Zum Thema Glück/Unglück

rezitiere ich gern (immer mal wieder) eines meiner Lieblingsgedichte
„Das Glück ist eine leichte Dirne“:

Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küßt dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegentheile
Dich liebefest an’s Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir an’s Bett und strickt.


Heinrich Heine, 1851

New Year`s Day

Das neue Jahr beginnt wie das alte aufhörte: siffig. Ein Kerzentag + Feiertagsblues. Deutlich weniger Feuerwerksabfall auf Straße und Gehweg, zumindest auf den ersten Blick. Einige Berliner, die bösen Buben, ließen es trotz Böllerverbot krachen, so dass ich aufwachte, auch wegen dem Feierlärm meines „Lieblingspolen“ im Haus. Jedenfalls war der Krach nicht kriegsmäßig, und die Luft riecht wie normale großstädtische Morgenluft. Angenehme Nebeneffekte eines Verbotes – aus meiner Sicht. Trotzdem bin ich gegen solche usurpatorischen Verbote. Lasst doch den Bürgern ihre kleinen Freuden, Feiern und Freiheiten…, auch wenn sich dabei viele ins Koma saufen, die Hand wegschießen, ihre Bude abfackeln, oder sonstiger Unsinn angestellt wird. In Berlin verlasse ich aus Sicherheitsgründen am Silvesterabend lieber nicht das Haus. Ich mache dicht und warte bangend darauf, dass der Irrsinn, der von der Straße zu mir hereintönt, abebbt. Also diesmal wirklich ein entspannter Jahreswechsel – da hätte ich mich sogar vor die Tür getraut.
So weit so gut. Happy New Year!

Nun noch ein kleines Gedicht aus eigener Feder – besinnliches Kleinod zum Jahresanfang:

inzwischen (fast) Rollentausch

Es war gestern und ist doch heute (13)

Ein Toter erregt sich zum wiederholten Mal

Gegenwärtige Endzeit!
Gegenwärtiger denn je


Die Menschen anonym
Hinter Mauern ihrer Zugehörigkeiten
Der Sumpf der Verflechtungen verschluckt sie
Mit einem Gurgeln:
All die kleinen Arschlöcher
Zwischen Politik, Wirtschaft, Kapital und Größenwahn
Taumeln trunken auf und ab
In tausend Herden
Sie spielen mit Zahlen und Statistiken
Der Wahnsinn steckte schon lange in ihren Köpfen
Sie lernten das Nachäffen
Das Nachäffen wurde ihre zweite Natur
Ihr Glück zum Anstrich
Bitte, ganz nach Belieben übermalen!
Oh! scheiß Leere in mir
Du verhinderst mein kleines Glück
Es blättert schneller ab, als ich pinseln kann

Gegenwärtige Eiszeit!
Gegenwärtiger denn je


Die Sehnsucht wächst wie wahnsinnig
Lässt mir nur Fugen, in die ich mich zwänge
Ich verkrieche mich wie ein verängstigtes Kind
Mein Blick starrt in mich hinein
Und da ist nichts als Sehnsucht:
Sie kriecht durch meinen Körper
Bis alle meine Glieder regungslos liegen
Meine Gedanken verflüchtigen sich wie Wasserdampf
Und mein Herz?
Mein Herz verloren im Moment

Gegenwärtiges Marionettendasein!
Gegenwärtiger denn je


Zitiert die Liebe in Sprechblasen und verschnürt sie
Zu Paketen nützlichen Seelenheils
Die bedingungslose Leidenschaft steht dem Glück im Wege
Ein netter Mensch zu sein – „DER NETTE MENSCH“
Oh! halte mir die netten Menschen vom Leib!
Bevor ich mich vergesse
Ihre Charaktere lassen sich wie Zinnsoldaten
In Blei gießen
Sie funktionieren wie winzige Zahnräder eines Uhrwerks
Von dem sie nur das „TICK-TACK“ begreifen
Ihre Existenz verpufft
Wie ein Staubpilz unter meinem Fuß
Diese netten Menschen hangeln sich durchs Leben
Wie Affen von Banane zu Banane
Und sind sie endlich alt
Bleiben Trümmer
Trümmer, Trümmer, Trümmer!

Gegenwärtig quäle ich mich
Gegenwärtig quäle ich mich mehr denn je


Über das betonharte Pflaster ihrer blendenden Gesellschaft


(ca. 1990)


Es war gestern und ist doch heute

aufruf


leben! leben! leben!
flammen der revolution wünsche ich in unsere herzen
auf den schlachtfeldern sind die herzen gläsern
gesichter, drückt euch aneinander
schaut nur, die erde ist rund
wie? die erde ist rund?
was wissen wir davon?
die berge sehen die flüsse fließen
und wolken fliegen gen horizont
über die wasser und das land
über die zahllosen schlachtfelder
vielfältig! vielfältig! vielfältig!
gesichter, drückt euch aneinander
was sehe ich, was nicht gleich wäre?
im leben wie im tod – zu allen zeiten
und in allen räumen und dingen
in der gesamtheit und in der nichtigkeit
in allen größen …
dabei –
zerspringen unsere herzen auf den schlachtfeldern der ideen
wohlan! wohlan! wohlan!
wie die tropfen teil der fluten
und die fluten teil des ozeans
gesichter! wir sind die tropfen und vewenden
uns darauf, die fluten, vielleicht den ozean zu erobern
– es ist alles wasser
leben! leben! leben!
tod dem schlachtfeld des materialismus
tod dem schlachtfeld des kapitalismus
tod den schlachtfeldern aller ismen und religionen
tod allen schlachtfeldern auf dem erdball
es lebe die revolution in unseren herzen


