Ich kann warten

Normalerweise will das Lebendige nicht sterben. Das Lebendige ist auf Leben programmiert. Doof, wenn man diese Programmierung hinterfragt. Ich will auch nicht sterben. Aber oft hatte ich Selbstmordgedanken. Einen Selbstmordversuch unternahm ich, als ich eine große Liebe verlor. Inzwischen hatte ich noch ein paar Lieben und bin froh, dass es schief ging. Es ist gar nicht so einfach, sich nach einer Flasche Rum die Pulsadern richtig aufzuschneiden. Ich war Anfang 30. Ich war ziemlich unten. Jeder wird es auf den Alkohol schieben. Ich trank und trank, bis ich fast ertrank. Aber schon bevor ich den Alkohol für mich entdeckte, fühlte ich mich einsam. Mein ganzes Leben lang fühlte ich mich einsam. Ich stellte sehr früh unmögliche Fragen nach dem Dasein.
Mit 15 fing ich an, Gedichte zu schreiben.

Notizen

  • Was macht man in einer Gesellschaft voller Verräter?
  • Sie nennen ihre Lügen Aufklärung.
  • Ich habe niemandem mehr etwas zu beweisen.
  • Die Verlogenheit in der Gesellschaft ist mein Dauerbrenner-Thema.
  • Mit meinen Kindern muss ich nicht ins Reine kommen, weil ich keine habe.
  • Wohin soll ich in den letzten Jahren meines Lebens gehen?
  • Niemand hat die Chance, gegen sein eigenes Monster zu gewinnen.
  • Damals trank ich Alkohol aus Trotz und Auflehnung – heute ist er mein einziger Verbündeter.


Es war gestern und ist doch heute (4)

Weihnachten 1994

Die Eltern bringen mir eine Kiste Fressalien und einen Fuffi in einem Briefumschlag. Ich lege die sentimentalste Alkoholbeichte meines Lebens ab, und was alles dran hängt.
Wir lassen dich nicht hängen, sagen die Eltern, und schauen betreten. Ich will sie wieder aufheitern mit meiner alkoholverschleierten Durchsicht.
Wie wirklich ist die Sentimentalität? Warum gibt es Plastikweihnachtsbäume?
Ich langweile mich mit mir selbst. Die Klamotten stinken nach Kneipe, Schweiß und Urin – es fühlt sich nach Verwesung an. Der nahe Tod ist wie ein leer stehendes Haus mit wild wucherndem Vorgarten.
Meine Nachbarin ist nicht da. Es herrscht Mucksmäuschenstille. Feiertagsgediegenheit.
Seit Stunden höre ich Rockmusik. So lässt sich der erste Weihnachtsfeiertag an, mit einem Fuffi im Briefumschlag und dem Rest von 10 Dosen Bier.
Armin speist mit Eltern und Großeltern. Unerreichbar. Alles Gute, alter Freund!
Ich muss mich irgendwie loseisen. Ich bin wie festgefroren.


Corona-Vision

Wir schreiben das Jahr 2050. Kneipen, Bars und Clubs gibt es nicht mehr. Der Verkauf von alkoholischen Getränken wie deren Konsum ist strengstens verboten. Wer beim Trinken eines Bieres erwischt wird, wird auf unbestimmte Zeit in eines der vielen Umerziehungslager überstellt. Täglich laufen Razzien gegen illegal betriebene Clubs und Kellerbars. 100 Jahre nach der Prohibition in den USA erlebt die menschliche Gesellschaft ein globales und noch viel rigoroseres Verbot von Alkohol und Drogen… Alles begann vor 30 Jahren mit Corona. Die Pandemie wurde schnell Mittel zum Zweck einer im fernen Osten lauernden Großmacht. Man hatte die Chinesen unterschätzt. Sie kauften uns einfach alles unter den Füßen weg. Sie nutzten konsequent die Schwäche des Kapitalismus aus, dass alles und jeder käuflich ist. Während die Demokratien dieser Welt mit sich selbst beschäftig waren und nicht in die Pötte kamen, allen voran das Kasperletheater, welches sich EU nannte, arbeiteten die Chinesen emsig wie ein Ameisenvolk an ihrem Anspruch an die Weltherrschaft.
Es kam, was kommen musste. George Orwell hatte die Entmachtung des Individuums bereits vor Jahrzehnten in einem seiner Romane vorweggenommen. Demokratien sind nichts weiter als ein Jux der Geschichte – Menschenrechte, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit fixe Ideen irregeleiteter Individuen, die nur sich selbst im Blick haben. Das Großreich China erweckte den Sozialismus zu neuem Leben. Man hatte jetzt die Mittel dazu, 10 Milliarden Menschen zu steuern und im Zaum zu halten.

