Glück ohne Schmerz ist nicht denkbar. Es sieht so aus, als wäre das Glück von einer Corona des Schmerzes umgeben. Geburt und Tod umschließen das Leben. Der Weg zum Sieg ist von Niederlagen gepflastert. Das Glück der Liebe hängt am seidenen Faden. Jeglicher Reichtum wird zur Last. Das Aufglühen des Seins versinkt in der Nacht. Ich laufe gegen viele Wände, bevor ich einen Ausweg finde. Die Schönheit verblüht. Ich versacke im süßen Schmerz der Melancholie. Was sagen mir die Sterne? Ich öffne mein Herz und fühle nichts. Ich lasse mich von einem Tag in den nächsten fallen. Bin ich noch am Leben, wenn es nichtmalmehr weh tut? Warum weine ich, wenn ich nichts empfinde?
Ich werde immer auf dem Heimweg sein, vorbei an offenen und geschlossenen Türen. Wenn ich doch wüsste, was ich suche. Vielleicht ist mein Zuhause zu weit weg, oder es ist einfach da, wo ich gerade bin. Ich sollte glücklicher sein. Ständig laufe ich an mir selbst vorbei.
Existenz
Am meisten gruselt es mich vor mir selbst
Ich meine jetzt nicht, dass ich gruselig aussehe – das mögen andere beurteilen. Das Selbstbild ist eine intime Sache. Am besten beschäftigt man sich nicht zu sehr damit, hängt alle Spiegel ab und verschrottet die Personenwaage.
Nein, ich meine etwas anderes, wenn ich von dem Grusel vor mir selbst rede. Wie soll ich es erklären… Gestern Abend hatte ich einen kurzen Moment, in dem mir kurz die Absurdität der eigenen Existenz gewahr wurde – aber beschreibt Absurdität dieses Gefühl überhaupt richtig… Es war vielmehr etwas Monströses und Undenkbares – äußerst gruselig! – Die Tür zum verbotenen Zimmer öffnete sich einen Spalt und auch nur einen kurzen Augenblick lang, aber der genügte, um dieses schaurige, schwer zu beschreibende Gefühl in mir auszulösen. Ich muss dazu sagen, dass ich derlei Momente öfter mal habe, nicht täglich aber immer wieder mal, wenn ich mit mir alleine bin und vor mich hin sinniere. Ich bin davon wie geschockt oder geflasht. Es folgen Grübeleien über das Leben, die Geburt und den Tod. Wie kann das alles sein? Wir tauchen als bewusste Existenz auf, irren einige Zeit lang auf einem Spielfeld herum, das wir Wirklichkeit nennen, um schließlich wieder zu verschwinden. Dazu bekommen wir sowas wie eine Spielanleitung mit Regeln und Aufgaben serviert, nach denen wir uns orientieren sollen. Fragen nach dem Sinn der ganzen Veranstaltung werden von den Materialisten mit Kopfschütteln quittiert – dafür ginge man in die Kirche. Oder: Frage doch deinen Religionslehrer.
Das Lebens-Korsett, welches die Gesellschaft vorgibt, ist eine heilige Kuh und darf nicht hinterfragt werden. Für eigene Gedanken bist du viel zu dumm, Junge – du bist doch kein Philosoph! Halte dich mal brav an die Regeln, erledige deine Aufgaben, dann wird aus dir schon was werden.
Bereits in meiner Kindheit und Jugend öffnete sich vor meinem geistigen Auge ab und zu die Tür zum verbotenen Zimmer. Mit wem hätte ich über diese Erfahrungen reden sollen? Am ehesten noch mit meiner Mutter (vor ihrer Erkrankung). Kein Pfarrer und kein Religionslehrer verstand mich. Sie wollten mir lediglich ihren Gottesglauben verkaufen. Und wieder ging es um Regeln und Aufgaben.
Natürlich war mir bald klar, dass, wer auf dem Spielfeld des Lebens mithalten wollte, nicht einfach ausscheren konnte – ansonsten erwarteten einen die Psychiatrie und medikamentöse Fixierung.
Damals begann ich mit dem Aufschreiben meiner Gedanken, verfasste meine ersten Gedichte. Unter den Deutschaufsätzen stand oft „Thema verfehlt“. Und als eines meiner Gedichte vor der Klasse vorgetragen wurde, meinte der Deutschlehrer lapidar: Junge – du bist doch kein Goethe. (Immerhin gefiel das Gedicht den Klassenkameraden.)
Seit ich denken kann, lebe ich (mal etwas mehr, mal etwas weniger) mit dieser kognitiven Dissonanz zu meiner „Spielfeld-Umgebung“… Jetzt in Corona-Zeiten ist das sich abgestoßen und fremd fühlen kaum noch zu ertragen. Als hätte ich nicht genug mit dem puren Horror der eigenen Existenz zu tun.
