Egal an was du stirbst, du stirbst auf jeden Fall

Im Allgemeinen stirbt jeder. Zumindest sind mir keine Highlander, Vampire, Unsterbliche oder hunderte Jahre alte Menschen bekannt, was nicht heißt, dass es die nicht gibt. Ich bin mittlerweile zur Überzeugung gekommen, dass ich zu den normalen Sterblichen gehöre. Ich sehe meine Tage dahinschmelzen. Das Leben ist eine Art Knast, in dem man sitzt und nicht rauskommen will…
Früher mochte ich den Herbst. Das änderte sich, seit ich mich selbst im Herbst meines Lebens befinde. Frühling und Sommer sind unwiederbringlich vorbei. Und während sich die Natur nach dem Winter wieder erholt und im Frühling des folgenden Jahres neu erblüht, wird mich der Tod zur letzten Ruhe betten. Nein, nicht unbedingt in diesem Winter. Möglicherweise fahre ich noch ein paar Runden mit auf dem Karussell. Vater und Mutter warten auf mich. Ich sehe sie winken. Keine Ahnung, warum das Karussell eine solche Anziehungskraft auf mich ausübt, so dass ich gar nicht mehr runterwill. Es ist zum Heulen.

Das Loslassen vom Leben und von der Liebe ist das Schwierigste. Das kann man nicht üben. Manche glauben an ein Leben nach dem Tod. Sie glauben an den Himmel oder an die Wiedergeburt. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich muss noch ein wenig Geduld haben. Es ist so, als würde ich in einer langen Reihe stehen, in welcher sich die Anstehenden Geschichten darüber erzählen, was denn am Ende auf sie wartet. Ich frage: „Warum stehen wir überhaupt wie Blödiane hier rum?!“ Von den vor und hinter mir Stehenden höre ich „Psst!“. Einige blicken mich mahnend an. Offenbar verletzte ich mit meiner Frage ein Tabu.

Ich denke: Das Leben ist nicht nur Knast, sondern explizit eine Todeszelle.

Vor mich hin sehend

Ich sah viele freilaufende Hühner. Ich sah glücklich weidende Kühe. Ich sah Pferdehöfe. Ich sah ländliche Urgesteine. Ich sah reizend gestaltete Häuschen, die danach aussahen, dass Künstler und Alternative darin hausten. Ich sah viele Kanufahrer. Ich sah eine Menge Wald. Ich sah die Spree. Ich sah Campingplätze. Ich sah den märchenhaften Spreewald. Ich sah viele Touristen und sah die Boote, in denen sie durch den Spreewald geschippert wurden. Ich sah die Touristen auf ihren E-Bikes. Ich sah ein Lokal mitten im Spreewald, wo die Touristen massenweise abgefüttert wurden. Ich sah mich mittendrin. Ich sah mich Bier trinken. Ich sah mich fotografieren. Ich sah den Himmel und die Sonne. Ich sah die Wolken, die gleichmütig über alles hinwegzogen. Ich sah unendlich viele Bäume. Ich sah auf die Karte vom Spreewald, um zu wissen, wo ich war. Ich sah immer ein paar Stunden voraus. Ich sah mein Zelt, das ich aufgestellt hatte. Ich sah die Wege vor mir, die Wege meines ganzen Lebens… Ich sah, wie sich alles drehte. Ich sah, dass es unmöglich immer so weiter gehen konnte. Ich sah das Ende meiner Reise vor mir.

Wortlos

Töne brauchen einen Resonanzboden. Auch Worte klingen nicht überall. Milliarden Stimmen drehen sich im Kreis und verhallen im Nichts. Ich verschwinde in gedachten Höhlen. Wenn ich zurück an die Oberfläche komme, ist alles futsch. Es bleibt noch nicht mal die Sehnsucht nach irgendwas. Ich presse einen Text wie letzte Reste aus einer Zahnpastatube.

Ich bin so gut wie die Erde, die sich um ihre Achse dreht und um die Sonne kreist. Ich bin so gut wie ein Steppenwolf, der durch die Gegend streift, bis die Last der Einsamkeit ihm das Rückgrat bricht. Die Dunkelheit verschluckt meine Erinnerungen. Meine Geburt ist eine Verschwörungstheorie.
Ich warte auf das Ende des Liedes.