Mensch und Mysterium

Das Mysterium des Lebens klopft bei mir regelmäßig an. Ich gerate in Zwiesprache mit der Absurdität des Daseins. Es ist ein existentielles Verlangen, das mich überwältigt… ähnlich wie das Verlangen nach Essen und Trinken, das Verlangen nach Liebe und Sex.
Was macht den Menschen aus? Sicher nicht allein die körperlichen Gelüste. Auch nicht der pure Spaß. Was ist Sex ohne Liebe und Leidenschaft? Was ist Essen und Trinken im Fast Food Restaurant? Warum gewöhnten wir uns an die Abwertung von Nahrungsmitteln in Supermärkten – greifen einfach ins Regal und füllen unsere Einkaufswägen? Und zuhause lassen wir uns von einer Spaßindustrie becircen: Computerspiele, Streaming-Dienste, 1000 TV-Programme, Werbesendungen ohne Sinn und Verstand…
Nein, nicht alle machen mit oder machen (wie ich) nicht bei allem mit – stellen kritische Fragen zum materialistischen und technokratischen Wahnsinn. Nicht alle wollen sich in Schablonen pressen lassen und funktionieren, wie es Zeitgeist und System vorsehen. Doch die Masse folgt blind den Rattenfängern. Die Menschen sind sattgefressen. Die Menschen sind satt von Konsum und Spaß. Die Menschen sind Sklaven des Hamsterrads (viele haben einfach Angst, den Halt zu verlieren)… Sie singen ihren Materialismus-Blues. Niemals haben sie Zeit. Sie hetzen durchs Leben als wäre es eine Schnitzeljagd.
Mir wird gesagt: Das Leben ist nun mal so. Du musst dich ihm stellen. Die Realität lässt sich nicht wegsaufen.  
Ich entgegne: Mag sein, dass das deine Realität ist – meine ist es nicht.
Mir wird gesagt: Du bist krank. Du bist Alkoholiker.
Ich entgegne: Es ist wahr, dass ich krank bin. Ich bin krank von euch und eurer Welt.
Mir wird gesagt: Du bist ein Egoist. Bringe dich ein in die Gesellschaft.
Ich entgegne: Ich glaube, mir wird schlecht…

Wenn das Mysterium des Lebens bei mir anklopft, öffne ich die Tür. Da steht niemand real vor mir. Es weht etwas durch mich.
Ich habe auch nicht mehr erwartet.

„Ich bin`s nur“ oder: Das Ding mit dem Dasein

Bevor ich die Frage nach einem Leben nach dem Tod stelle, frage ich vordererst nach dem Mysterium Leben. Was treibt mich an diesem Ort in dieser Zeit um als eine Kreatur, die sich Mensch nennt? Wer spricht aus mir? Ist das meine Seele? – oder ist es einfach dieser Nervenknoten in meinem Kopf, auch als Hirn bekannt? Und was heißt in diesem Zusammenhang Bewusstsein? Natürlich weiß ich, dass ich ich bin. Immer und immer wieder wache ich als derselbe auf, als der ich am Vorabend ins Bett ging. Und die Welt ist auch noch dieselbe, wenn ich meiner Erinnerung Glauben schenken darf. Freilich auf längere Sicht betrachtet, änderte ich mich schon – da muss ich mir nur ältere Fotos anschauen oder alte Gedichte und Blogbeiträge lesen. Es tat sich einiges in den mittlerweile fast sechs Jahrzehnten, in denen ich Tag für Tag die Sonne auf- und untergehen sah. Ich reifte heran und wurde Mitglied der Erwachsenenwelt. Wobei ich mit dem Attribut „erwachsen“ so meine Probleme habe. Aber das ist ein anderes Thema. Im Großen und Ganzen verlief mein Leben derart, wie es eben in unserer Gesellschaft vorgesehen ist. Wir leben in einer Art Korsett, und viele Menschen brauchen das auch, um nicht den Halt zu verlieren. Ich dagegen fühlte mich von den Erwartungen, Vorgaben und Zwängen durchweg gepiesackt und eingeengt. In meinem Kopf nahmen die Fragezeichen betreff der Sinnhaftigkeit menschlichen Treibens sowie der bestehenden Ordnung nie ab. Die Welt, in die ich geboren wurde, war mir fremd. Sie ist mir bis heute fremd. Ich lernte es, mich bis zu einem gewissen Grad anzupassen. Reiner Überlebenstrieb. Und natürlich veränderte ich mich mit den Jahren…, wie jede Kreatur dem Werden und Vergehen des Lebens unterworfen ist. Im Kern jedoch blieben meine Fragen nach dem, was ich hier eigentlich treibe. Und dieser Kern ist vielleicht das, was gemeinhin auch als Seele bezeichnet wird. Aber wo kommt die Seele her? Von meinen Eltern und Ahnen? Oder von den Sternen? (- was mir angenehmer wäre.) Ich glaube, dass von meinen Erzeugern lediglich die äußere Form stammt: zum einen körperlich, auch gewisse Charakterzüge, Begabungen, Stärken und Schwächen, quasi alles, was genetisch determiniert ist. Der Kern (oder die Seele) dagegen machen mein Ich aus. Selbst wenn das oberflächlich gesehen nur Leere sein sollte. Ich spüre, dass in meiner Form etwas ist, das den Tod überleben wird. Ich stelle mir die Seele wie einen Geistersamen vor, der von einer Form in die nächste fließt. Die Materie würde ohne diesen Geistersamen in sich zusammenfallen…

