Töne brauchen einen Resonanzboden. Auch Worte klingen nicht überall. Milliarden Stimmen drehen sich im Kreis und verhallen im Nichts. Ich verschwinde in gedachten Höhlen. Wenn ich zurück an die Oberfläche komme, ist alles futsch. Es bleibt noch nicht mal die Sehnsucht nach irgendwas. Ich presse einen Text wie letzte Reste aus einer Zahnpastatube.
Ich bin so gut wie die Erde, die sich um ihre Achse dreht und um die Sonne kreist. Ich bin so gut wie ein Steppenwolf, der durch die Gegend streift, bis die Last der Einsamkeit ihm das Rückgrat bricht. Die Dunkelheit verschluckt meine Erinnerungen. Meine Geburt ist eine Verschwörungstheorie.
Ich warte auf das Ende des Liedes.
Musik
Herz auf der kalten Herdplatte
Wunderbares Berliner Leck-mich-am-Arsch-Wochenendwetter. Zwei Tage Homeoffice-Pause. Ich sitze im Halbdunkel des Wohnzimmers. Lou Reed in Zusammenarbeit mit Metallica kracht im Hintergrund „Brandenburg Gate“. Ich drehe lauter. Ich surfe durch meinen Kopf und finde nichts, nur eine wirre Ansammlung von Irgendwas…, – nennt sich großspurig mein Leben. Daran ändert auch der Drink auf meinem Schreibtisch nichts. Vorerst jedenfalls. Ich muss mich von den dummen Ansprüchen lösen. Gerade beim Schreiben. Einfach in eine Richtung fallen lassen. Das krampfhafte Suchen nach den richtigen Worten – was ein Bullshit! Und immer wieder komme ich ins Stocken… The Isley Brothers singen „Ohio/Machine Gun“. Klasse Song! Das Beste ist zeitlos. Sauge es auf. Tanze durch die Leere. Gänsehaut garantiert. Lass das verdammte Puzzle in der Kiste!
Ich schütte nach. Ich habe es warm. Immer wieder drehe ich den Kopf zum Fenster. Ich sehe hinaus in die Welt, zur Straße, zu den Wohnwaben gegenüber, zu den anderen… Ich denke in Metern und komme nicht vom Fleck. Satelliten kreisen um die Erde und vermessen uns. Drehe die Musik lauter. Drehe die Träume lauter. Das Vakuum ist Liebe. Mein Herz auf der kalten Herdplatte, während ich marionettenhaft durchs Leben wandele. Die Realität wird mir erzählt. Mal staune ich, mal ducke ich mich weg. Ich schlüpfe in Rollen. Heute bin ich nur ich. Ich lache innerlich über meine Worte. Roger Chapman singt „Turn it up loud“… Ich gehe in alle Richtungen und lande immer bei mir selbst. Ich bin mein eigenes Handgepäck. Ich schaue der Flugbegleiterin auf den Arsch. Reiseziel „Unbekannt“. Zwischenstation „Tod“.
Kein Entkommen gibt es nicht
Am Arsch der Welt ist überall… Was einem im Halbschlaf nicht alles in den Sinn kommt. Vor allem am frühen Morgen, das Kopfkissen umarmend, die Augen noch geschlossen. Gerade noch wirres Zeug geträumt, ordnen sich ein paar Gedanken zu bewussten Sentenzen.
Am Arsch der Welt ist überall
besonders an den Weihnachtsfeiertagen
kein Entkommen gibt es nicht
weder mit dem Zug nach Rostock Lichtenhagen
noch mit Überschall runter von dem Erdenball
vielleicht zum Mond
oder schneller als das Licht
hinein in andere Dimensionen
wer dort wohl wohnt?
Allein ich mach mir keine Illusionen
am Arsch der Welt ist überall
Jetzt ist sogar ein kleines Gedicht draus geworden. Mir gefällt`s. So lässt es sich in den düsteren Tag starten. Das Bier steht kalt. Eine Kerze brennt. Fehlt noch eine gute Musik.
Vor kurzem erst entdeckt:
Super Song. Kann ich mir wieder und wieder anhören.
Karl-Heinz
Endlich fertig ausgepackt. Die Waschmaschine läuft mit der Schmutzwäsche…
Der Ritt durch Pommern war eine echte Ochsentour. Schön, dass ich noch ein paar Tage zum Relaxen habe, bevor ich zur geliebten Büroarbeit zurückkehren muss. Die geschundenen Glieder schmerzen. Sonnenverbrannt glotze ich in den Tag. In Berlin ist die Luft zum Schneiden. Ich schwitze vom Nichtstun.