Ich lebe in Deutschland. Es heißt noch so. Ich trinke heimlich (doch was geht in diesen Zeiten schon noch heimlich?). In meinem Alter scheiß ich drauf. Ich meine, wenn sie mich kriegen, dann ist es halt so. Ich erinnere mich noch gut an 2020, als die Bürgerrechte wegen Corona peu à peu unterminiert wurden…



Berliner Luft

Der Wetterfrosch hatte fürs Wochenende Unwetter mit Starkregen vorausgesagt. Gestern Nachmittag verdunkelte sich der Tag, und es klarte nicht mehr auf. Keine regelrechten Unwetter passierten, aber Regen bis in den Abend hinein. Den Biergarten konnte ich abhaken. Nur zum Einkaufen war ich draußen. „Die Natur braucht`s“, meinte die Kassiererin. Ich nickte: „Ja, schön für die Natur.“

Auch der Sonntag beginnt trübe. Genau die richtige Stimmung für Bob Dylan Songs… Oder was in der Richtung: Guter Blues- oder Country Rock mit tiefen Bässen und einer schmutzigen Stimme. Ich empfehle „Aardvark Blues FM“ ein ums andere Mal.
Die Wäsche, die ich gestern Vormittag aufhing, ist immer noch feucht. Die aktuelle Luftfeuchtigkeit in Berlin liegt bei 85%, lese ich. Ist das hoch? – Ja, Mann, das ist verdammt hoch!
Man sollte die Luft mit hochprozentigem Alkohol durchsetzen… Immer schön tief ein- … und ausatmen. Geil.
„Hey Mann, wie machst Du das, dass Du, ohne was getrunken zu haben, betrunken bist?“
„Die Luftfeuchtigkeit ist hier hoch.“
„Ach so.“
„Ja, das macht der Alkoholgehalt der Luft.“
„Wusste nicht, dass in der Luft Alkohol ist.“
„Berliner Luft… haha!

Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit in Berlin kam es zu zahlreichen alkoholbedingten Verkehrsunfällen im Stadtgebiet. Die Polizei ruft die Bevölkerung auf, das Auto heute stehen zu lassen. Die Promillegrenzen gelten auch bei passivem Alkoholgenuss…

 

