen gar keine Zelte an – nur noch Wohnwägen und Campingbusse, oder sie spezialisierten sich auf Wohncontainer. Das mit dem Zelten scheint immer mehr aus der Mode zu kommen. Die Menschen stehen nicht mehr auf solch Hardcore-Camping. Sie verweichlichen immer mehr. Warum soll man gerade im Urlaub auf Bequemlichkeiten verzichten? Nun ja, ich bin auch eine bequeme Sau… Aber genau deswegen gebe ich mir solche Fahrrad-Reisen, um nicht noch mehr abzustumpfen. Der westliche Konsumsumpf macht dich doch irgendwann blöde, so dass du nicht mehr weißt, ob du noch lebst oder schon total zum Zombie wurdest.
Der Tag endete heiß auf Hel, aber dass es auch in dieser Nacht gewittern würde, zeichnete sich am Horizont bereits ab. Wenigstens schlief ich in einem trockenen Zelt ein, auch wenn ich es am Morgen für die Reise wieder nass einpacken müsste. Gegen Mitternacht begann das Inferno. Ich kann mich nicht entsinnen, ein solches Agglomerat an Unwettern jemals so direkt erlebt zu haben. Wie versteinert lag ich in meinem Schlafsack. Unmöglich diese Dichte an Blitz und Donner zu schildern. Dazu die Wasserfluten, die in Kürze vom Himmel herabgingen, auf mein Zelt eintrommelten, – der Wind, der in Böen an diesem fragilen Gebilde, in dem ich armes Würstchen meine Schlafruhe suchte, zerrte. An Schlafen war unmöglich zu denken. Das Wasser unterspülte das Zelt. Mit einem Rest Humor, dachte ich: Aha, so fühlt sich also ein Wasserbett an. Gut, dass der Zeltboden dichthielt. Zwischendurch hörte ich von draußen diffus Stimmen von Mitcampern. Neben mir zeltete eine Gruppe junger Leute, die offenbar einiges zu tun hatten. Der Lichtkegel einer Taschenlampe streifte meine Zeltwand, und der Schatten meines draußen ausharrenden Fahrrads zeichnete sich darauf ab. Indessen ließ das Unwetter kaum nach. Ich lag auf meinem neuen Wasserbett und hoffte-betete, dass es da draußen bald ruhiger würde.
Am Morgen war der Spuk vorbei – als hätte ich nur einen wüsten Traum gehabt. Einen äußerst wüsten Traum mit Todesängsten. Von meinen Nachbarn war nichts mehr zu hören. Sie schliefen nach der nächtlichen Aufregung sicher erstmal aus. Eines ihrer Zelte hatten sie auf eine erhabenere Stelle umgesetzt. Das Wasser unter meinem Zelt war inzwischen abgeflossen. Die Helligkeit des Tages holte mich zurück in die Wirklichkeit. Wie schön, dem Vogelgezwitscher zu lauschen…
Ich schlappte durch die Nässe zu den Sanitäranlagen mich waschen, vorbei an den Wohnwägen, Wohnmobilen und dicken SUVs. Der Campingplatz lag wie ausgestorben da. Wir waren alle davongekommen. Manche besser, andere schlechter.
Lange Nacht, Traum, Horst Krause und affenwarmer Sonntag
Ich träumte von ihrem Vater. Er nahm mich mit auf ein russisches Fest in Berlin. Wir tranken einige Schnäpse – ich war eingeladen. Ich fand ihn gar nicht übel, den Vater. Bevor er abreiste, schenkte er mir irgendwas traditionell Russisches. Es gefiel mir, hatte schöne Farben und gab seltsame Töne von sich…
Was man nicht alles träumt, wenn die Nächte lang sind.
