Es war gestern und ist doch heute (32)

Trallala, es grünt so schön… welche Überraschung, als ich aus dem Traumland erwachte und aus dem Fenster blickte. Da hing bereits ein grüner Pelz über den Terrassengärten mit allerlei Farbtupfen.  An den Tagen, die ich aufgrund des Nachtdienstes verschlafen hatte, bemerkte ich die Wandlung der Natur nicht. Das Leben schlug gewaltig zu – die Bäume schlagen aus! – ein Sternenmeer junger Triebe an den Zweigen. Wenn das nicht Musik für die Herzen ist! Der Frühling kam auf leisen Pfoten wie ein Kater und schlug mir seine Tatze in die Brust… welch süßes Sterben! – vom Sterben der Nacht hinein in das volle, trotzige Grün.
Trallala, ich tanze mit dir, geliebtes Leben, für heute bin ich gerettet.

(21.04.2008)

Aber draußen ist Frühling

Wenn ich nicht mehr so spritzig schreibe wie früher, dann liegt das an den Hormonen. Die innere Triebkraft lässt nach. Das Leben bellt nicht mehr so laut. Die Säfte versiegen. Automatisch verlegt man sich mehr aufs geistige Wichsen, vorausgesetzt man hat Geist. Ich hätte mir außer Biertrinken ein Hobby zulegen sollen. Aber mich reizte nichts. Mich reizt heute noch nichts.
Der Frühling erreicht mich nicht, dabei ist er voll im Gange. Ich sitze am Beckenrand und traue mich nicht ins Wasser. Ich brauchte schon immer für alles etwas länger. Ich mag es nicht, wenn man mich drängt. Okay, was meinen ersten Sex angeht, lag ich ganz gut im Mittelfeld, wahrscheinlich deswegen, weil mich niemand drängte. Ist lange her. Damals dachte ich nicht so viel nach wie heute. Wobei ich nicht weiß, was meine Gedanken eigentlich wert sind. Früchte tragen sie jedenfalls keine oder kaum. Ich sehe das ganz realistisch. Ich bin ein geistiger Luftwichser. Mit Frauen ist alles schöner und echter. Nichts geht über Frauen. Auf der anderen Seite brachten sie mich oft an den Rand der Verzweiflung. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich nicht mehr alles Weibliche bespringe, das bis Drei nicht auf dem Baum ist. Das Leben nimmt seinen Lauf. Ich befinde mich im Herbst, aber draußen ist Frühling.

Gespräch mit dem Tod

Der Tod sagte mir kürzlich in einem vertraulichen Gespräch, dass er gern seinen Job wechseln würde. Selten sah ich den Tod derart traurig dreinschauen. Er hatte seine Arbeit echt satt.
„Geht mir ähnlich“, sagte ich und klopfte meinem alten Freund auf die Schulter, „immer nur Tumoren dokumentieren, stundenlang am Computer hocken…“
„Ja-ha-ha! Vom Altenpfleger zum Tumordokumentar. Du hättest in einen Bereich wechseln sollen, aus dem du mehr Lebensfreude schöpfen kannst.“
„Leicht gesagt, lieber Freund, aber die Rentenversicherung bezahlt nun mal nicht jede Weiterbildung. Wie dir anzusehen ist, hast du es mit deinem angestrebten Jobwechsel auch nicht gerade leicht. Was schwebt dir denn vor?“
„Ich wäre gern der Frühling!“ platzte es aus dem Tod heraus.
„Kann ich verdammt gut verstehen“, ich blickte in die leeren tiefen Augenhöhlen meines Freundes, „und wo liegt das Problem?“
„Na ja, dazu müsste der Frühling meinen Job machen. Und das will er nicht.“
„Hm, verstehe. Ihr könntet doch eine Vereinbarung treffen – alle paar Jahre hin- und herwechseln. Das fände ich gerecht. Und wenn sich diese Rochade bewährt, beteiligen sich vielleicht noch andere daran.“
„So dachte ich auch. Aber niemand will den Tod machen!“
Ich glaubte Tränen in den tiefen Augenhöhlen meines Freundes funkeln zu sehen.
„Fuck!“ entfuhr es mir.
„Du sagst es, ich habe die Arschkarte“, der Tod zog seine Kapuze zurück und rückte näher zu mir, „Lieber Freund“, begann er zögerlich, „… könntest du dir vielleicht vorstellen? – “
Mir war sofort klar, worauf er hinauswollte. Ich unterbrach ihn abrupt: „Ich dachte, du wolltest zum Frühling werden. Willst du etwa den lieben Tag lang Tumoren dokumentieren? Ich verstehe, du bist verzweifelt, aber überlege dir das gut.“
Mein Freund, der Tod, brach schluchzend zusammen. „Du hast recht. Ich muss ewig der Tod, das unbeliebte Arschloch, bleiben. Niemand mag mich…“
„Und ich? Bin ich nicht dein Freund? Ich weiß, welche Bürde auf deinen Schultern lastet. Dabei machst du nur, was dir aufgetragen ist. Rede nochmal mit dem Frühling. Er sollte ein Herz haben.“
Der Tod fuhr sich mit knöcherner Hand über seine leeren Augenhöhlen.
„Gebe nicht auf“, fügte ich bekräftigend hinzu.“
„Niemals werde ich aufgeben!“ der Tod erhob sich und lachte tönern, „niemals! … Lieber Freund, wie immer war es gut, mit dir zu reden. Du bist eine gute Seele. Und nun entschuldige mich. Ich muss zurück an meine Arbeit.“
Ich sah ihm nach, wie er über die Straße ging und an einer Tür klingelte. Was für eine Type, dieser Tod.

