Träume sind Schäume – auch wenn sie manchmal verdammt realistisch anmuten wie mein letzter Traum, in dem ich von einem Maskenmann erschossen wurde und danach Sex mit der Gerichtsmedizinerin hatte. Schließlich wachte ich im Kühlfach der Pathologie auf… Langsam dämmerte es mir, dass ich nicht tot war, sondern nur aufgedeckt in meinem Bettchen lag. Die Nacht war kalt, die Heizung aus. Schnell deckte ich mich wieder zu und schielte auf den Wecker. Er zeigte bereits 6 Uhr am Morgen an. Draußen herrschte der Jahreszeit entsprechend noch Finsternis. Der Mann mit der Maske ging mir nicht aus dem Kopf. Im Halbschlaf sah ich Menschen vor mir, die Masken über Masken trugen. Sie trugen eine Maske über der anderen, und nach der letzten war nur Leere.
Wir leben in einer Welt, in der nichts ist, wie es scheint. Die Künstlichkeit obsiegte. Die Natürlichkeit zieht sich immer weiter zurück. Wir leben in einer Welt, die von Masken regiert und gestaltet wird.
Brasko
Brasko und der Mann mit der Maske
„Es tut mir leid, Mr. Brasko. Nehmen Sie es nicht persönlich.“
Der Mann mit der Maske drückte ab. Ich hörte den Schuss nicht.
Ich wachte in der Gerichtsmedizin auf. Nein, es war kein wirkliches Aufwachen. Mir wurde schnell klar, dass ich tot sein musste. Mein Herz schlug nicht mehr. Bestimmt lag ich nackt auf einer Bahre. Was würde wohl als nächstes kommen?
Die Pathologin beugte sich über mich. Durch ihre Augen schaute ich in den Himmel. Sie sollte meine letzte Geliebte sein, die allerletzte… Ich lachte. Sie hörte mein Lachen nicht. Sie machte ihren Job.
„Pling“, die Kugel, die meinem Leben ein Ende gesetzt hatte, fiel in eine Nierenschale.
Ich wurde zu einem freien Kühlfach verfrachtet. An meinem rechten Großen Zehen baumelte eine Identifikationsmarke. Das Tot-Sein ist gewöhnungsbedürftig.
Ich wechselte in das Reich, in dem es keine Worte mehr gibt. Nichts musste einem noch leidtun.
Es war gestern und ist doch heute (28)
brasko und der weihnachtsmann
nachdem ich den platten am hinterrad meines fahrrads repariert hatte, setzte ich mich mit einem bier an meinen computer. keine neuen nachrichten. ich wunderte mich nicht. es war heiligabend. die meisten menschen versanken an diesem datum endgültig in der trostlosigkeit ihres daseins. und das schöne dabei war: sie merkten nichts davon. ich hatte nichts anderes vor als an anderen tagen. ich legte „jimi hendrix in woodstock“ auf und versuchte zu entspannen.
das läuten des telefons ließ mich hochfahren. meine hand glitt aus der hose und griff sich den hörer.
„brasko.“
„guten tag, mr. brasko, hier ist der weihnachtsmann. ich benötige ihre hilfe.“
„schön, um was geht es denn? vermissen sie ihre elche?“
„nein, ich erhalte morddrohungen.“
„ich dachte, sie sind immun gegenüber irdischem peanuts.“
„ich kriege immer diese anrufe auf meinem handy, und eine verstellte stimme flüstert: weihnachtsmann, das war ihr letztes weihnachten …
mr. brasko, sie machen sich ein falsches bild von mir. wenn ich auf die erde komme, bin ich sterblich wie jeder mensch. und heute ist heilig abend.“
„ich verstehe, mr. weihnachtsmann. haben sie noch einen anderen namen? verdächtigen sie jemanden? halten sie mich für blöd?“
„sie können auch claus zu mir sagen. nein, ich habe keinen verdacht. bitte, helfen sie mir aus der klemme.“
„das ist ziemlich knapp, claus. die einzige möglichkeit , die ich sehe, – dass ich sie heute abend als leibwächter auf ihrer tour begleite.“
wir machten also treffpunkt und uhrzeit fest. der weihnachtsmann legte auf, und ich besann mich auf die beschäftigung, bei der ich gestört worden war. ich hatte noch ein paar stunden zeit, mir gedanken über diesen fall zu machen. ich glaube nicht an den weihnachtsmann. offensichtlich wollte mich jemand gewaltig verarschen. aber meine neugierde war geweckt, und ich hatte zum schein den auftrag angenommen. wer steckte dahinter?