X
Was wir Wirklichkeit nennen, gestaltet sich über ein mehrdimensionales Beziehungsgeflecht, in welchem sich alle mikro- und makrokosmischen Phänomene ergeben. Materie existiert als solche nicht. Sie manifestiert sich in unserer Draufsicht als Informationskonstrukt/-paket, mit dem wir interagieren.
Das eigentliche Substrat des Daseins ist Bewusstsein… Geist…Seele… Liebe… Gott… Die Begrifflichkeiten eiern um das Wesentliche herum, ohne es völlig zu erfassen. Das Wesentliche entzieht sich hartnäckig in die Unbestimmbarkeit.
Ein vom Materialismus geprägter Blick auf die Wirklichkeit zeigt uns lediglich eine Oberfläche ohne Deutung und Sinn. Wir erkennen Strukturen, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten ohne Verständnis für das Ganze. Wir blicken in relativ begrenzte Ausschnitte des Weltgefüges. Der Materialismus verliert sich im Detail bis zur völligen Unsinnigkeit. Der Materiebegriff löst sich auf.
Mein Ansinnen: Wir sollten mehr mit dem Herzen und weniger durch Mikroskope und Teleskope sehen. Die Welt ist kein Bausatz. Sie ist nicht mit dem Verstande zu begreifen. Keine noch so monströse KI wird uns die letzten Antworten liefern. Es wird immer eine unbestimmbare Unbekannte in der Gleichung verbleiben.
Der Ernst des Lebens
Dass das Leben furz-kurz ist, muss ich niemandem über Fuffzig sagen… Darum Prost! – es muss nicht noch furztrocken sein… Besonders Wintertage (im November ist für mich gefühlt bereits Winter) haben es eilig. Es lohnt sich kaum, sich etwas vorzunehmen. Bis man als alter Sack in die Pötte kommt, wird`s schon wieder dunkel. Das Wochenende erscheint wie ein Tag mit 2x Schlafen. Gut erinnere ich mich an meine Kindheit, als mir die wenigen Stunden zwischen Mittagessen und Abendessen unfassbar lange erschienen. Ich baute in der aus meiner heutigen Sicht kurzen Zeitspanne mit Lego Fantasiereiche und schlug mit Cowboys und Indianern ganze Schlachten; und wenn wir draußen spielten, unternahmen wir Expeditionen und entdeckten neue Erdteile… Niemals hätte ich mir in meinem kleinen Kopf ausmalen können, was die Zukunft in fünfzig Jahre bringen wird.
Und heute sitze ich hier in Berlin, der kleine Hosenscheißer von damals unfassbar weit weg, wenn ich ihn nicht gerade im Geiste hervorstöbere… Die unglaubliche Story vom kleinen zum großen Hosenscheißer, die jeder erlebt, obwohl ich bei einigen meiner Mitmenschen denke: Die müssen bereits „fertig“ auf die Welt gekommen sein – unmöglich, dass die mal Kind waren. Man spricht ja nicht umsonst vom Ernst des Lebens. Er zeichnet ihre Gesichter. Er macht ihren Blick trübe. Er liegt tonnenschwer auf ihren Schultern und drückt sie nieder. Von Dämonen und Ängsten verfolgt, Golems ihrer eigenen verfluchten Existenz. Es gibt kein Entkommen…
„Und was ist mit der Liebe? Ich weiß, dass du dich nach Liebe sehnst.“
„Sie ist weg. Verschwunden oder versteckt hinter den Blauen Bergen oder in einem entfernten Nebel. Vielleicht war alles nur Einbildung – die Fantasie eines kleinen Hosenscheißers…“
„Eines großen Hosenscheißers.“
„Wenn du so willst.“
„Es fehlt dir am Glauben.“
„Nein. Es ist was anderes… Was willst du eigentlich von mir?!?“
„Es bricht mir das Herz, dich derart geknickt zu sehen.“
„Ich bin nicht geknickt. Quark mit Soße. Du wirst es nicht verstehen. Es ist wie ein Riss in der Wirklichkeit. Irgendwas stinkt gewaltig auf dieser Welt. Ich werde dieses Gefühl nicht los…“
„Aber du warst doch auch glücklich. Du hast geliebt.“
„Eine Zeit der Illusion.“
„Na und? Wenn alles eine Illusion ist – was macht das?“
„Hör auf!“
„Okay. Aber nur für heute.“
Kurz und bündig
Es gibt Schlimmeres als Sterben, z.B. erst gar nicht leben.
Das Beste ist, einfach nicht da zu sein, – dabei an seine Existenz zu glauben.
Am Ende küsse ich das, was ich für mein Leben hielt.