Life goes on

Meine derzeitige Lieblingskollegin gab mir einen Ausflugstipp für Ostern mit in den Feierabend. Sie war erst kürzlich mit ihrem Mann am Orankesee und ließ sich nicht davon abhalten, mir ein paar Stichworte auf einen Zettel zu notieren, inkl. einem Museumstipp: das Mies van der Rohe Haus – ein Museum für Moderne Kunst (dort um die Ecke).
Ich googelte den Orankesee… und erkannte ihn wieder. Erinnerungen schoben sich blass und zögerlich zurück in mein Bewusstsein. Meine Ex und ich hatten fast jedes Wochenende Ausflüge in alle möglichen Ecken Berlins unternommen. Die Namen der von uns angesteuerten Örtlichkeiten merkte ich mir nicht alle. Deshalb sagte mir „Orankesee“ erstmal nichts, als mir meine Kollegin davon erzählte. Mit dem Fahrrad wäre es ein kleiner Tagesausflug. Die Strecke führt von meiner Haustüre aus ca. 14 Kilometer mitten durch Berlin Richtung Hohenschönhausen. Vielleicht nicht die schlechteste Idee für Ostersonntag oder Ostermontag. Am Schlachtensee, wo es mich sonst hinzieht, wird es grausam überfüllt sein. Überall wird es voll sein. Berlin quillt von Menschen über, die bei dem zu erwartenden schönen Frühlingswetter natürlich alle nach draußen strömen. Menschenmassen ertrage ich nur in einer mäßigen Dichte gut. Gedränge ist mir zuwider. Zum Herdentier tauge ich nicht.

Anarchie des Wartens

Ich warte auf den Frühling, aber noch ist die Sonne kalt, zumindest hier im Osten Deutschlands.
In den Nachrichten gibt es kaum etwas anderes als Krieg, die Corona-Zahlen und den Wetterbericht.
Die gekalkten Zimmerwände schmiegen sich an mich wie eine zweite Haut. Ich kann die Stunden nicht zählen, die ich auf der Couch und im Bett verbringe.
Ich wundere mich über meine Tränen.
Die Welt ist ein Film. Mein eigenes Leben verblasst.
Ich stehe morgens auf, ich gehe zur Toilette, ich wasche mich, ich esse und trinke, ich gehe zu Bett, ich schlafe.
Ich atme. Mein Herz schlägt.
Meine Haare und Nägel wachsen unaufhörlich. Sie sind ziemlich anarchistisch.
Ich warte auf den Frühling oder sonst was. Oder ich warte auf eine wärmende Umarmung. Alles muss irgendwann aufgeladen werden, selbst wenn es nur nichtsnutzig herumliegt.