es dämmerte. die kälte hielt sich wenige grad über dem gefrierpunkt, und der schnee kroch zurück wie das meer bei ebbe. dieser claus klang reichlich schwul, und ich überlegte, ob ich die stimme kannte. ich hatte keine idee. mir schoß urplötzlich ein bild in den kopf: ein hund, der wie wahnsinnig im kreise wirbelnd seinen schwanz verfolgt … dann fiel mir die flasche johnny walker im kühlschrank ein, und ich wusste, was zu tun war.
wir trafen uns beim griechen. claus wartete schon. er trug einen roten anzug und war glattrasiert.
„guten abend, mr brasko.“
„sie sind also der weihnachtsmann? ich habe sie mir ganz anders vorgestellt.“
„wissen sie, ich möchte nicht erkannt werden. außerdem gehen auch wir mit der zeit, hoho.“
ich betrachtete den weihnachtsmann eingehender und versuchte ihn mir mit einem weißen rauschebart vorzustellen. es klappte nicht. er sah aus wie ein in die jahre gekommener homo.
„gehen wir“, sagte er, „ruprecht wartet schon.“
vor der tür parkte eine überlange, dunkle limousine.
„der schlitten fiel mir vorhin gar nicht auf“, sagte ich.
und claus antwortete, während er mir die hintertür aufhielt: „ruprecht flog ein paar runden.“
„ich verstehe“, säuselte ich und versank in den lederpolstern der rückbank. claus stieg zu ruprecht auf den beifahrersitz. dann starteten wir durch.
wir landeten vor einem night club.
„was ist mit den geschenken“, fragte ich blöde.
„seitdem sich die menschen gegenseitig beschenken, machen wir uns `nen geilen abend.“ claus lachte sein weihnachtsmannlachen: „hohoho.“
„ich verstehe.“
wir stiegen aus und betraten die bar. eine schwulenbar. naja, besser, als zuhause abzustürzen, dachte ich. es ging in dem schuppen hoch her, und ich hatte mühe, claus vor den allseitigen annäherungsversuchen zu schützen. claus und ruprecht tanzten ausgeflippt, umarmten sich leidenschaftlich und schoben sich gegenseitig ihre rosaroten lappen in den rachen. mein gott, dachte ich, warum läßt du das zu? plötzlich zerriß ein schuß den tosenden lärm. claus plumpste wie eine puppe rücklings auf die glitzernde tanzfläche. ich stürzte zu ihm und stützte seinen kopf, während augenblicklich totenstille im raum herrschte. blut rann aus seinem mir zugeneigten mundwinkel.
„claus“, raunte ich dem sterbenden zu, „ sie erzählten mir nicht alles.“
„ja“, blubberte claus in meinen armen.
„ wie sollte ich sie in dieser bar beschützen? hier hat, glaube ich, jeder ein motiv.“
ich blickte in die meute der betreten dreinblickenden umstehenden. ruprecht stand aschfahl zwischen ihnen.
„danke, mr. brasko“, hauchte claus, bevor er den löffel abgab. bis in alle ewigkeit.
ruprecht und ich bestiegen eilig den vorm eingang geparkten schlitten. während ruprecht startete, warf ich einen blick zurück auf die leuchtschrift, und ich las: „santa claus“.
„was wird nun aus weihnachten?“ fragte ich ruprecht.
