Es war gestern und ist doch heute (26)

Es regnete Tag und Nacht. Die Blätter fielen zuhauf, abgerissen von schweren Tropfen und Hagel. Ein Wolkenheer in grauem Rüstzeug zog über das Land. In der Nacht donnerten und blitzen seine Geschütze in einer fernen, unwirklichen Schlacht. Am Morgen blies ein heftiger Wind. Viele Blätter waren gefallen und leuchteten rot und gelb in der Sonne. Immer wieder lösten sich neue und tanzten gen Boden. Dem Herbstwind gefiel das Spiel, und er rief die Sonne: „Komme hervor und lasse die Erde leuchten!“ Und die Strahlen der Sonne brachen durch die Wolken und fielen auf das nasse Laub. Das war eine Farbenpracht! Daneben der Alltag der Menschen und die Hektik der Stadt in gleichgültigem Grau. Und der Wind rief auch die Menschen, aber nur wenige hatten gefallen an dem Spiel. Der Wind war wie ein Kind, und auch die Sonne vergaß ihren mütterlichen Ernst. Die zwei scherzten – ei! – ein Hut machte sich davon, Papierbällchen strauchelten über das Pflaster, Blätter tanzten Ringelreih, bis sie schließlich irgendwo klebenblieben: unter dem Schuhabsatz eines Passanten, in einer Pfütze, zertreten, verrottend.
Dieses Spiel wiederholt sich jedes Jahr, jedes Jahr dieselben Zeichen der Vergänglichkeit im Rhythmus eines schlagenden Weltherzens. Das Leben ist kurz. Nur kurz wirbelt das Blatt durch die Luft, um dann eins zu werden mit der Erde, und macht sie fruchtbar.

(1985)