Verrückte Träume

Verrückte Träume ereilten mich in der Nacht zu meinem ersten Urlaubstag. So war ich z.B. in einer skurrilen Kinovorstellung. Ein Vampirfilm lief. Realität und Fiktion durchmischten sich. Am Ende verfolgte mich Dracula bis vor das Kino, und ich flüchtete in einen Biergarten…
Heute wäre ein Biergartentag. Die Sonne scheint. Der Wetterfrosch gibt dem schönen Wetter noch einen Tag. Ein Glück, nicht im Homeoffice über Tumorfällen brüten zu müssen. Stattdessen kann ich in aller Entspanntheit durch den Tag surfen, die Türen öffnen für die Leichtigkeit des Seins. Scheiß auf Corona und den damit zusammenhängenden Wahnsinn! Draußen warten Frühling und Lebensfreude – Streicheleinheiten für die Seele – die Ängste abstreifen wie zu enge Klamotten…

Schieflage

Ich spüre es allerorts: Die Leute haben die Schnauze voll. Am Besten das Thema „Corona“ vermeiden. Weil man Repressalien fürchtet, trägt man Maske und hält Abstand. Doch das Ganze bricht an den schönen Frühlingstagen auf, wenn die Menschen zu Hunderten in die Parks strömen. Sie scheißen auf den Verordnungssalat und lassen ihrer Lebensfreude freien Lauf. Selbst die Ordnungshüter bringen sie nicht zur Raison. Ich beneide die Polizisten nicht um ihre tumbe Sisyphusarbeit. Statt Verbrecher zu jagen, wird ihnen nun auferlegt, harmlose Bürger zu drangsalieren. Die Grundrechte wurden ausgehebelt. Das Corona-Angstgespenst geht um. Für dumm und verantwortungslos/asozial werden all jene erklärt, die sich von der regierungsgesteuerten Corona-Propaganda nicht einwickeln lassen. Meinungsfreiheit?! – Fehlt nur noch, dass die Gedankenpolizei auf den Plan tritt…

Mir wird entgegengehalten, dass ich übertreibe. Kann schon sein, dass ich etwas sensibel reagiere, wenn mir Freiheiten weggenommen werden – Corona als Rechtfertigungsgrund ist mir einfach zu wenig. Dabei will ich weder die Existenz von Covid-19 ignorieren, noch die durch das Virus evozierten Erkrankungen kleinreden. In einer offenen Gesellschaft gibt es viele Risiken, zu verunglücken, zu erkranken und (vor der Zeit) zu sterben. Die Corona-Gefahr ist dahingehend einzuordnen. (Nicht mehr und nicht weniger.) Seit gut einem Jahr höre ich aber nur noch „Corona“… Wo bleibt der Sachverstand? Wo bleibt der lebendige Diskurs? Warum werden die Kritiker der Corona-Politik nicht gehört, sondern geächtet?

Ich spüre es allerorts: Die Menschen lassen sich nicht bändigen. In ihren Herzen scheißen sie auf die Staatsgewalt. (Von den Spießern/Opportunisten und Angsthasen mal abgesehen.)


Wohin gehen wir?

Das Leben der Menschen auf der Erde bedeutete Knechtschaft, nachdem die Menschen das freie Leben in der Natur aufgegeben hatten und sich „zivilisierten“… Wie kam es dazu, dass wir uns zur Sesshaftigkeit entschieden? Wie kam es dazu, dass wir uns nach und nach von der Natur entfremdeten? Mussten wir notwendigerweise an den zivilisatorischen Punkt gelangen, an dem wir heute stehen? Wann begann die Misere der Kriege? Wie wurden wir uns selbst zu Feinden?
Das Rad der Menschheitsgeschichte kann niemand zurückdrehen. Wir wurden zu Abhängigen eines Systems, das wir selbst entwickelten. Wir machten uns die Erde untertan mit all seinen Geschöpfen. Wir schufen eine Hierarchie losgelöst von der Natur. Wir knechten unsere eigenen Artgenossen. Wir verwechseln Macht mit Freiheit. Wir propagieren Menschlichkeit, handeln jedoch unmenschlich.
Wer sind wir? Woher kommen wir? (Wohin gehen wir?) Was machte uns zu den Monstern, die wir (aktuell) sind?

Ich gönne mir ein verlängertes. Einmal mehr schlafen gehen ohne eine achtstündige fremdbestimmte Verpflichtung am nächsten Tag. Es war mal wieder so weit, und ich nahm mir diese kleine Freiheit. Auch wenn dabei ein kostbarer Urlaubstag flöten geht. Scheiß drauf!
Soll ja fast frühlingshaft werden die nächsten Tage. Der Schnee der letzten Woche floss bereits fast vollständig in die Gullys. Nur wenige dreckige Inseln erinnern noch an das weiße Wunder.
Die Zeit vergewaltigt sowieso alles. In ihrem warmen Arsch stecken wir fest, bis von uns nichts mehr übrig ist… und wir alle im Gully sind.