Verpasst

Mal ist die Poesie ein Luftballon, mal ein Medizinball. Ich strecke meine Glieder am Türrahmen. Ich begrüße mein Fahrrad, das im Flur steht. Ich schiele hinaus, ohne richtig hinzusehen. Die Welt hat sich über Nacht nicht auf den Kopf gestellt. Auch ich… mutierte nicht, weder zu einem Käfer noch zu einem anderen Wesen. Alles ist gut. Wobei ich schon gern verjüngt aufwachen würde, wenigstens um ein paar Jahre. Nicht mein ganzes Leben soll sich zurückdrehen – um Gottes Willen, nein! Ich möchte nur ein wenig an der Vergänglichkeitsschraube drehen. Die Selbstverliebtheit leidet doch sehr, wenn ich morgens beim Blick in den Spiegel mit dem Sieg der Schwerkraft konfrontiert werde. Allein schon die Ohrläppchen. Einst liebte ich meine Ohren. Andere Körperteile atrophieren komischerweise. (Ich will hier nicht näher darauf eingehen.) Die Verwandlung findet nicht über Nacht statt. Lange Zeit ignorierst du sie. Eines Morgens dann schaust du in den Spiegel und schreist: What the Fuck?!

In meiner Jugend hörte ich den Spruch „Das Leben ist wie eine Hühnerleiter – kurz und beschissen“, und wir lachten. Heute lache ich nicht mehr.
Genaugenommen ist das Altwerden ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Danke lieber Gott, oder wie ich dich nennen soll. Du musst ein Perversling sein. Bist du süchtig nach Gammelfleisch?!
Wozu das alles?

Ich sitze wie jeden Sonntagmorgen am Schreibtisch, höre Musik und schreibe. Ich laufe in den Tag hinein, ohne zu laufen. Ich denke, ohne zu denken. Ich atme, ich schwitze, und merke es nicht. Ich sehe meine alternden Hände über die Tastatur huschen. Ich würde gern Luftballons steigen lassen.

Wer kein Herz hat, kann nicht herzkrank werden

Die Personalchefin bügelte meinen Antrag auf Teilzeit ab. Sie argumentierte betriebswirtschaftlich mit der Bürobelegung. Man müsse schon sehr wichtige Gründe vorbringen. Möglicherweise sehe ich einfach zu gesund aus (bin alleinstehend, habe kein Kind zuhause oder ein Elternteil, um das ich mich kümmern muss). Auch ist es nicht mein Ding, Mitleid zu erbetteln. Ich kündigte an, ihrem ablehnenden Bescheid zu widersprechen, dann freilich ausführlich begründet und mit ärztlicher Bescheinigung.
Reichlich aufgewühlt und demoralisiert ging ich in den Feierabend und gab in der Kupferkanne allen Gästen einen aus. In der Nacht schlief ich kaum. Ich nahm mir kurzfristig Urlaub für ein verlängertes Wochenende. Danach weitersehen. Am besten werde ich Montag den Arzt aufsuchen…

Hinzu kommen die nach wie vor deprimierenden Nachrichten hinsichtlich der weltweiten Corona-Massenpsychose, die gewaltig an meinen Nerven nagen. Ich fühle mich wie in einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt.
Wenigstens der momentan Goldene Oktober ist eine kleine Freude, und dass ich in der Kupferkanne mein Bier auch als Ungeimpfter bekomme.

 

Der verrückte Traum

Die Tage gingen dann doch ziemlich schnell rum im Eintönigkeits-Blues. Als hätte ich Weihnachten verpennt. Nun nur noch Silvester. Bleibt das vermaledeite Corona. Wie schön wäre das: ich wache auf: die Kneipen haben geöffnet, kein Mensch redet über Corona, Lockdown, Impfungen und Verschwörungstheorien – als wäre 2020 nur ein schlechter Traum gewesen. Und keine fuckin` Masken!

Thorsten stellt das Bier vor mich auf die Theke. „Und wie geht’s so“, fragt er mich.
„Ganz gut. Allerdings hatte ich einen verrückten Traum…“
Es ist erst kurz nach Mittag. Außer mir sind nur wenige Gäste im Pub. Thorsten hat nicht viel zu tun. Ich erzähle ihm also von meinem Traum.
„Und alle Kneipen mussten dicht machen während dieses… äh…“
„Lockdowns“, ergänze ich und nehme einen großen Schluck von meinem Berliner Kindl, „… alles hatte zu außer den Supermärkten.“
„Das geht doch gar nicht“, Thorsten schaut ungläubig.
Ich lache: „Klar – war ja auch ein Traum… Allerdings war der wie echt. Weißt du, was ich meine?“
„Hm… Hinterher ist man sich nicht sicher, was real und was Traum ist. Das sind die gruseligsten Träume.“
Ich nicke und blicke durch die Fensterfront auf die Potsdamer Straße. Menschen aller Couleur hasten vorbei, sich stauende Autos, Hupen… der ganz normale großstädtische Moloch.
„Und das Verrückteste“, bricht es aus mir hervor, „wir mussten alle Masken tragen!“
„Karnevalsmasken – oder was?“
„Du nun wieder… Natürlich nicht! Ich meine solche Schutzmasken, wie sie die Chinesen in ihren Großstädten tragen. Du weißt schon.“
Thorsten grinst breit und blickt fragend auf mein fast leeres Glas.
„Logo. Damit ich mir ganz sicher bin, dass es nur ein Traum war.“
Neue Gäste kommen ins Pub, und Thorsten ist erstmal beschäftigt. Ich halte mich am Bier und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich sollte diesen Traum aufschreiben, denke ich bei mir. Er war so real. Unglaublich.