Wer den Stein runterrollen lässt, muss ihn mühsam wieder hochtragen

Freiheit ist kein Zustand, der an Bedingungen/Lebensumstände geknüpft ist, sondern ein Gefühl. Doof halt, dass gewisse repressive äußere Umstände sich in aller Regel negativ auf mein Freiheitsgefühl auswirken. Dem wirke ich dann mit ein paar Flaschen Bier entgegen. Bestimmt gibt es auch wirksamere Drogen, um in einem Gefühl der Freiheit zu schwelgen… Ich persönlich bleibe lieber bei meinem alten Kumpel Alkohol. Ich bin etwas altmodisch. Es soll auch Menschen geben, die dasselbe durch Meditation erreichen. Das ist dann auf alle Fälle gesünder.
Was ich mit meinem Eingangssatz sagen wollte: Die Welt mit ihren Einschränkungen, Doktrinen, Gesetzen, Geboten, Regeln und Grenzen können wir schwer ändern. Im besten Falle erreichen wir punktuell mehr Freiheit für Einzelne oder Gesellschaftsgruppen, indem wir für geistige Aufklärung, Emanzipation und Gerechtigkeit eintreten. Viele Kämpfe wurden im Laufe der Geschichte für mehr Freiheit geführt. Einige wurden sogar gewonnen. Darum lebe ich heute in einer freieren Gesellschaft als vor… 80 Jahren. Würde ich mal behaupten. Noch – denn gesellschaftliche Freiheiten können uns auch wieder verloren gehen, oder sie verändern sich im Zuge der technischen und kulturellen Entwicklung. Die nächsten Generationen entwickeln womöglich ganz andere Werte, als ich sie habe. Die Digitalisierung der Welt weist bereits in eine Richtung, die mir nicht besonders angenehm ist. Ebenso existieren gegenwärtig auf der Welt Kulturen mit zum Teil unterschiedlichen Freiheitsvorstellungen. Eine westliche Demokratie ist nicht mit einem islamischen Staat zu vergleichen. Freiheit in der menschlichen Gesellschaft/Wirklichkeit ist also sehr relativ… Wir werden immer im Zeitgeist einer Kultur gefangen sein.
Eigentlich ist es müßig, ständig von Generation zu Generation, von Zeitalter zu Zeitalter gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit in der Welt anzukämpfen. Das Leben selbst mit seiner täglichen Routine ist Sisyphos in Reinkultur. Darum befasse ich mich lieber mit der Tagträumerei und der Freiheit als Gefühl – mehr oder weniger unabhängig von der Welt da draußen.
Freilich, würde man mir mein Bier wegnehmen, wäre ich echt sauer! Denn dann bliebe nur noch Meditieren…

 

Wer ehrlich ist, lügt

Halb Berlin ist ständig alkoholisiert und/oder unter Drogen, vermute ich, – nicht weil ich von mir ausgehe. Ich schaue mich um und zähle eins und eins zusammen. Eine ganze Indizienkette zeigt sich mir. An jeder Hausecke oder Eingang stehen leere Bier- oder Schnapsflaschen und auf den Gehwegen und Straßen Scherben, so dass ich vom Pub bis nach Hause Slalom fahren muss…
Ein Grund, warum ich trinke: ich bin von der Welt traumatisiert. Nicht von den ganzen Trinkern. Nein. Sondern von denen, die vorgeben, nüchtern zu sein (- dabei das Leben lieben?)… Es ist nämlich keinesfalls so, dass die schlimmen Dinge immer von den Betrunkenen ausgehen. Man muss sich nur mal die Moslems ansehen, die per se nicht saufen dürfen. Ich kann bislang nicht entdecken, dass sie die besseren Mitmenschen sind. Ich meine jetzt nicht die ganzen Clans, Verbrecher und Extremisten – sind das überhaupt Moslems? Nein, ich meine die echten Gläubigen, die sich aber auch in einem fort kloppen. Z.B. im Nahen Osten. Gut, ich muss nicht alles verstehen. Auch darum trinke ich… – jedenfalls lieber, als dass ich an Gott oder sonst was religiös-ideologisches glaube.
Doch lassen wir das. Es hat einen guten Grund, warum man in Kneipen und auf der Arbeit besser nicht über Politik, Religion oder den Zustand der Gesellschaft redet. Das endet nämlich oft im Streit. Und hernach kann man sich nicht mehr leiden. Ist doch klar, dass es Mitmenschen gibt, die so gar nicht meiner Meinung sind. Dem ein oder anderen sehe ich es sofort an. Also, besser Schnauze halten oder blöde lachen. Noch ein Bier bestellen, und alles ist gut. Im Pub ist man mit Korn ganz vorn. Wer an der Theke zum Korn eingeladen wird, gehört dazu. Es gibt Tage, an denen ich mich diskriminiert fühle…
Egal. Ich bin autark und stark. Ich ruhe in mir. Wer offensichtlich Scheiße schwätzt, den klammer ich nicht gleich aus. Mein Herz ist groß. Vielleicht würde ich sogar Erdogan und Trump mögen, wenn wir uns in einer Kneipe träfen. Es käme auf einen Versuch an. Ich kann mir vorstellen, dass sie sehr umgängliche Typen sind, solange man sie beim Blödsinnlabern nicht unterbricht.
Als Sita gestern Nachmittag die Schicht übernahm, hatte ich bereits genug. Schließlich bin ich inzwischen (fast) ein alter Sack. Wenn man einen Menschen mit einer Jeans vergleicht, dann befinde ich mich in dem Übergangsstadium von verwaschen-sexy und ausgebeult-cool hin zu untragbar. Leider kann niemand diesen Verfall aufhalten. Immerhin: Im Gegensatz zu früheren Zeiten, weiß ich inzwischen, wann ich besser gehe. Dauerte lange genug, bis bei mir der Groschen fiel.
Nachdem ich mich von meinen Fans im Pub verabschiedet hatte, machte ich mein Brompton vom Verkehrsschild los, an welches ich es gekettet hatte (andere Möglichkeiten, sein Fahrrad zu sichern, gibt`s dort nicht), und radelte nach Hause… Ich war noch nicht weit gekommen, stand an der Ampel Ecke Potsdamer Straße/Kurfürstenstraße, wo mir der Gedanke kam, den ich im ersten Satz beschrieb. In meinem halbtrunkenen Zustand fand ich ihn erstaunlich gut – er hatte beinahe Erleuchtungscharakter -, und darum nahm ich mir vor, am nächsten Tag (also heute), daraus einen Blog-Beitrag zu entwickeln.
Vielen Dank fürs Lesen.