Als ich aufwachte, fand ich nicht mehr zurück in den Schlaf. Der Wecker zeigte Vier Uhr morgens. Ich stöberte in der Mediathek des Tablets und guckte schließlich den Film „Küss die Hand, Krüger“ mit Horst Krause. Darin reisen zwei Stammgäste der Berliner Kiezkneipe „Zum Flachbau“ ihrer Wirtin nach Österreich hinterher. Die Wirtin will die Kneipe verkaufen, weil sie sich in einen österreichischen Charmeur verliebte. Das darf natürlich auf keinen Fall geschehen! meinen die Stammgäste. Einer von ihnen ist außerdem verliebt in die Wirtin. Es geht nun darum, ihr die Heiratsflausen auszutreiben. Die Reise führt sie erst an den Wolfgangsee, dann nach Salzburg und zwischendurch nach Wien. Nach und nach wird klar, dass der österreichische Herzbube ein Heiratsschwindler ist. War eh klar, oder?
Happyend! Die Heirat platzt, und der Heiratsschwindler kriegt was in die Fresse. Die Wirtin ist freilich sehr traurig – aber geläutert. Zurück in Berlin feiern sie das Ganze im „Flachbau“ mit einem Eisbeinessen, Getränke frei. Juchhe!
Was man sich nicht alles reinzieht… Der Film war seichter Schmonsens (mehr wollte er auch nicht sein). Der dicke Krüger stemmte es. Eine Szene gab es, die mich echt anrührte. Krüger düst kurz vor Ende alleine nach Wien zum Prater. Seine verstorbene Frau hatte sich ehemals so sehr dort eine Riesenradfahrt mit ihm gewünscht. Doch weil Krüger immer nur seine Arbeit im Kopf hatte, kam es nie dazu. Er mietet also eine ganze Gondel für sich allein und dreht ein paar Runden… im Gedenken an seine Frau.
Bei Riesenrädern werde ich unwillkürlich schwach. Was bin ich doch für ein sentimentaler Hund!
Inzwischen stand ich auf. Es ist auch schon hell. Die Sonne scheint. Alle pennen noch. Na klar, es ist Sonntag. Ich sitze etwas verloren vorm Computer. Spaßeshalber googel ich nach der Kneipe „Zum Flachbau“. Und ja, die gibt`s wirklich in Kreuzberg, sieht auch genauso aus. Der Film ist bestimmt `ne gute PR für den echten Wirt oder die Wirtin. Gar nicht so weit von hier – zwei Kilometer. Wie das Wetter aussieht, sollte ich unbedingt rausgehen. Im Wetterbericht lese ich, dass es mit 16 Grad geradezu affenwarm wird. (Isses möglich!)
Mein letzter Tag in Freiheit, wenn ich meine Krankschreibung morgen nicht verlängere. Ich bin zwar noch verschleimt, fühle mich aber nicht mehr krank. Bringt ja nichts, noch länger zuhause rumzusitzen. Also, unbedingt den heutigen Tag genießen – Faltrad auffalten, und los geht`s!
Verwechslung
Heute Nacht die Träume eines anderen geträumt. Derart abstrus war alles, dass ich mich gar nicht mehr an Details erinnern kann. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich wieder zurück in meiner Realität bin. Das Erwachen war wie ein sanfter Schock. Alles beim Alten, wie`s aussieht. Oder bilde ich mir das nur ein? Jeden Tag aufs Neue… Ich reibe mir die müden Augen.
Der Tag wischte eins-zwei-drei die Dämmerung weg, und ein astrein blauer Himmel streckt sich über die Häuserzeilen Berlins. Die Arbeit im Büro derweil in Lauerhaltung. Unermüdlich tickt die Uhr. Selbst in den Träumen steht sie nicht still. Schon verrückt. Ich werde das unheimliche Gefühl nicht los, dass die Welt eine Inszenierung ist. Schon jetzt weiß ich, wie die nächsten Stunden ablaufen. Das Gerüst steht bereits.
Aber auf das heute Nacht Geträumte war ich nicht gefasst. Das kam unmöglich von mir. Vielleicht hatte dafür ein anderer meine Träume – wäre doch denkbar. Irgendwer sitzt jetzt ähnlich fassungslos wie ich im anbrechenden Tag, ist total durch den Wind und fragt sich: Was war denn das, verdammt!?