„das war das letzte weihnachten“, sagte er bleich, „aber eigentlich ist weihnachten schon lange tot …“
„ja, das ist mein gedanke. es musste so kommen. jetzt gibt es nicht mal mehr den weihnachtsmann. warum vögelte er auch so willenlos durch die gegend?“
„mr. brasko, wo soll ich sie absetzen?“
„zuhause“, seufzte ich, „da wartet noch eine halbe flasche johnny walker auf mich.“
(02.04.2007)
Brasko und der Engel (2)
Gott versammelte seine Engel um sich. Zur Dienstbesprechung. Einige, die gerade auf der Erde zu tun hatten, waren per Video zugeschaltet. Wer sich Gott als alten Mann mit weißem Bart vorstellt, liegt voll falsch. Gott sah aus wie ein schnieker Banker. Wenn man nicht wüsste, dass es sich um eine Dienstbesprechung zwischen Gott und seinen Engeln handelte, hätte man denken können, man befände sich über den Wolken im oberen Stockwerk eines Bankenturms.
Nachdem allgemeinere Themen wie Corona, Ukrainekrise und Reptiloiden abgehandelt waren, sprach Gott einen der Engel direkt an.
„Bibi, wie weit bist du in der Sache Brasko?“
„O Herr, ich habe ihn so gut wie im Sack“, der Engel Bibi war per Video zugeschaltet.
„Und wann kann ich mit einem Ergebnis rechnen?“ hakte Gott nach.
„Sehr bald, O Herr… Wenn auch dieser Mr. Brasko eine harte Nuss ist“, Bibi räusperte sich verlegen.
„Ich gebe dir 2 Tage“, Gott rückte seine Krawatte zurecht, „Enttäusche mich nicht.“
„Sicher nicht, O Herr! Ich mache mich sogleich wieder an die Arbeit.“ Der Bildschirm, auf dem Bibi zu sehen war, verblasste.
…
„Danke, Sie sind ein Engel“, ich nahm das Bier entgegen.
„Sagte ich doch“, grinste sie breit, „Wollen wir nicht zum Du wechseln?“
„Ja“, grinste ich zurück, „Und, äh, wie heißt du?“
„Birgit – und du?“
„Brasko. Aber alle nennen mich Mr. Brasko.“
Wir prosteten uns zu. Ich nahm einen großen Schluck. Das Craftbier mundete gut, nicht zu speziell. Ich mag es süffig – „Birgit, du hast mich vorhin gefragt, ob ich glücklich sei…“
Der Tag hatte durch die engelhafte Begegnung im Biergarten eine positive Wendung für mich genommen. Vergessen war die unheimliche Erscheinung auf meiner Couch. Wird ein blöder Wachtraum gewesen sein. Schwamm drüber. Die Realität hatte mich wieder und das auf höchst angenehme Weise. Eine ganze Armee Glückshormone breitete sich in meinem Körper aus. Ich wehrte mich nicht.
Brasko und das Lächeln der Freiheit (6)
Epilog
Die Staatsregierungen verfolgten eine Politik nach der Devise „Operation gelungen – Patient tot“. Selbst die westlichen Demokratien, welche die Einhaltung der Menschenrechte zu ihrem Aushängeschild gemacht hatten, verfielen in einen Aktionismus, der totalitäre Züge annahm. Die Bevölkerung wurde nach Lust und Laune drangsaliert: Demonstrationsverbot, Reiseverbot, Lockdowns, Ausgangssperren… Es gab unter den führenden Politikern einen regelrechten Wettbewerb darin, wer am härtesten durchgriff. Die Grundrechte der Bürger wurden ignoriert. In den Leitmedien Tag für Tag Regierungspropaganda bis zum Erbrechen: Angstmache und Hetze gegen jene, die sich nicht beugen wollten, die die Politik kritisierten. Wer den Mund zu weit aufmachte, wurde zur Persona non grata erklärt. Honorige Wissenschaftler, Ärzte, Journalisten und Kulturschaffende wurden aufgrund ihrer kritischen Äußerungen diskreditiert und mundtot gemacht. Das Narrativ der Herrschenden durfte nicht hinterfragt werden – es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Brasko gehörte schon immer zu jenen, die sich keinen Maulkorb verpassen ließen. Ein Freiheitskämpfer, der an vorderster Front gegen Unrecht, Polizeigewalt und Totalitarismus protestierte, war er aber nicht. Er lebte seit Jahren sehr zurückgezogen. Ohne es zu wollen, wurde er in diese gesellschaftspolitische Krise hineingezogen. Er dachte darüber nach, sich vom Acker zu machen. Aber wohin? Weltweit drehten die Regierungen durch. Vielleicht war es da oder dort noch nicht so schlimm mit der Gängelung der Bevölkerung – fragte sich nur, wie lange noch.
