Den Dialog wieder aufnehmen

Kann die Hertha Meister werden? Jeder wird sagen: Unmöglich. Hertha kämpft gegen den Abstieg.
Kann die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen? Alleine unmöglich. Wer glaubt, dass unsere Waffenlieferungen der Ukraine zum Sieg verhelfen, verfügt entweder über ein Geheimwissen oder ist realitätsfremd.
Wollen wir uns in diesen Krieg auf Teufel komm raus hineinziehen lassen, weil wir uns moralisch in der Pflicht fühlen? Mein Herz schlägt immer für den Schwächeren. Mein Herz schlägt für die Gerechtigkeit. Aber haben allein wir die Moral gepachtet? Sind wir die Gerechten der gesamten Welt? Leben wir in einem Größenwahn? Sind wir Bayern München?
Nein, wir befinden uns auf dem Holzweg. Wenn wir den Dialog abbrechen, werden wir verlieren. Auf beiden Seiten der Grenzen leben Menschen mit ähnlichen Interessen. Ein Krieg bringt Zerstörung und unermessliches Leid. Er bringt Hass in die Welt. Ein Krieg ist kein Fußballspiel. Nach einem Krieg stehen wir vor Ruinen. Herz und Vernunft gebieten uns, mit unseren Gegnern zu verhandeln, auch wenn es schwer erscheint.
Ich bitte inständig alle Verantwortungsträger in der Politik und alle Machthaber auf der Welt: Überwindet euch und redet miteinander. Alles ist besser als Krieg. Die Menschen werden es euch danken. In den Geschichtsbüchern wird anerkennungsvoll geschrieben stehen: Sie sprangen über ihren Schatten und schafften Frieden.

Danke.

   

Abgebrannt II

Beim Wiederlesen eines alten Textes traf ich auf mein vergangenes Ich. Es sprach mich aus dem Text heraus an.

„Bist du es wirklich?“
„Glaubst du, dass außer mir, irgendwer Interesse an deinen Texten und Gedichten hat?“
„Ha-ha-ha, unverkennbar ich! Wie weit lebst du in der Zukunft?“
„Juni 2021.“
„Himmel, Arsch und Zwirn! Da bist du – äh – bin ich bald schon 60! – Nein erzähle mir nichts, will ich gar nicht wissen!“
„Du wirst es ja erleben.“
„Hey Alter, kannst du etwas Kleingeld rüberwachsen lassen? Wie du bestimmt gelesen hast, bin ich abgebrannt. Oder bin ich etwa 2021 immer noch pleite?“
„Nein.“
„Prima! Also, wie sieht`s aus?“
„Schätze, das klappt nicht. Du kennst doch das Großvater-Paradoxon.“
„Klar kenne ich das. Ich bin doch du. Erinnerst du dich noch, wie dreckig es dir damals ging?“
„Dunkel. Aber jetzt, wo ich deinen Text las, kommen mir einige Bilder wieder ins Bewusstsein aus der Zeit nach der Trennung von P.  – da kackte ich ganz schön ab.“
„Worauf du einen lassen, kannst, Alter! Die Narbe an deinem rechten Handgelenk wird ja wohl nicht verschwunden sein.“
„Das hättest du besser anstellen können.“
„Sorry – nach einer Flasche Bacardi…“
„Schnee von gestern.“
„Für mich noch nicht! … Es tut so verflucht weh!“
„Wird noch öfter wehtun.“
„Halt die Klappe! – will ich gar nicht wissen! Helfe mir lieber aus der Patsche – scheiß auf dieses Großvater-Paradoxon!“
„Selbst wenn es ginge, würdest du mit meiner Kohle nichts anfangen können.“
„Wieso das denn?“
„Die D-Mark ist nicht mehr. Wir haben den Euro… Du wirst es auch ohne meine Hilfe packen.“
„Soll mich das beruhigen? – Aber danke fürs Lesen, Alter. Darf ich dich noch was fragen?“
„Nur zu.“
„Wo hängst du… hänge ich 2021 so ab?“
„Berlin.“
„Wow! Als alter Sack in Berlin – ich glaub, ich träume. Wie geht`s mir denn so in Berlin?“
„Gut genug, um dir jeder Zeit ein Bier leisten zu können.“
„Dann habe ich`s wohl noch zu was gebracht?“
„Mache dir keine Illusionen, was deine Zukunft angeht.“
„Schade. Hätte mich auch gewundert, wenn ich mich wesentlich ändern würde… Aber vielleicht habe ich ja bis dahin wenigstens einen Gedichtband rausgebracht oder einen Roman geschrieben?“

„Dein Schweigen sagt mehr als tausend Worte.“
„Du wolltest doch gar nicht so viel über deine Zukunft wissen.“
„Du hast recht – ich sollte mich wieder der Gegenwart zuwenden. Habe da so`ne Idee, wen ich noch anschnorren könnte.“
„Mach das!“
„Ciao Alter! Man sieht sich!“

Ich verabschiedete mich von meinem vergangenen Ich, korrigierte den alten Text und stellte ihn auf meinen Blog. Mein vergangenes Ich hat es verdient gelesen zu werden.


