Vor ein paar Tagen mistete ich meinen Nachtschrank aus. Zu entsorgen waren einige Produkte, deren Haltbarkeitsdatum überschritten war: Nasensprays, Schmerztabletten und massenhaft Kondome – aus offenbar besseren Zeiten.
Obwohl bei mir in Sachen Sex bereits seit längerem aufgrund mangelnder Gelegenheiten totale Flaute herrscht, kaufte ich eine kleine Packung Billy Boy nach. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Ich weiß schon, dass Frauen eher auf sexuell aktive Männer stehen. Das Denkmuster ist einfach: Wer viel Sex hat, muss attraktiv sein. Und die anderen sind Loser. Ich outete mich also gerade als Loser, was womöglich nicht sonderlich klug war. Aber ehrlich, wie ich bin…
Einem Gedankenblitz folgend schaute ich nach dem Haltbarkeitsdatum der neuen Packung Billy Boy.
08/2024 – Stress muss ich mir also keinen machen.
Loser
Die Verrückte
Die Verrückte schrieb mir eine Karte. Ihre Telefonnummer habe sich geändert. Rolli, ein alter Bekannter, terrorisiere sie. Sie würde sich freuen, wenn ich mich mal telefonisch meldete.
Das letzte Mal, dass ich mit der Verrückten Kontakt hatte, war bei meinem Umzug nach Berlin. Sie half mir beim Transport meiner Sachen. Am Ende stritten wir, weil sie immer mehr Kohle forderte. Da hätte ich mir gleich ein Umzugsunternehmen nehmen können.
Anfang der Neunziger waren die Verrückte und ich ein Liebespaar. Ich war beeindruckt von ihrem Mut und ihrer Lebensenergie. Sie hatte es nie leicht gehabt und sich tapfer geschlagen. Bereits mit Dreizehn glitt sie in die Drogenscene ab, wurde die Braut eines Discothekeninhabers. Der versumpfte zusehends, und sie musste sehen, wo sie blieb. Durch ihr Organisationstalent fiel sie immer wieder auf die Füße. Als ich sie kennenlernte, war sie sporadisch mit Rainer zusammen, einem Freak wie aus dem Bilderbuch, der jährlich monatelang durch Indien tourte und mit Hasch und Marihuana dealte. Rainer blieb immer präsent. Sicher war er eifersüchtig. Der Lieferwagen, mit dem er Päckchen ausfuhr, stand oft vor unserem Liebesnest. Als unsere Beziehung in die Brüche ging, war er sofort zur Stelle. Das exzessive Saufen hatte mich runtergebracht. Ich verlor den Lappen und kündigte meinen Job. War eine Scheißzeit. Der letzte Anker hieß Drogenberatung. Eine nette Sozialarbeiterin leierte eine Langzeittherapie für mich an, die ich nach sechs Wochen abbrach. Ich kam mit dem Therapiekonzept nicht klar. Außerdem hatte ich Sehnsucht nach der Verrückten. Ich blieb noch ein paar Monate trocken. Aber eines Nachts, als sie ohne mich auf Tour war und nicht anrief, hielt ich mich an einer Flasche Roten schadlos… Damit war`s geschehen. Angeblich war sie damals bei Rolli, ihrem Dauerproblemfreund, gewesen. Der gute Rolli – auch ein Freak wie aus dem Bilderbuch.
Nach unserer Trennung kriegte ich noch die ein oder andere Beziehung der Verrückten mit. Wir hausten in unmittelbarer Nachbarschaft. Sie stand auf Freaks, Alkis und Kaputtnixe, die sie dann, wenn sie ihre Anwandlungen hatte, als Loser beschimpfte, sogar auf sie losging. Keiner konnte es sehr lange mit ihr aushalten. Auch ich hatte ihre Ausraster und Schimpftiraden gründlich satt. Den Kontakt zu ihr stellte ich aber erst ganz ein, als ich wegen einer anderen Verrückten nach Berlin zog (– was wieder eine andere Geschichte ist).
Gestern Abend, ich kam leicht angetrunken aus dem Pub, hätte ich die Verrückte fast angerufen. Ist aber wahrscheinlich besser, wenn ich sie weiterhin aus meinem Leben raushalte.
ihre Karte
Deringer
Es gibt Leute, die nach außen den Bunten Hund markieren, aber guckt man hinter die Fassade, dann entdeckt man spießige Eintönigkeit. Ich wollte noch nie anders erscheinen, als ich bin. Nicht mal zu Fasching. Am ehesten kokettiere ich noch mit der Rolle des lonesome Cowboys, des Antihelden oder Losers. Mir liegen Understatement und Bescheidenheit im Auftreten mehr als eine große Klappe und Affektiertheit. Darum kann ich eher mit Clint Eastwood als mit Eddy Murphy.
Vielleicht bin ich ebenso ein Spießer, halt mit ein paar verqueren Ansichten… Vielleicht ist meine Antihaltung vielen Dingen gegenüber nur Mache. Es ist nicht sicher, ob ich mir darüber selbst im Klaren bin. Seit ich denken kann, grabe ich in meinem Bewusstsein, um Antworten auf die vielen Fragezeichen zu finden. Inzwischen habe ich es fast aufgegeben.
Ich sitze im Schaukelstuhl und schaue mir den Blödsinn einfach nur noch an. Ab und zu ein Bier und den Deringer in der Hosentasche, – zur Sicherheit. Man weiß nie. Von mir aus sollen sich die Großkotze die Welt unter sich aufteilen. Hauptsache, sie stören meine Kreise nicht. Es ist doch so: Man wird ins Leben gefickt, ob es einem gefällt oder nicht. Und nach einer Weile stellt sich heraus, dass man wie eine Wurst in einen Schlauch gepresst und feinsäuberlich abgepackt wird. Die größte Freiheit genoss man im Uterus. Nicht, dass ich mich dahin zurückwünsche – denn dann hätte ich ja noch alles vor mir. Den ganzen Quatsch, der sich Leben nennt. Scheiß drauf.
Da sitze ich und wippe in meinem Schaukelstuhl wie Clint Eastwood, den Deringer griffbereit in der Hosentasche, aber es kommt eh kein Schwein vorbei…