Die Situation war zum Haare raufen. Obwohl Brasko hart im Nehmen war, verfiel er manchmal in Depressionen über die Ausweglosigkeit. Freedom hatte doch „aufgetankt“ bei ihm – wo war sie? Er trug ihre Nachricht stets in seiner Brieftasche und kramte sie an tristen Tagen hervor… erinnerte sich ihres Lächeln.
Brasko und das Lächeln der Freiheit (5)
Absolute Dunkelheit umgab mich. Ich brauchte eine Weile, um zu registrieren, wo ich mich befand. Mühsam richtete ich mich auf und knipste die Nachttischlampe an. Wie war ich ins Bett gekommen? Warum war ich nackt? Der analoge Wecker zeigte 6 Uhr an. Mir fehlte die zeitliche Orientierung. War es etwa schon morgens? Ich taumelte in mein Wohn- und Arbeitszimmer. Alle Glieder schmerzten, als hätte ich sonst was getrieben. Von der Digitalanzeige meiner Musikanlage las ich ab, dass tatsächlich 06:06 am war. Peu à peu stellte sich meine Erinnerung wieder ein. Zwei leere Gläser standen auf dem Beistelltisch, daneben ein vollgekritzelter Zettel. Groggy, wie ich mich fühlte, ließ ich mich auf die Couch plumpsen. Freedom hatte mir eine Nachricht hinterlassen.
Lieber Mr. Brasko,
vielen Dank für Deine Hilfe – auch im Namen meiner 2 schönen Schwestern. Wir feinstofflichen Wesen müssen ab und zu bei Euch Menschen auftanken. In unserem Falle waren dies Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit. Nicht jeder Mensch taugt dazu. Du gehörst zu einigen Wenigen, bei denen es sich für uns lohnt. Du kannst stolz auf Dich sein. Durch Deine Hilfe können meine Schwestern und ich wieder Hoffnung auf der Welt verbreiten – also, bis uns wieder der Saft ausgeht… Leider gibt es viele Menschen, die in Sachen Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit kontraproduktiv unterwegs sind und uns lieber tot sehen.
Verzeihe, dass ich Dich nicht bewusst an dem Prozedere teilnehmen lassen konnte. Das diente zu Deinem Schutz. Diejenigen, die es bewusst erleben, sind danach reif für die Klapse. Es ist zu harter Tobak für Euch Menschen. Am besten stellst Du Dir vor, dass Du tollen Sex mit 3 schönen Frauen hattest. Wahrscheinlich bist Du ziemlich erschöpft, aber keine Sorge, Du wirst Dich schnell erholen.
Vielen Dank auch für den Wodka. Deine Bekannte hat wirklich einen ausgezeichneten Geschmack!
Ich wünsche Dir alles Gute – vor allem Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit!
Deine Freedom
Ich rieb mir die Augen. Was für eine Story! Die konnte ich niemandem erzählen. Ich konnte es nicht mal selbst glauben. Wahrscheinlicher war doch, dass ich einer Verrückten auf den Leim gegangen war, die K.O.-Tropfen in meinen Drink schummelte, um mich hernach auszurauben… Ich sprang auf und schaute mich in meiner Wohnung um. Aber alles schien sich an Ort und Stelle zu befinden. Und dann: Warum hatte sie mich ausgezogen und ins Bett gebracht? Vielleicht eine anständige Räuberin? – die außerdem weder Geld noch Wertgegenstände mitnahm?
Ich verspürte das dringende Bedürfnis nach einem Drink – zum Runterkommen… Wodka + Cola ZERO koffeinfrei. Mit dem Zettel in der Hand döste ich ein.
