Ich schlief über zwölf Stunden mit wenigen Unterbrechungen. Ich bin einfach nicht geschaffen für den Achtstundenjob. Automatisch addiert sich über die Woche ein Schlafdefizit und ergänzend dazu ein Mangel an Freizeit für eigene Unternehmungen und Projekte. Oft überkommt mich das Gefühl, am Leben vorbei zu leben. Das mag Menschen, die sich mit ihrem Job identifizieren, nicht so gehen. Anders kann ich mir ihr Leistungsvermögen und ihre Leistungsbereitschaft im Beruf nicht erklären. Ich gehöre zu den Zeitgenossen, die viel Zeit für sich brauchen, und diese am besten ausgeruht genießen. Nach Feierabend bin ich meist so platt, dass ich über den Lebensmitteleinkauf und eine Kneipensitzung zum Entspannen nicht hinauskomme.
Bereits in den Frühzeiten meiner Existenz in der Leistungsgesellschaft merkte ich, dass ich mit den an mich gestellten Erwartungen hadere. Was soll das alles?!? fragte ich mich immer wieder… beginnend im Kindergarten (wer backt den schönsten Sandkuchen?), danach als Schüler, Lehrling, Arbeitnehmer und Student. Wieso identifizieren sich so viele Menschen über ihre Leistung? Und warum hinterfragt niemand, was diese Leistung eigentlich wert ist? Oder anders: Was macht ein solches “ best of“ für viele von uns derart wertvoll? Geht es darum, sich von der Masse durch eine besondere Leistung abzuheben? Doch wozu? Welcher Teufel treibt uns an, besser als die anderen zu sein? Ist dieses Streben nicht total asozial? Ist doch klar, dass dabei die schwächeren Gesellschaftsmitglieder unten durchfallen. Ich wunderte mich, dass die Menschen um mich herum, sich so einfach im Sinne der Leistungsgesellschaft lenken ließen. Aus (überzeugten) 68ern wurden mit den Jahren willfährige Staatsdiener und brave Familienväter – vollkommen assimiliert mit Reihenhaus. So leichtsinnig begeben sich die Menschen in den Rachen des Raubtiers Kapitalismus. Und intelligent, wie sie sind, konstruieren sie sich plausible Erklärungen für ihren Werdegang. Willkommen im Club der Doppelbödigkeit!
Auch ich konnte mich nicht ausklammern. (Schließlich verfüge ich über keine übermenschlichen Kräfte.) Ich suchte mir berufliche Tätigkeiten, die Sinn machten. Ich versuchte, wach und kritisch zu bleiben. Ich wurde dabei immer einsamer. Ich kapitulierte und richtete mich langsam wieder auf. Ich hatte selbstzerstörerische Phasen. Ich suchte. Mir gelang eine Zeit lang ein geistiger Spagat. Doch niemals ließ ich mich von den Ideen der kranken Hirne einwickeln. Allein die Liebe konnte mich zwischenzeitlich in die Knie zwingen. Um dann wieder Reißaus zu nehmen, weil nach und nach die Leistungsgesellschaft auch die Liebe infiltrierte. Die Kartoffeln wurden zu Kartoffelbrei zerstampft, das Herz verlor seine Farbe, ich hatte mich wieder verirrt…
Kein Wunder, dass ich nach nahezu sechs Jahrzehnten auf diesem Planeten müde bin. Das Leben lebte an mir vorbei. Ich lebte am Leben vorbei. Ich war auf der einen Arschbacke und das Leben auf der anderen. Zwischen uns ein abgrundtiefer Schlund. Dann und wann ein Furz, der mich einschläferte…
Wie schön, dass Wochenende ist. Die Wäsche waschen. Bluesmusik in den Ohren. Keine Störung. Kein Stress. Keine Getriebenheit. Oder fast keine. Alleine mit meinen Fragen, meinen Ängsten, die ich nicht abschütteln kann.
Besser als nichts.