Von Baum zu Mensch

Der Sonntagvormittag zog sich. Menschen strömten in den Park. Das Wetter war eher bescheiden, aber es regnete wenigstens nicht. Durchs gekippte Fenster drang Kindergeschrei vom nahen Spielplatz an meine Ohren, unterbrochen von den vorbeirollenden Blechmonstern. Wenn ich rausschaute, guckte ich nicht nur auf die Straße und die Hausfassade gegenüber, sondern auch auf die in mein Blickfeld ragenden Äste zweier Bäume, welche mit sommerlichem Grün die Kulisse einrahmten.
Ich hing in meinem Zimmer relativ leblos ab und schaute immer wieder hinaus. Meine Gedanken malten mit eintönigem Pinselstrich die vorgegebenen Minuten und Stunden aus. Spaßhalber fragte ich den Baum rechterseits vom Fenster: „Wie geht`s denn so, Old Boy?“ Ich fand diesen Baum, an dem ich fast täglich vorbeikam, wenn ich das Haus verließ, sehr sympathisch. Sein Gleichmut und seine Unaufdringlichkeit beeindruckten mich. Er strahlte in gewisser Weise eine ungeheure Abgeklärtheit den Dingen und der Welt gegenüber aus. Und das auch noch vollkommen authentisch.

„Bullshit!“
„What?“
„Ja, Mensch, ich bin`s, der Baum, an den du gerade dachtest.“
„Na klar“, sagte ich ungläubig und erhob mich von meinem Schreibtischplatz, um nachzuschauen, ob mir vielleicht ein Idiot auf dem Gehweg einen Streich spielte. Aber dort war im Moment niemand.
„Du kannst mir ruhig glauben. Ich höre oft den Gedanken der Menschen zu. Ganz selten mische ich mich ein. Deinen Gedanken lausche ich bereits eine ganze Weile, Mensch. Und heute konnte ich nicht anders…“
„Na dann“, meinte ich leicht trotzig. Ich glaubte immer noch nicht recht daran, dass ich gerade mit einem Baum sprach.
„Also erstens bin ich aus Baumsicht kein Old Boy, und zweitens gar nicht so abgeklärt, wie du meinst.“
„Entschuldige. Natürlich habe ich keine Ahnung, was einen Baum am Straßenrand so umtreibt. Ich finde es einfach schön, dass du da bist. Ich bezeichne mich inzwischen selbst als einen Old Boy. Ich meinte das nicht abschätzig. Im Gegenteil.“
„Schon gut. Das war Baum-Humor.“
„Haha!“
„Straßenrand war übrigens ein gutes Stichwort, Mensch. Würdest du gern wie ich Tag für Tag an meinem Platz stehen? Ich habe keine Beine wie du, um wegzulaufen. Meinst du, dass es mir hier besonders gefällt?“
„Weiß nicht. Woher soll ich das wissen, Baum?“
„Du kannst mich ruhig weiter Old Boy nennen – haha – denn ich fühle mich gar nicht als Baum…, also in dem Sinne, in dem die Menschen von Bäumen reden.“
„Okay. Dann nenne mich bitte auch nicht Mensch, sondern…“
„Ich werde dich Grübler nennen“, fiel mir der Baum ins Wort.
„Von mir aus. Ich wollte sagen, dass ich mich auch nicht unbedingt als Mensch fühle – also, wenn ich so das Treiben meiner Mitmenschen betrachte. Verstehst du das?“
„Ja, wie gesagt, ich lausche deinen Gedanken schon lange. Du fühlst dich wie ich am falschen Platz. Du kannst wie ich nicht weglaufen. Du bist wie ich dazu verdammt auszuharren…“

Plötzlich mischte sich eine andere Stimme ein, etwas heller als die von Old Boy:
„Höre nicht auf diesen Miesepeter! Dieser alte Sack zieht alles und jeden runter! Er sieht überall nur das Schlechte…“
Offenbar hatte sich der Baum links von meinem Fenster zu Wort gemeldet. Ich ging zum Kühlschrank und goss mir Weißwein ins Glas nach. Unglaublich, diese Bäume. Ich wusste gar nicht, dass sie so gesprächig sind.