Kontakt

Er steht seit Monaten im Regal. Wird Zeit, dass ich ihn verkoste. Ein Zurück gibt`s nicht mehr. Sieht aus wie Pisse. Den ersten Schluck habe ich schon hinter mir – etwas gewöhnungsbedürftig für meine an Bier und Wein gewöhnten Geschmacksknospen. Aber ich will Glen Buchenbach nicht gleich abhaken. Wäre auch seltsam, wenn ich schlagartig zum Whisky-Fan würde. Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Whiskeysorten habe ich nicht. Ich glaube, ich nippte nur ein einziges Mal an einem Whiskycola. In Erinnerung blieb mir ein widerlicher Käsefußgeschmack. Also, ein déjà gouté habe ich schon mal nicht. Oder doch?! – ich rieche nochmal… Es ist nur viel länger her, reicht zurück in meine Kindheit… Als Kind naschte ich übermäßig Süßigkeiten, was freilich Karies förderte. Die Löcher in den Zähnen folgten auf dem Fuße. Wenn ich dann über tierische Zahnschmerzen klagte, fabrizierte meine Mutter einen in einer Tinktur getränkten Wattebausch in das Loch des kranken Backenzahns. Dass die Tinktur ein alkoholisches Getränk war, wusste ich alsbald – und nun bin ich sicher, dass es sich um Whiskey handelte, der mich damals benebelte und den Zahnschmerz schnell verfliegen ließ. Mit der Zeit gefiel mir dieses Gefühl gut. Ich biss solange auf den Wattebausch, bis nichts mehr aus ihm rauszuholen war… Genaugenommen fing damit meine Trinkerkarriere bereits im smarten Alter von 4-5 Jahren an.

Das Whiskyglas steht leergesüffelt auf dem Schreibtisch. Soll ich nachgießen? Nein, ich gehe es besser langsam an und mache mit Bier weiter. Das Zeug steigt einem wirklich schnell zu Kopfe.