Brasko und das Lächeln der Freiheit (4)
Die entscheidende Frage ist: Wie weit bin ich bereit zu gehen, die Freiheit und Menschenwürde vor einem totalitären Regime zu verteidigen? – einmal für mich persönlich aber auch stellvertretend für all die anderen um mich herum, deren Freiheit und Menschenrechte missachtet werden. Riskiere ich Gefängnis oder gar mein Leben? Oder ducke ich mich lieber weg und warte darauf, dass sich das Unwetter verzieht? Oder suche ich mir ein sicheres Refugium im Exil, um von dort gegen Unfreiheit und Unrecht zu wettern? Ich könnte auch opportunistisch das Lager wechseln und eifrig das Narrativ der Herrschenden verteidigen. Damit wäre ich erstmal fein aus dem Schneider. Ich schätze, nicht wenige Menschen wählen den Weg des Opportunismus. Sie wechseln ihre Gesinnung und Feindbilder im Zuge des Zeitgeistes oder einer Mode. Und dann die vielen Mitläufer, die aus Angst lieber die Klappe halten… Nein, einfach stillhalten war noch nie mein Ding – sowieso nicht das aktive Mitmachen an einer offensichtlich menschenverachtenden Agenda, welche die Diskriminierung und Entrechtung einer Bevölkerungsgruppe zum Inhalt hat. Ich will mir kein Feindbild aufdrücken lassen. Schon immer bewunderte ich Freiheitskämpfer wie Gandhi und Martin Luther King – beide wurden im Laufe ihrer Agitation für das Gute in der Welt umgebracht.
Aber auch viele andere haben meine Hochachtung verdient: Whistleblower oder investigative Journalisten, die der Öffentlichkeit unbequeme/ungeheure Wahrheiten zugänglich machen – was den Mächtigen so gar nicht gefällt. Ich denke z.B. an Edward Snowden, der in Russland als Exilant lebt, oder an Julian Assange, der im Gefängnis schmachtet.
Jedes Unrechtssystem bringt Freiheitskämpfer hervor, die sich nicht mit den Repressionen durch die machthabende Elite abfinden wollen und im Widerstand Kopf und Kragen riskieren…, nur weil sie den Mund aufmachen. In diesem Zusammenhang will ich auch die Widerstandsbewegung „Weiße Rose“ im 3. Reich nicht unerwähnt lassen. Was für mutige junge Menschen waren das! Erst das Fallbeil brachte sie zum Schweigen.
Die Frage steht im Raum: Wie weit bin ich bereit zu gehen? – Aber auch: Wie weit geht die Gegenseite mit ihrer Unmenschlichkeit und Lügenpropaganda?
„Mr. Brasko, ich erwarte von Ihnen keine Heldentat. Seien Sie einfach der, der Sie sind. Sie finden dann schon Ihren Weg.“ Freedom nippte an ihrem Wodka und lächelte, wie wahrscheinlich Ariadne Theseus angelächelt hatte, bevor der ins Labyrinth trat, wo der menschenfressende Minotaurus hauste.
„Nun rücken Sie endlich damit heraus, wie ich Ihnen konkret helfen kann!“ brach es aus mir hervor.
„Sie sind bereits dabei, mir zu helfen.“ Ihre Hand lag plötzlich auf der meinen. Die Verlegenheit stand mir im Gesicht geschrieben.
„Ähm – Darauf sollten wir anstoßen, Lady… Freedom.“
…
Wie spät war es eigentlich geworden? Die Dämmerung brach herein. Auch mein Geist verdunkelte sich. Ich verlor den Halt. Am Wodka allein konnte es nicht liegen. Als alter Trinker kannte ich mein Pensum.
Brasko und das Lächeln der Freiheit (3)
„Bitte Wodka pur“, rief mir Freedom hinterher.
Wow! dachte ich, taffe Lady!
„Der ist gut“, sagte sie, nachdem ich wieder Platz genommen hatte.
„Ja, ein Geschenk einer guten Bekannten… Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, Freedom“, setzte ich an, „aber wurde die Freiheit nicht schon immer mit Füßen getreten? Ist die Freiheit nicht die erste, die stirbt, wenn der Mensch auf dem selbstsüchtigen… oder ideologischen Trip ist?
