Ich fläzte mich auf die Couch. Im TV lief die alte Serie „Ein Colt für alle Fälle“. Das war schon in meiner Jugend eine meiner Lieblingsserien. Nicht nur wegen der Stunts, sondern auch wegen dem Charme Colt Seavers, den sexy Ladies und dem damaligen Zeitgeist. Schön, wenn die Bösewichte am Ende ordentlich was auf die Mütze kriegten. Auch nicht übel: „Das A-Team“. Die waren Helden ganz nach meinem Geschmack.
Colt Seavers hing gerade an der Kufe eines Hubschraubers, als ich ein Donnergrollen von draußen vernahm. Ich blinzelte zum Fenster. Nach Gewitter sah es nicht aus. Es konnte auch von der nahen Baustelle stammen. Vielleicht wurde ein Kipplaster mit Bauschutt beladen oder ähnliches. Colt Seavers ließ sich auf die Ladefläche eines Pickups fallen. Das Donnergrollen kam näher. Was ging da draußen vor sich? Wer oder was störte meine Kreise? Ich bemühte mich in die Senkrechte und bewegte mich zum Fenster. Was ich sah, ließ meinen Puls sogleich in die Höhe schnellen. Menschen flüchteten in Panik vom nahen Park kommend die Straße entlang. Ein PKW flog durch die Luft und landete krachend auf dem Dach eines anderen. Die Fensterscheiben zitterten. Fuck! – Fuck! – Fuck! Das war kein Film! Plötzlich tauchte vor mir die riesige grüne Fratze eines Monsters auf. Einen Moment lang blickten wir uns in die Augen, nur von der Glasscheibe getrennt…
Keine Ahnung, wie lange ich starr vor Schreck ausgeharrt hatte, als mich die Türklingel schlagartig zurück in die Realität holte. Das Monster war von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht benötigte einer der Flüchtenden Hilfe.
„Gewähren Sie mir bitte kurz Unterschlupf?!“
„Aber sicher, kommen Sie herein“, antwortete ich verdattert. Eine nur noch in Fetzen gehüllte Person trat ein.
„Mamma Mia! Was ist da draußen los!“ rief ich aufgeregt, während ich die Person ins Wohnzimmer führte, „Sind Sie verletzt?!“
„Nein“, lächelte die Person gequält, „ich bin nur völlig erschöpft.“
„Setzen Sie sich doch. Nur keine falsche Scham.“
Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Die Lage hatte sich offenbar beruhigt, und ich widmete mich meinem Gast. Die Person war männlich, etwa vierzig Jahre alt. Trotz des desolaten Zustands der Kleidung erkannte ich, dass ich keinen Penner vor mir hatte. Der Typ sah mindestens so gut und intelligent aus wie Colt Seavers.
„Eine meiner Lieblingsserien“, meldete sich mein Gast.
„Was? Ach so! Soll ich den Fernseher ausschalten?“
„Nicht nötig. Aber wenn ich vielleicht ein kurzes Nickerchen auf Ihrer Couch einlegen könnte.“
„Und Sie sind sicher, dass Sie sonst keine Hilfe brauchen?“
„Nein. Wirklich nicht. Danke.“
Innerlich viel zu aufgewühlt, um irgendeiner TV-Serie noch folgen zu wollen, stellte ich die Flimmerkiste ab. Mein Gast war fast augenblicklich nach seinen letzten Worten in einen tiefen Schlaf gefallen. Auf der Straße tummelten sich eine Menge Polizei und Rettungskräfte. Vor meinem geistigen Auge tauchte immer wieder die grüne Fratze des Monsters auf… Vielleicht gab es bereits Nachrichten im Internet zu dem Vorfall. Mit einem Drink setzte ich mich an den Schreibtisch und fuhr den Computer hoch.
…
Als mein Gast wieder zu sich kam, dämmerte es bereits. Ich hatte inzwischen einige Drinks intus. Wenn stimmte, was ich vermutete, kam es auf einen Drink mehr oder weniger nicht an.
„Gut geschlafen?“
„Ich bin Ihnen für Ihre Gastfreundschaft sehr dankbar, Mr.…?“
„Brasko… Und Sie sind der Hulk!“ platzte es aus mir heraus.
Mein Gast zuckte zusammen, sammelte sich aber gleich wieder.
„Mr. Brasko, der Hulk ist eine Comic-Figur!“
„Stimmt, ich wollte es anfangs auch nicht glauben. Aber bloß, weil etwas zu absurd erscheint, um wahr zu sein, kann man doch nicht seine Wahrnehmungen beiseite wischen. Ich weiß, was ich sah. Und auch einige Videos im Internet zeigen eindeutig eine Kreatur, die wie der Hulk aussieht!“
„Im Internet werden Ihnen viele Märchen erzählt von Ufos und grünen Männchen…“, mein Gast lachte mich an, „Sie dürfen nicht alles glauben, was Ihnen irgendwelche Videos zeigen.“
„Stimmt, aber ich sah ihm direkt in die Augen! Hier am Fenster – nie werde ich diese Monsterfratze vergessen!“
„Ihre Fantasie geht mit Ihnen durch, Mr. Brasko.“
„Schön, dann erzählen Sie mir Ihre Version der Vorfälle.“
„Mir fehlt jegliche Erinnerung daran. Es tut mir leid. Ich will Ihnen auch nicht länger zur Last fallen. Wenn Sie mir bitte mit ein paar Kleidungsstücken aushelfen könnten. Es ist mir peinlich.“
„Okay, Mr. Hulk. Ich weiß, was ich sah. Aber ich bin kein Unmensch.“
Nachdem mein Gast gegangen war, grübelte ich noch lange über das Erlebte. Hätte ich die Polizei rufen sollen? Quark. Die hätten mich ausgelacht, wenn ich ihnen mit meiner Hulk-Story gekommen wäre. Außerdem finde ich den Hulk gar nicht so übel – obwohl nicht mein Lieblingssuperheld. Habe ich überhaupt einen Lieblingssuperhelden? … Am ehesten noch Spiderman. Aber sympathischer sind mir Helden, die es auch eine Nummer kleiner machen – wie Colt Seavers oder das A-Team.
Was hatte meinen Gast nur so wütend gemacht, dass in ihm der Hulk ausbrach? Irgendwer muss ihn dumm angemacht haben. Also so richtig! In Corona-Zeiten könnte ich mir einige Situationen vorstellen: War er ohne Maske erwischt worden? – Oder ohne Test? – Oder noch ungeimpft?!