(1985)

Heiliger Moses

Er stellte sich vor
Er würde seine Frau von hinten nehmen
Irgendwie hatte er die Bibel auf ihrem
Rücken befestigt
Und während er sie stieß, las er ihr aus
Dem Alten Testament vor
Die zehn Gebote
Und von Moses
Und wie sich das Wasser teilte
Und wie sie um das güldene Lamm tanzten
Und von Sodom und Gomorrha

Das wär`s doch! - Und wenn`s mir kommt, schaue ich auf meinen
Schwanz, und der wird augenblicklich
Zu Stein
Während das Feuer der Leidenschaft in meinen
Lenden weiterbrennt
Oh, verfluchte Weihnacht! – das wünsche
Ich mir

 

(24.12.2001)

Gestöbert und wieder hervorgeholt.

Behinderung

In meinem letzten Leben
Ein Vogel
Freiheit war selbstverständlich
Nun
Hocke ich
Einer Kröte gleich
Im Jammertal der Menschen
Und
Vermisse meine
Schwingen
Um mich erneut in die
Lüfte zu erheben
Von Freiheit nicht nur
Zu träumen
Sondern sie zu leben
Zu umarmen

Ich lecke meine Wunden
Ich mache Kunst
Ich philosophiere
Bleibe doch eine Kröte
Warum zur Hölle kann ich nicht einfach
Davonfliegen?

 

Kein Entkommen gibt es nicht

Am Arsch der Welt ist überall… Was einem im Halbschlaf nicht alles in den Sinn kommt. Vor allem am frühen Morgen, das Kopfkissen umarmend, die Augen noch geschlossen. Gerade noch wirres Zeug geträumt, ordnen sich ein paar Gedanken zu bewussten Sentenzen.

Am Arsch der Welt ist überall
besonders an den Weihnachtsfeiertagen
kein Entkommen gibt es nicht
weder mit dem Zug nach Rostock Lichtenhagen
noch mit Überschall runter von dem Erdenball
vielleicht zum Mond
oder schneller als das Licht
hinein in andere Dimensionen
wer dort wohl wohnt?
Allein ich mach mir keine Illusionen
am Arsch der Welt ist überall

Jetzt ist sogar ein kleines Gedicht draus geworden. Mir gefällt`s. So lässt es sich in den düsteren Tag starten. Das Bier steht kalt. Eine Kerze brennt. Fehlt noch eine gute Musik.
Vor kurzem erst entdeckt:

Super Song. Kann ich mir wieder und wieder anhören.

 

November

Auch die zweite Vieraugen-Sitzung mit der Chefin verlief insgesamt zufriedenstellend. Nach Mammakarzinom nun Prostatakrebs. Ich kriegte meine Stempel ins Logbuch. Sie hakte gleich noch ein paar andere Themen ab. Ich glaube, sie war zufrieden mit mir. Fast hätte sie mich gelobt. Sie tut sich schwer mit Lob, aber ich konnte an ihrer Stimmung merken, dass ihr unser Gespräch gefallen hatte. Ich zeigte das nötige Interesse an ihren Ausschweifungen in ihr Fachgebiet Strahlentherapie. Am Schluss wurden wir beide rot wie eine Tomate. Ich verließ beschwingt ihr Büro. Es war Freitag und kurz vor Feierabend.
Auch mit den Kollegen und Kolleginnen verläuft zur Zeit alles bestens. Die Stimmung im Team ist ausgelassen. Wir albern viel herum.

Das Wochenende begrüßte ich im Pub. Sita stand hinter der Theke. Ihr Temperament wirkt immer erfrischend. Ich saß an der Bar und blätterte eine Spezialausgabe des Spiegels durch. Mal wieder ging es um die immer noch bestehende Kluft zwischen Ost- und Westdeutschen. Ich überflog das meiste. Nur beim Interview mit Wolf Biermann blieb ich hängen. Ich mag den ollen Biermann als Liedermacher und Dichter. Er trifft offenbar ganz gut meinen poetischen Nerv. Außerdem ist er von der Denke links verwurzelt. Vielleicht dann und wann etwas zu selbstgefällig (wie nicht wenige seiner Zunft) … Nobody is perfect. Am 15. November wird er 83. Stolzes Alter. Er gehört zur Generation meiner Eltern. Unglaublich. Die Zeit walzt alles nieder…

Das Rad des Lebens macht nie halt
Es rumpelt über Stock und Stein
Mit unendlichem Gewicht
Drückt alles darnieder
Und mahlt es klein
Woher kommt diese Gewalt?
Die verschlingt, um neues auszuspucken
Wieder und wieder
Am Ende bleibt ein Zucken
Ich weiß es nicht

Freilich lange nicht so gut wie Biermann, Heine oder Brecht, aber dafür von mir.