Die Freiheit erlebte in der Menschheitsgeschichte nur kurze Momente, in denen sie wirklich geachtet wurde. Meist trug der Mensch sie nur plakativ vor sich her, ohne ihrem wahren Geist gerecht zu werden.“ – Ich nahm einen großen Schluck Wodka + Cola Zero koffeinfrei – „Nun frage ich Sie, wie kann ich Ihnen helfen??“
„Mr. Brasko, Sie haben recht, ich starb schon viele Tode. Sie übrigens auch“, Freedom lächelte mich voller Güte und Liebe an. Am liebsten hätte ich sie umarmt. Es gab Menschen, die Bäume umarmten oder ihr Auto streichelten… Warum sollte ich die Freiheit nicht herzen, wenn sie schon leibhaftig neben mir saß.
„Später“, sagte Freedom, die offenbar meine Gedanken lesen konnte oder sie zumindest erriet, „ich sollte endlich auf den Punkt kommen… Wie ich bereits erläuterte, wollen gewisse Mächte mir gerade gehörig ans Leder. Auch wenn ich ein Wesen aus einer feinstofflicheren Dimension als der Ihren bin, fürchte ich doch um mein Leben. Es ist nicht besonders angenehm, wie Sisyphos immer wieder von vorne zu beginnen – you understand?“ Freedom trank ihr Glas in einem Zuge leer und lachte lauthals, „Mr. Brasko, wissen Sie, dass Sie ein ganz außerordentlicher Mann sind?! Sie können sich geehrt fühlen, dass ich Sie auswählte… Gucken Sie nicht so verdattert! – bringen Sie mir lieber noch ein Glas dieses Spitzen-Wodkas!“
Brasko und das Lächeln der Freiheit (2)
Der Januar ist nicht gerade mein Lieblingsmonat. Vielleicht wegen dem manifesten Grau in Grau, der Kälte und den kurzen Tagen. Vielleicht auch deswegen, weil der erste Monat des Jahres ziemlich schnell alle Hoffnungen und guten Wünsche, die man für sich und andere hegt, im öden Gleichmut des Alltags erstickt. Schön war es, sich mehr Freiheit zu wünschen, mit dem Gestern abzuschließen und auf einen Neuanfang zu hoffen. Blöd halt, dass es dazu Taten braucht.
Ich befand mich in einer ausgedehnten Phase der Lethargie, als Freedom unerwartet hereinschneite. Vom ersten Moment an verspürte ich in ihrer Anwesenheit den Duft des Frühlings, das Aufblühen der Lebensgeister. Und außerdem war da ihr Lächeln, das mich bezauberte. Am liebsten wäre ich in ihrem Gesicht versunken.
„Mr. Brasko, ich bin bei Ihnen, weil Sie bekannterweise vor ungewöhnlichen Fällen nicht zurückschrecken“, Freedom kratzte sich an der Nase, „und ich bitte Sie in einem seeehr ungewöhnlichen Fall um Hilfe.“
„Was ist nicht ungewöhnlich auf dieser Welt?“ lachte ich, „Allein, dass Sie jetzt hier neben mir auf der Couch sitzen, ist unglaublich! … Legen Sie einfach los – ich bin ganz Ohr.“
„Zuerst sollten Sie wissen, dass ich kein Mensch bin, sondern eine Erscheinung… Ich könnte auch als alter Mann bei Ihnen hocken. Aber ich wählte den Körper einer jungen Frau, um es Ihnen leichter zu machen… Mr. Brasko, schauen Sie nicht so betrübt. Ich bin kein Trugbild. Ich bin so echt wie Sie, aber eben kein Mensch. Ich bin ein Wesen, das zwischen den geistigen und materiellen Dimensionen hin und herreisen kann. Ich bin Freedom, nicht mehr und nicht weniger. Neben mir gibt es ähnliche Wesenheiten wie die Liebe und die Gerechtigkeit – meine schönen Schwestern, wenn Sie so wollen, lach! Löschen Sie den alten Mann wieder aus Ihrem Kopf, Mr. Brasko!
