Es war gestern und ist doch heute (28)

brasko und der weihnachtsmann

nachdem ich den platten am hinterrad meines fahrrads repariert hatte, setzte ich mich mit einem bier an meinen computer. keine neuen nachrichten. ich wunderte mich nicht. es war heiligabend. die meisten menschen versanken an diesem datum endgültig in der trostlosigkeit ihres daseins. und das schöne dabei war: sie merkten nichts davon. ich hatte nichts anderes vor als an anderen tagen. ich legte „jimi hendrix in woodstock“ auf und versuchte zu entspannen.
das läuten des telefons ließ mich hochfahren. meine hand glitt aus der hose und griff sich den hörer.
„brasko.“
„guten tag, mr. brasko, hier ist der weihnachtsmann. ich benötige ihre hilfe.“
„schön, um was geht es denn? vermissen sie ihre elche?“
„nein, ich erhalte morddrohungen.“
„ich dachte, sie sind immun gegenüber irdischem peanuts.“
„ich kriege immer diese anrufe auf meinem handy, und eine verstellte stimme flüstert: weihnachtsmann, das war ihr letztes weihnachten …
mr. brasko, sie machen sich ein falsches bild von mir. wenn ich auf die erde komme, bin ich sterblich wie jeder mensch. und heute ist heilig abend.“
„ich verstehe, mr. weihnachtsmann. haben sie noch einen anderen namen? verdächtigen sie jemanden? halten sie mich für blöd?“
„sie können auch claus zu mir sagen. nein, ich habe keinen verdacht. bitte, helfen sie mir aus der klemme.“
„das ist ziemlich knapp, claus. die einzige möglichkeit , die ich sehe, – dass ich sie heute abend als leibwächter auf ihrer tour begleite.“
wir machten also treffpunkt und uhrzeit fest. der weihnachtsmann legte auf, und ich besann mich auf die beschäftigung, bei der ich gestört worden war. ich hatte noch ein paar stunden zeit, mir gedanken über diesen fall zu machen. ich glaube nicht an den weihnachtsmann. offensichtlich wollte mich jemand gewaltig verarschen. aber meine neugierde war geweckt, und ich hatte zum schein den auftrag angenommen. wer steckte dahinter?
es dämmerte. die kälte hielt sich wenige grad über dem gefrierpunkt, und der schnee kroch zurück wie das meer bei ebbe. dieser claus klang reichlich schwul, und ich überlegte, ob ich die stimme kannte. ich hatte keine idee. mir schoß urplötzlich ein bild in den kopf: ein hund, der wie wahnsinnig im kreise wirbelnd seinen schwanz verfolgt … dann fiel mir die flasche johnny walker im kühlschrank ein, und ich wusste, was zu tun war.
wir trafen uns beim griechen. claus wartete schon. er trug einen roten anzug und war glattrasiert.
„guten abend, mr brasko.“
„sie sind also der weihnachtsmann? ich habe sie mir ganz anders vorgestellt.“
„wissen sie, ich möchte nicht erkannt werden. außerdem gehen auch wir mit der zeit, hoho.“
ich betrachtete den weihnachtsmann eingehender und versuchte ihn mir mit einem weißen rauschebart vorzustellen. es klappte nicht. er sah aus wie ein in die jahre gekommener homo.
„gehen wir“, sagte er, „ruprecht wartet schon.“
vor der tür parkte eine überlange, dunkle limousine.
„der schlitten fiel mir vorhin gar nicht auf“, sagte ich.
und claus antwortete, während er mir die hintertür aufhielt: „ruprecht flog ein paar runden.“
„ich verstehe“, säuselte ich und versank in den lederpolstern der rückbank. claus stieg zu ruprecht auf den beifahrersitz. dann starteten wir durch.
wir landeten vor einem night club.
„was ist mit den geschenken“, fragte ich blöde.
„seitdem sich die menschen gegenseitig beschenken, machen wir uns `nen geilen abend.“ claus lachte sein weihnachtsmannlachen: „hohoho.“
„ich verstehe.“
wir stiegen aus und betraten die bar. eine schwulenbar. naja, besser, als zuhause abzustürzen, dachte ich. es ging in dem schuppen hoch her, und ich hatte mühe, claus vor den allseitigen annäherungsversuchen zu schützen. claus und ruprecht tanzten ausgeflippt, umarmten sich leidenschaftlich und schoben sich gegenseitig ihre rosaroten lappen in den rachen. mein gott, dachte ich, warum läßt du das zu? plötzlich zerriß ein schuß den tosenden lärm. claus plumpste wie eine puppe rücklings auf die glitzernde tanzfläche. ich stürzte zu ihm und stützte seinen kopf, während augenblicklich totenstille im raum herrschte. blut rann aus seinem mir zugeneigten mundwinkel.
„claus“, raunte ich dem sterbenden zu, „ sie erzählten mir nicht alles.“
„ja“, blubberte claus in meinen armen.
„ wie sollte ich sie in dieser bar beschützen? hier hat, glaube ich, jeder ein motiv.“
ich blickte in die meute der betreten dreinblickenden umstehenden. ruprecht stand aschfahl zwischen ihnen.
„danke, mr. brasko“, hauchte claus, bevor er den löffel abgab. bis in alle ewigkeit.
ruprecht und ich bestiegen eilig den vorm eingang geparkten schlitten. während ruprecht startete, warf ich einen blick zurück auf die leuchtschrift, und ich las: „santa claus“.
„was wird nun aus weihnachten?“ fragte ich ruprecht.
„das war das letzte weihnachten“, sagte er bleich, „aber eigentlich ist weihnachten schon lange tot …“
„ja, das ist mein gedanke. es musste so kommen. jetzt gibt es nicht mal mehr den weihnachtsmann. warum vögelte er auch so willenlos durch die gegend?“
„mr. brasko, wo soll ich sie absetzen?“
„zuhause“, seufzte ich, „da wartet noch eine halbe flasche johnny walker auf mich.“

