Sag ich doch

Hertha spielt heute 15 Uhr 30 – da wird`s im Pub voll sein. In der letzten Zeit verbringe ich fast täglich eine Stunde im Pub, genauer gesagt Puschels Pub. Ich sage eine Stunde, weil ich selten mehr als drei Pils trinke. Die sind in einer Stunde zu schaffen. Viel länger wollte ich dort nicht an der Bar sitzen: zu verraucht, und die Stammgäste sind eine Gesellschaft für sich. Ich dränge mich nicht auf, trinke mein Bier, blättere in einer Zeitschrift oder schaue einfach vor mich hin. Durch die Fensterfront sieht man das Leben auf der Potsdamer Straße, was teilweise recht skurril ist – ich meine die Figuren, die da vorbeilaufen, ein regelrechtes Panoptikum menschlicher Erscheinungen.
Am liebsten habe ich, wenn es nicht zu voll ist an der Bar. Das wird heute Nachmittag sicher nicht der Fall sein (wg. Hertha). Ich könnte freilich in eine andere Kneipe ausweichen, aber da gibt`s sonst nicht viel nach meinem Geschmack. Und so nötig habe ich`s nicht. Mein Bier kann ich auch zuhause trinken.
Nun ist Berlin so groß, aber die richtige Kneipe für mich fand ich noch nicht. Entweder sind mir die Lokale zu spießig, zu uninteressant oder zu abgefuckt. Oder sie liegen in einem anderen Kiez und öffnen erst spät. Man hat`s nicht einfach auf der Welt.

Der Tauchlehrer

Mir graut schon vor dem Abend, wenn die Berliner es mal wieder knallen lassen. Am Besten ein paar Schlaftabletten einwerfen und mit Ohropax hinüber pennen. Wenn dann aber ein Feuer ausbricht, wird man im Schlaf gegrillt – auch nicht gerade beruhigend. Vor zwei Jahren durchschlug eine Rakete den Aluminiumrolladen. Nichts für schwache Nerven. Das Idiotenvolk spielt Krieg auf der Straße.
Zudem fühle ich mich heute gar nicht auf der Höhe. Gestern im Pub einen über den Durst getrunken. Ein Typ schneite plötzlich herein und meinte: „Endlich mal `ne normale Kneipe.“ Der Barkeeper grinste: „Normal?“ Jedenfalls setzte sich der Typ auf den Hocker neben mir und wir kamen ins Gespräch. Ich erfuhr, dass er Tauchlehrer ist, und er erzählte mir, wo er überall auf der Welt in den letzten drei Jahren gearbeitet hatte, seit seine Partnerin mit `nem anderen durchgebrannt war. Das hatte ihn damals umgeschmissen. „Verstehe“, sagte ich. Ich fand den Tauchlehrer nicht unsympathisch. Wie ein Tauchlehrer sah er aber gar nicht aus, – jedenfalls, wie ich mir einen Tauchlehrer vorstelle: braungebrannt, gutaussehend, sportlich. Schließlich kam er doch gerade aus Abu Dhabi oder sonst wo. Wenn man acht Stunden am Tag unter Wasser sei, werde man nicht braun, sagte er auf meine kritische Anmerkung hin, – ganz so abenteuerlich dürfe ich mir seine Arbeit nicht vorstellen. Ich betrachtete mir den Tauchlehrer näher: sah ein bisschen wie ein Fisch aus mit seinen großen braunen Augen. Inzwischen hatte ich schon einiges intus.
„Am Schlimmsten sind die Russen und die Chinesen“, sagte er.
„Ach. Und wieso?“
„Die Russen, weil sie ständig besoffen sind.“
„Und die Chinesen?“
„Die sind noch schlimmer als die Russen…“
„Aber doch nicht, weil sie trinken…“
„Nein, weil sie nicht schwimmen können.“
Wie lange er dieses Leben noch führen wolle, fragte ich ihn. Der Tauchlehrer hatte keine konkreten Pläne. Damals, ja, da hätte er noch Pläne gehabt zusammen mit seiner Partnerin. Sie betrieben in Warnemünde ein kleines Unternehmen.
„Hast du noch Kontakt zu ihr?“
Nein, das sei nach dieser Sache unmöglich, antwortete er.
Ich nickte und wendete mich meinem Bier zu. Zeit zu gehen, dachte ich. Mir brummte der Schädel. Der Rauch hing in Schwaden im Schankraum. Ich musste dringend an die frische Luft!

Alter Walter!* – ich bin froh, wenn dieses Silvester rum ist. Wann schließen die Geschäfte? Ich will noch Brot, Käse und Wein kaufen.

*kommt mir als Floskel in letzter Zeit häufig in den Sinn

Ungeordnet

Der Chirurg hebt das Herz aus dem geöffneten Brustkorb und sagt: „Jetzt bist du frei.“

Frage: Was für ein Verhältnis hast du zum Vatertag?
Antwort: Kurzgesagt keines.

„Ich liebe dich.“
„Verhöhne mich nicht.“
„Mache ich auf gar keinen Fall.“
„Hast du schon.“

Der Killer schaut sich das Opfer an, ein junger Mann Anfang Zwanzig – er wollte demnächst heiraten. Seinem Auftraggeber war diese Heirat ein Dorn im Auge. Der Killer spürt in sich einen Anflug von Wehmut. Er weiß, dass er sich solche Gefühle nicht erlauben kann. Scheiß Job, denkt er, dreht sich weg und grinst ein falsches Grinsen.

Mein ganzes Leben steckt in einer Kiste, völlig ungeordnet. Falls es Gott gibt, hat er einiges zu tun, um den Kram darin auseinanderzuklamüsern. Aber er hat sicher Gehilfen, die dafür ausgebildet sind.
Von der Rentenversicherung kriege ich regelmäßig eine Statusmeldung über meine Rentenansprüche geschickt. Sieht freilich beschissen aus. Gott erspart mir solche Meldungen.

Der Blues ist wie ein treuer Hund an meiner Seite.

Als ich die Bar verließ, winkte mich der Wirt zurück und fragte, was ich am Vatertag vorhätte. Er stotterte etwas herum. Eine Band würde spielen. Die Musikrichtung Santana… so was in der Art… instrumental. Ich schaute ihn an, und mir fiel auf, dass er mir nicht in die Augen schauen konnte. Klar, sagte ich, klingt gut, warum nicht.

Wie würde es sich wohl anfühlen, ohne Herz zu leben?