Ich sehe Ihnen die Skepsis an. Gut so. Bleiben Sie skeptisch und glauben Sie nicht alles, was Ihnen gesagt wird. Verlassen Sie sich ganz und gar auf Ihr Gespür…, denn auch Sie sind ein geistiges Wesen und nicht nur Materie. Womit wir beim Problem wären. Die Menschheit steht vor einer elementaren Entscheidung, bzw. Weggabelung: Geht sie den Weg der Freiheit oder wählt sie unwiderruflich den Weg von Gleichschaltung, Bevormundung und Unterdrückung? – Zurzeit sieht es ganz danach aus, als ob die Mehrheit der Menschen bereit ist, ihre Freiheit für scheinheilig abgegebene Sicherheitsgarantien zu opfern…“, Freedom schluchzte: „Und das würde meinen Tod bedeuten.“
„Ähm, Lady, wollen Sie vielleicht jetzt einen Drink?“, fragte ich und legte so viel Sanftmut in meine Stimme, wie mir möglich war.
„Danke, Mr. Brasko… warum nicht.“
Brasko und das Lächeln der Freiheit (1)
Mir war nicht danach, die Tür zu öffnen, als es klingelte. Es war Sonntagmorgen. DHL konnte es nicht sein und auch sonst niemand meines Interesses, denn ich kannte niemanden in Berlin. Ich unterhielt keinerlei privaten Kontakte in dieser Millionenstadt. Ich führte seit ein paar Jahren das Leben eines Einzelgängers. Es klingelte ein zweites Mal. Mein Puls erhöhte sich. Vorsichtig linste ich aus dem Fenster hin zum Eingang, konnte aber niemanden erspähen. Vielleicht hatte ein Nachbar seine Schlüssel vergessen und wollte ins Haus. Vielleicht wollte mich meine Ex, die mich vor vier Jahren verlassen hatte, überraschen… Ich saß in Boxershorts am Schreibtisch, unrasiert und ungeduscht. Ein drittes Mal ertönte die Klingel. Warum klingelt dieser Mensch nur bei mir? fragte ich mich. Welcher Idiot störte Anfang des Jahres meine Kreise?
Eine junge Lady begrüßte mich, nachdem ich geöffnet hatte. Die Neugier ist eine verdammte Arschbeißerin. Wenn ich nicht stundenlang darüber grübeln wollte, wer so hartnäckig den Klingelknopf strapazierte, musste ich aufmachen.
„Mr. Brasko, bitte lassen Sie mich eintreten! … Sie sind doch Privatdetektiv?!“
„Äh ja, aber… ich… mein letzter Fall liegt Jahre zurück…“, stotterte ich verlegen. Die Lady ließ mich nicht ausreden und drückte sich an mir vorbei in den Flur.
„Entschuldigen Sie“, sagte sie schnell, „ich benötige Ihre Hilfe!“
Da ich die Erscheinung des Eindringlings nach kurzem Abscannen als unbedenklich und gewissermaßen reizvoll kategorisierte, lächelte ich, wie ich schon lange nicht mehr gelächelt hatte, und folgte der Lady in die Tiefen meiner Wohnhöhle. Sie fand den Weg von selbst und nahm auf meiner Couch Platz.
„Tja“, begann ich, „ich bin, wie gesagt, schon eine gute Weile aus dem Geschäft.“
„Das macht nichts, Mr. Brasko, Sie haben gute Referenzen. Sie sind genau der richtige.“
Ich war immer noch ganz aus dem Häuschen über meinen unerwarteten Besuch und verspürte das dringende Bedürfnis nach einem Drink. Die Lady wollte erstmal nichts. Auch gut. Ich setzte mich zu ihr und gönnte mir einen großen Schluck Wodka + Cola Zero koffeinfrei.
„Ich bin nicht gerade auf Besuch vorbereitet“, sagte ich lächelnd, „darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?“
„Nennen Sie mich Freedom“, antwortete die Schöne auf meiner Couch und lächelte auch.