Es war gestern und ist doch heute (25)

Die Leber im Whiskeyglas

Ich saß mit Fauser an der Bar, während Henry seine Wette abgab.
„Was hältst du von ihm?“ fragte ich Jörg.
„Er ist besser als ich.“
„Ist er besser als Burroughs?“
„Er ist anders.“
Wir bestellten uns noch 2 Whiskey ohne Eis. L.A. war ein heißes Pflaster, das ich nur scheintot ertragen konnte.
Ich sagte: „Aber Ernest ist der beste von allen.“
„Sie waren alle gut. Mal mehr, mal weniger.“
„Stimmt.“ Wir stießen an.
„Auf die nächste Möse, die uns über den Weg läuft.“
„Yeah.“
„Yeah.“
Ich drehte mich um und betrachtete die Menschen, die wie Ameisen durcheinanderliefen.
„Hoffentlich platziert er eine gute Wette.“
„Hoffentlich überlebe ich heute“, sagte Jörg.
„Elsa mag ihn nicht“, sagte ich.
„Elsa?“
„Sie erinnert sich nur an Die Leber im Whiskeyglas.“
Jörg kippte seinen Whiskey hinunter.
„Ist Elsa ein Pferd?“
Ich schwieg. Jörg drehte sich einen Joint. Der Barkeeper war im Hinterzimmer verschwunden und holte sich einen runter. Henry kam vom Wettschalter zurück.
„Hello Boys.“
„Hi Henry.“
„Hallo Arschloch.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich euch Zombies hier treffe.“ Ich grinste so breit wie die Golden Gate Bridge. Henry war schon eine Weile tot, Jörg noch länger. Der Barkeeper knöpfte seine Hose zu und schaute uns fragend an.
„Three Whiskey please“, sagte ich, „Ähm, und schmeiß in Henrys bitte ein Stück Leber.“
„What?!“
Wir bekamen unsere 3 Whiskey. Henry platzierte seine nächste Wette. Elsa ging als letzte über die Ziellinie. Jörg und ich wetteten darum, bei wem von uns zuerst das Licht ausgehen würde.

27.08.2002

Du kannst nicht nass und trocken zugleich sein

Eine Tragik des Lebens ist, dass man die Dinge, die man ehemals heiß begehrte aber nicht ergattern konnte, nun, wo einem diese Dinge quasi zufallen, sie nicht mehr zu schätzen weiß oder keine Verwendung mehr für sie hat. Auch andersherum: Dinge, die man damals mit Leichtigkeit erreichte, aber zu wenig schätzte, erscheinen heute, wo man sie bräuchte, unerreichbar. Und dann gibt es noch die Dinge, derer man wohl nie habhaft wird. Flapsig wird daraufhin gesagt: Man kann nicht alles im Leben haben. Du kannst nicht nass und trocken zugleich sein… Ich frage mich, ob nicht etwas mehr hinter dieser Tragik steckt. (Z.B. fällt mir dazu Hemingways Meisterwerk „Der alte Mann und das Meer“ ein.)
Erst wenn das Blut kalt wird und wir uns im Vorhof des Todes befinden, sterben alle Begehrlichkeiten und fallen wie Blütenblätter von uns ab. Ein mancher kämpft bis zum letzten Atemzuge. Andere ergeben sich schon früh in eine Art Gleichmut/Agonie, nennen es Weisheit oder Gottvertrauen. Wieder andere verfallen total der Habsucht und billigen Vergnügungen. Ich kenne mich nicht aus mit allen Sorten von Menschenseelen. Hat überhaupt jeder Mensch eine Seele? – Wie kann ein Mensch mit Seele in den Krieg ziehen? Vielleicht lässt er seine Seele zuhause, oder er verkauft sie vorher – Wer weiß das schon – Wer kann in die Herzen seiner Mitmenschen schauen…(?)
Die entscheidenden Kämpfe muss jeder mit sich selbst ausfechten, sozusagen im stillen Kämmerchen.

Ich habe eine Woche Urlaub. In Berlin herrschen Kühlschranktemperaturen. Die Sonne täuscht darüber hinweg, Anfang März. Eine Waffenruhe wäre schon mal was.

 

Eden

Es war einer der ersten warmen Tage des Jahres. Der junge Mann saß auf einem Mäuerchen auf dem Rathausplatz der Stadt – der Stadt, in der er aufgewachsen war und die Schule besucht hatte, wo er seine erste Liebe fand. Die Luft duftete nach Freiheit und wonniger Verheißung. Er las Hemingways letzten Roman „Eden“. Die Protagonisten genossen das Leben an der französischen Riviera… Der junge Mann träumte sich in die Erzählung des Schriftstellers, während die Sonne ihm auf die Nase schien, er eine Flasche Rotwein ansetzte. Niemals wollte er dieses Gefühl der Freiheit wieder verlieren, auch wenn er insgeheim wusste, dass er einer kurzfristigen Schimäre aufsaß. Der Vormittag schmolz dahin – die Pflicht rief ihn zu seinem Dienst im Altenheim. Er fühlte sich glücklich wie selten. Nur die Liebe zu einer Frau hatte ihn bisher mit mehr Glück beseelt. Er wunderte sich über seine Hochstimmung, die anhielt, als er sich bereits auf dem Weg zu seiner Arbeit befand. Er war jung und hatte das ganze Leben vor sich. Das Leben war wunderbar. Er war ein gutaussehender Bursche. Er gefiel sich.

Das Altenheim stand wie eine riesige Barke weithin sichtbar am Berghang. Die Alten fristeten dort den letzten Rest ihres Daseins. Sie befanden sich am anderen Ende – während er noch in seiner Jugend badete, warteten sie auf Erlösung, warteten auf sein Lächeln und seine Hilfe. Der junge Mann hatte bis vor wenigen Monaten noch nichts von dieser anderen Welt gewusst… Er hatte sie sich nicht so grausam vorgestellt.