Meine Ankunft im Pub begossen. Dabei an der Bar so viel gequatscht wie selten. Kaum über meine Reise, sondern über Liebe, Sex, Musik, Kultur… das Leben überhaupt. Ich lernte Karl-Heinz kennen, einen Rentner, der, wie er sagte, alles hinter sich ließ und sich im Norden Schwedens niederließ. Nun war er mal wieder zu Besuch. Er reist viel herum. Wie kamen wir überhaupt ins Gespräch? Ach ja, er stand plötzlich an der Bar neben mir und meinte zum Wirt, dass die Nutten in Berlin keinen Stil mehr hätten. Alles nur noch Ramsch. Die besten Zeiten Berlins müssen die Zwanziger gewesen sein. Ich stimmte ihm zu. In meinem Bücherregal stehen einige Romane, deren Protagonisten im Berlin dieser Jahre liebten, feierten und litten. Viele meiner Lieblingsdichter und Maler lebten damals – was für ein prickelndes Milieu an kreativen Freigeistern und lasziver Halbwelt!
Wir quatschten munter drauflos. Nach einer Reise des Schweigens hatte ich offenbar Redebedarf. Mir gefiel Karl-Heinz` Offenheit. Er war auf kauzige Art lustig. Vom Thema Sex kamen wir zur Liebe und wieder zurück zum Sex. Er erzählte mir von seiner Neigung zu SM und seinen Erfahrungen. Mit jedem Bier gab er mehr intime Details preis. Bei dem Thema kann ich nicht mitreden, also versuchte ich das Gespräch immer wieder zurück auf Liebe und Beziehungen zu lenken. So ging das hin und her. Er meinte, Frauen würden anders lieben als Männer, mehr in Hinsicht auf ihre Eigeninteressen, möglicherweise sei das in ihre Natur eingewebt/eingewoben*. Obwohl es z.B. zwischen den Ost- und Südeuropäerinnen schon Unterschiede gäbe. Z.B. wären Spanierinnen in Sachen Liebe treuer und duldsamer. In Hinblick auf meine Ex konnte ich Karl-Heinz darin nicht ganz widersprechen. Ansonsten bin ich gegen solche Pauschalisierungen. „Ich bin einfach zu gutmütig“, wiederholte er mehrmals und schilderte einige Fälle, wo er von Frauen reingelegt wurde. Ich merkte, dass diese Sachen ziemlich an ihm nagten. Also bohrte ich nicht weiter nach und ließ ihn wieder von seinem Lieblingsthema SM quatschen…
Später gesellte sich noch ein waschechtes Berliner Mädel zu uns, auch schon in den Jahren, eine der Stammkundinnen. Genau nach Karl-Heinz` Geschmack. Er versuchte sie anzumachen, aber sie war zu abgebrüht. Wir redeten und redeten und redeten… nun mehr über Musik – Musik von früher im Vergleich zu jetzt. Wir wetteiferten mit Interpreten, die uns gerade in den Sinn kamen, bis wir fast alle nennenswerten aus den Sechzigern und Siebzigern zusammenhatten…
Karl-Heinz verabschiedete sich zuerst. Seine Visitenkarte steckt an meiner Pin-Wand. „Vielleicht besuchst du mich mal in Schweden“, sagte er.
*sucht`s Euch aus
Ganz sicher ist es der Blues
Mach dich locker, Baby. Schau dir deine Zimmerpflanzen an – beklagten die sich je? Obwohl du dich kaum um sie kümmerst…, aber schau sie dir an, sie gedeihen trotzdem – jedenfalls die übriggebliebenen zwei. Okay, vielleicht nicht das beste Beispiel… Nimm die Natur als Ganzes, wie sie sich immer wieder aufrappelt nach Meteoriteneinschlägen, Vulkanausbrüchen und Hurricanes. Nicht unterzukriegen, die Natur, nicht mal der Mensch wird sie auslöschen – glaube mir, nicht mal diese vertrottelte Menschheit wird es schaffen. Alles geht immer irgendwie weiter. Und dir geht`s doch prächtig – sei ehrlich! Du bist ein verdammter Glückspilz! Alter, du solltest jeden Tag tausend Purzelbäume vor Freude schlagen, dass es dir so gut geht. Du bist mindestens so robust wie der Elefantenfuß, der dort auf dem Lautsprecher steht. Es wird der Blues sein, stimmt`s? Ganz sicher ist es der Blues. Du hast einen guten Musikgeschmack, muss ich schon sagen. I really dig it! … You`re a fuckin` king!