(02.04.2007)

Schöne Weihnachten

Ich werde mein Leben lang Weihnachtsverächter bleiben. Aber ich bin kein Unmensch.
Sehnen wir uns nicht alle nach der heilen Welt? Wir nehmen sie, auch wenn sie künstlich ist. Wir machen Ausflüge nach Disney Land. Wir schunkeln in Festzelten zu Volksmusik. Wir stehen am Straßenrand und jubeln den alten Monarchen zu.
Ich werde dem Künstlichen nie huldigen. Aber ich bin kein Unmensch. Zu sehr liebe ich meine Mitmenschen, auch wenn sie mir in ihrem Gebaren oft fremd erscheinen.
Entschuldigt, dass ich euch Zombies oder Arschloch-Materialisten nenne. Ich meine es nicht so. Entschuldigt, dass manchmal mein Zynismus mit mir durchgeht (besonders an Weihnachten). Ich weiß, dass ihr im Grunde gute Seelen seid. Es ist eben alles nicht so einfach…

Ich wünsche euch schöne Weihnachten, das schönste Weihnachten eures Lebens!


Weihnachtsmarktkulisse Wismar

den Klavierspieler sahen und hörten nicht viele


Karl

Gibt es da draußen in den unendlichen Weiten des Alls einen Menschen oder auch einen Außerirdischen, der wie ich Weihnachten zum Kotzen findet, zumindest mit diesem ganzen Zinnober nichts anfangen kann? Melde dich bitte! Es ist ein verdammt scheußliches Gefühl, mit seiner Einstellung ganz allein zu sein…
Ich habe zwar Karl, der regelmäßig an Weihnachten und Silvester Mitleid mit mir hat und vorbeikommt, aber Karl ist eben nur in meinem Kopf… Obwohl, so genau weiß ich es nicht. Momentan sitzt er auf meiner Couch und grinst mich an. Er ist so lässig wie ein Goldfisch im Aquarium, dabei aber rotzgescheit. Beinahe besserwisserisch. Keine Ahnung, ob er ein Außerirdischer oder einfach ein Hirngespinst ist. Er sagte nie, woher er kommt. „Das ist unwesentlich“, meinte er, „du hängst viel zu sehr am Irdischen.“ „Woran zum Teufel soll ich mich denn sonst orientieren?“ fragte ich zurück. Und wie reagiert Karl? Er grinst mich breit an. Wie immer, wenn er bei mir sitzt. Jetzt übrigens auch. Wir müssen nicht mehr viel miteinander reden. Ich kenne ihn, und er kennt mich.
Karl ist nicht schon immer da. Er kam erst, als ich gegen die Gesellschaft mit ihren ganzen Unsinnigkeiten und geistigen Oberflächlichkeiten rebellierte. Also so vor gut vierzig Jahren. Genau weiß ich es nicht mehr. Umso mehr ich realisierte, dass die Welt, in die ich hineingeboren wurde, sich mit meinem Denken und Fühlen schwer vereinbaren ließ, desto mehr kam Karl ins Spiel. Er gab mir zu verstehen, dass ich mir in Bezug auf die Menschheit keine Hoffnung machen sollte.
„Und warum bin ich anders?“ fragte ich.
„So viel anders bist du gar nicht – nur in einem Punkt eigentlich…“
„Aha. Und der reicht, dass ich mich in der Welt unglücklich fühle?“
„Kennst du Platons Höhlengleichnis?“
Und da ich damals keine Ahnung vom Höhlengleichnis hatte, erzählte es mir Karl. Ehrlich gesagt, kapierte ich es nicht so ganz… War mir didaktisch zu kompliziert. Die Quintessenz erfahre ich aber täglich emotional.
So ist Karl nun mal. Er kann den Klugscheisser nicht ganz ablegen. Trotzdem mag ich ihn, weil er mich versteht. Er versteht, warum ich Weihnachten und Silvester zum Kotzen finde. Ich bin ein Bauch-Typ. Karl dagegen ist Intelligenzler. Irgendwie sind wir wie zwei Seiten einer Medaille. Sage ich mal spontan unüberlegt, wie ich eben bin…

Karl sitzt also heute wieder bei mir auf der Couch und grinst. Schön. Wenn er mal nicht an Heiligabend käme, wäre ich echt traurig. Vielleicht nehme ich ihn nachher mit ins Pub. Karl wird schon seine Klappe halten können. Er mehr als ich.
„Verplappere dich bei den Spießern nicht“, gibt er mir oft mit auf den Weg.
„Na klar.“
„Willst du einsam sterben?“
„Nö, eigentlich nicht.“

Und – was soll ich sagen? Besser ich hätte auf Karls Ratschläge gehört!