Welchen Tag haben wir? Ich reibe mir die Augenbutter aus den Augen. In der Gemengelage von Feiertagen und Wochenende verliere ich leicht den Überblick. Zeit aufzustehen, signalisiert mir meine innere Uhr, obwohl noch dunkel ist. Ich lag lange genug in den Federn. Was war das für ein verrückter Traum, den ich hatte? – Ich war im Pub. Thorsten bediente…


Regen, Regierung und Lockdown

Der Regierungserklärung zum erneuten Lockdown während des Homeoffice gelauscht, auch mal hingeguckt. Was soll ich sagen… Wenn ich sehe, wie sich unsere Parlamentarier auf ihren Sitzen räkeln oder wie sie mit ihren Handys spielen, geht mir regelmäßig das Messer in der Tasche auf. Dass man mal dem jeweiligen Redner Beachtung schenkt, scheint die Ausnahme zu sein. Glauben die, dass sie unsichtbar sind? Und dann die Mimik der Kanzlerin – eine Mischung aus Toter Hose und Halloween. Seufz!
Ich ging auf Nummer sicher und klebte die Kamera meines Dienstlaptops ab, auch das Mikro schaltete ich aus. Zu oft wird man heutzutage ganz unfreiwillig gefilmt und belauscht. Dem will ich ein wenig entgegenwirken. Es reicht, wenn ich auf ganz normalem Wege für andere sichtbar werde, also im Büro, im Straßenverkehr, im Supermarkt, in der Kneipe. Ich kann die exhibitionistischen Anwandlungen vieler meiner Mitmenschen auf Plattformen wie Facebook, Instagram usw. nicht nachvollziehen. Und natürlich verstehe ich auch nicht jene, die sich diesen ganzen selbstdarstellerischen Schrott reinziehen. Unsere Welt leidet an einer ausufernden Schamlosigkeit! Werbung und neue Medien befördern dies in unüberschaubarem Maße. Menschliche Blödheit trifft auf geniale Technik – eine ungute Kombi.
Nach der Regierungserklärung der Kanzlerin folgte eine parlamentarische Aussprache. Die meisten Redner(innen) unterstützten das rigide Vorgehen. Kritik von AfD und FDP. Aber der Käs war eh gegessen. Ich dokumentierte indes fleißig Tumoren – die Volksseuche Krebs, die mit einem Lockdown nicht einzudämmen wäre. Auch das Virus wird nach dem Lockdown noch existieren. Wir können es nicht zuhause aussitzen. Sobald das öffentliche Leben wieder hochgefahren wird, werden auch die Zahlen wieder steigen. Niemand wagt es, Prognosen für die Zukunft abzugeben. Wird mit einem Impfstoff dieser Corona-Albtraum enden? … Nichts Genaues weiß man nicht.

Ich nahm mir einen Tag Urlaub. Gönne mir ein Verlängertes. Noch mal in die Kneipe gehen in diesem Jahr! Vielleicht auch ins Kino. Der Regen passt ganz gut.


Der Vogel singt noch im Rachen von der Katz`

Langsam kriege ich Angst vor den Chinesen. Die Hongkonger Demokratiebewegung wurde mundtot gemacht. Die Meinungsfreiheit einfach mal so abgeschafft. Jeder Protestler riskiert fortan eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Die Chinesen sind dabei, sich die Welt zu kaufen und hernach nach ihren Ideen zu unterjochen.
Totalitäre Staaten befinden sich im Aufwind (so kommt es mir vor). Die alten Demokratien schwächeln. Es ist der universelle Kampf zwischen Gut und Böse. Freiheit und Menschenrechte gegen Unfreiheit und Geißelung durch den Staat.
Ich verstehe nicht, warum immer wieder viele Menschen den undemokratischen Ideen und deren Vermittlern folgen. Wie geraten sie in den Bann des Bösen? Wie werden sie zu Erfüllungsgehilfen der totalitären Machthaber? Wie können sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Brüder und Schwestern bespitzeln und verraten? Von welchen Teufeln werden sie geritten? Und komme mir doch bitte niemand damit, dass sie alle dazu gezwungen wurden…
Die derzeitige Corona-Krise zeigt, wie schnell uns grundlegende Freiheitsrechte flöten gehen können. Natürlich eine Ausnahmesituation. Es geht um die Volksgesundheit. Das sollte jedem einleuchten. Also kein Grund zur Sorge?
Ich mache mir jedenfalls Sorgen. Die antidemokratischen Kräfte sind keiner Verschwörungstheorie entlehnt. Die sind so wirklich wie die Chinesen und die Geschehnisse in Hongkong. Die sind so wirklich wie die Machthaber Erdogan und Orban. Europa war noch nie frei von demagogischen Fieslingen, denen die Freiheitsrechte der Bürger ein Dorn im Auge sind. Dumm halt, dass sie an Macht gewinnen (so kommt es mir vor).
Wir Demokraten (winke-winke!) sollten endlich unsere dicken müden Ärsche hochkriegen. Ansonsten wachen wir eines Tages auf und wundern uns über den Albtraum vor unserer Haustür.