Es war gestern und ist doch heute (6)

Die Poetentankstelle


Vergeblich suche ich die Leichtigkeit
finde etwas Zerstreuung beim Blättern durch die Lyrik
von Nazim Hikmet
weihnachtlicher Lichter-Schmuck vor der Kneipentür
die Nacht hat sich den Tag gepackt
ich sitze auf einer abgewetzten Holzbank
das Bier griffbereit vor mir

gäbe es doch eine Poetentankstelle für das Auftanken
unserer leeren Köpfe
zu gegebener Zeit
an dem opulenten Arsch der Bedienung kommen meine
Blicke nicht vorbei
ihre Augen sind ständig entzündet, und ihr lächelnder Mund
wie eine Mondsichel –
die Kneipe ein kurzer Schlauch
Geborgenheit

Vergeblich suche ich die Leichtigkeit
Gedanken huschen wie lästige Fruchtfliegen vor meinem
Geist
die Reise vom Heute in das Morgen
ist Unruhe
bin ich der Gast, der auf der verwetzten Holzbank sitzt
das Bierglas ansetzend
die Lyrik von Nazim Hikmet vor Augen
wie den opulenten Arsch der Bedienung?
gäbe es doch eine Poetentankstelle für das Auftanken
unserer leeren Köpfe

zu gegebener Zeit
die fremden Menschen rücken in mein Gefühl
als wären sie Kunstwerke einer liebevoll arrangierten
Ausstellung
Öllampen brennen auf den Kneipentischen
der freie Bauchnabel einer Frau, die sich streckt
die Mutter hebt das Baby aus dem Kinderwagen
und wiegt es an ihrer Brust
das kleine Wesen fasst sich einen Finger
unsere Augen leuchten

Die Nacht, die sich den Tag geholt hat
die Kälte der illuminierten Stadt im Winter
vergeblich suche ich die Leichtigkeit
ich leide unter einem chronischen Katarrh der Seele
gäbe es doch eine Poetentankstelle für das Auftanken
meines leeren Kopfes
zu gegebener Zeit


(18.12.2005)

– der „alte Schluuch“, eine meiner Lieblingskneipen, immer wenn ich nach Basel kam – 

Damals unsere Liebe

Deutscher Sohn

wenn ich dich liebte
so direkt aus meinem Herzen
wie die Lieder der Brüderschaft
die Einheit der Kinder Hand in Hand
wie der Flug der Schwalben
die dicken Schneeflocken
wie die Regentropfen
und wenn die Worte nicht mehr ausreichen
wenn ich wie die Wolken weine
dieser Himmel, diese Sonne gehören uns

wenn ich dich liebte
wie der Tod des Führers
schau mir ins Gesicht
schau mir tief in die Augen
meine Haare sind schwarz, meine Haut ist weizenbraun
mein Blick ist kaffeeschwarz
meine Hände werden blau in deinen Augen
die Lippen, wie reife Kirschen an den Ästen
los! Küss mich im Namen der Liebe …

(Frau M., 2006)

Dein Gedicht. Deine Liebe. Du wirst immer in mir bleiben.