Soweit meine heutigen Gedanken zu dem entscheidenden Thema, welches mich, seit ich denken kann, beschäftigt und gewissermaßen prägt. Äußerst mysteriös das Ding mit dem Dasein…
Als ich am Morgen aufstand, hatte ich einen sonderbaren Gedanken: Wie wäre das, wenn ich in den Spiegel schaute, und die Person, die ich sähe, sie wäre nicht ich, sondern eine andere… Ich zögerte wirklich für ein paar Momente in den Badezimmerpiegel zu blicken. Verschlafen blinzelte ich dann doch hinein… und erkannte dieselbe Hackfresse wie immer. Die grinste mich breit an und meinte: „Ich bin`s nur.“
Was ein Trost!

 

Eine Minute

Vor der Mikrowelle auf den Kartoffelauflauf wartend, blickte ich wie gebannt auf die digitale Anzeige. Die letzte Minute wurde heruntergezählt. Ich beobachtete ganz bewusst die Zeit, wie sie verstrich. Sekunde für Sekunde. Es gab nur mich und die Zeit. Unglaublich, wie ätzend lange eine Minute ist, dachte ich, – und das mal 480 ergibt meinen Arbeitstag… Ein Horror! Noch immer musste ich 40 Sekunden auf das erlösende „Pling“ warten. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder – lediglich 2 Sekunden waren vergangen. Was für ein merkwürdiges Konstrukt die Zeit ist. Auch so ein Mysterium, dass wir nicht fassen können und normalerweise nicht hinterfragen. Zeit geschieht mit und ohne uns. Aber wenn alles, also wirklich alles, stillstände, würde dann immer noch Zeit vergehen? Vielleicht passiert Zeit nur dann, wenn wir sie beobachten? Noch „20 Sekunden“ zeigte mir die Digitalanzeige. Ich raufte mir die Haare – ich hatte mir eine verdammt lange Minute ausgesucht.
Eigentlich war ich bereits satt. Vorm TV esse ich oft aus Langeweile oder einfach des Genusses wegen. Ich führe regelrechte innere Kämpfe aus. Leider gewinnt (fast) immer der innere Schweinehund. Wieviel Kalorien kann der Kartoffelauflauf schon haben? Trinke ich halt morgen ein Bier weniger… 5 – 4 – 3 – 2- 1 – Pling!
Ich drückte auf die große Taste ganz unten, und die Tür der Mikrowelle sprang auf. Der Duft des heißen Kartoffelauflaufs stieg mir in die Nase. Genaugenommen war es ein Kartoffelauflauf mit Brokkoli. (Was es nicht alles gibt.) Ich leerte ihn aus der Schale auf einen Teller und garnierte den Haufen mit ein paar Spargelspitzen aus dem Glas. … Die Minuten vergingen wieder nebenbei. Irgendein Schmonsens im TV entführte meine Gedanken. Da ich es nicht abwarten konnte, verbrannte ich mir am Essen den Gaumen.