„Stirb langsam 4.0“, RTL 2, 20 Uhr 15
auch ich schaute mir manchen Schrott an – es gibt schlechteren
„Stirb langsam 4.0“, RTL 2, 20 Uhr 15
auch ich schaute mir manchen Schrott an – es gibt schlechteren
brasko und der weihnachtsmann
nachdem ich den platten am hinterrad meines fahrrads repariert hatte, setzte ich mich mit einem bier an meinen computer. keine neuen nachrichten. ich wunderte mich nicht. es war heiligabend. die meisten menschen versanken an diesem datum endgültig in der trostlosigkeit ihres daseins. und das schöne dabei war: sie merkten nichts davon. ich hatte nichts anderes vor als an anderen tagen. ich legte „jimi hendrix in woodstock“ auf und versuchte zu entspannen.
das läuten des telefons ließ mich hochfahren. meine hand glitt aus der hose und griff sich den hörer.
„brasko.“
„guten tag, mr. brasko, hier ist der weihnachtsmann. ich benötige ihre hilfe.“
„schön, um was geht es denn? vermissen sie ihre elche?“
„nein, ich erhalte morddrohungen.“
„ich dachte, sie sind immun gegenüber irdischem peanuts.“
„ich kriege immer diese anrufe auf meinem handy, und eine verstellte stimme flüstert: weihnachtsmann, das war ihr letztes weihnachten …
mr. brasko, sie machen sich ein falsches bild von mir. wenn ich auf die erde komme, bin ich sterblich wie jeder mensch. und heute ist heilig abend.“
„ich verstehe, mr. weihnachtsmann. haben sie noch einen anderen namen? verdächtigen sie jemanden? halten sie mich für blöd?“
„sie können auch claus zu mir sagen. nein, ich habe keinen verdacht. bitte, helfen sie mir aus der klemme.“
„das ist ziemlich knapp, claus. die einzige möglichkeit , die ich sehe, – dass ich sie heute abend als leibwächter auf ihrer tour begleite.“
wir machten also treffpunkt und uhrzeit fest. der weihnachtsmann legte auf, und ich besann mich auf die beschäftigung, bei der ich gestört worden war. ich hatte noch ein paar stunden zeit, mir gedanken über diesen fall zu machen. ich glaube nicht an den weihnachtsmann. offensichtlich wollte mich jemand gewaltig verarschen. aber meine neugierde war geweckt, und ich hatte zum schein den auftrag angenommen. wer steckte dahinter?
es dämmerte. die kälte hielt sich wenige grad über dem gefrierpunkt, und der schnee kroch zurück wie das meer bei ebbe. dieser claus klang reichlich schwul, und ich überlegte, ob ich die stimme kannte. ich hatte keine idee. mir schoß urplötzlich ein bild in den kopf: ein hund, der wie wahnsinnig im kreise wirbelnd seinen schwanz verfolgt … dann fiel mir die flasche johnny walker im kühlschrank ein, und ich wusste, was zu tun war.
wir trafen uns beim griechen. claus wartete schon. er trug einen roten anzug und war glattrasiert.
„guten abend, mr brasko.“
„sie sind also der weihnachtsmann? ich habe sie mir ganz anders vorgestellt.“
„wissen sie, ich möchte nicht erkannt werden. außerdem gehen auch wir mit der zeit, hoho.“
ich betrachtete den weihnachtsmann eingehender und versuchte ihn mir mit einem weißen rauschebart vorzustellen. es klappte nicht. er sah aus wie ein in die jahre gekommener homo.
„gehen wir“, sagte er, „ruprecht wartet schon.“
vor der tür parkte eine überlange, dunkle limousine.
„der schlitten fiel mir vorhin gar nicht auf“, sagte ich.
und claus antwortete, während er mir die hintertür aufhielt: „ruprecht flog ein paar runden.“
„ich verstehe“, säuselte ich und versank in den lederpolstern der rückbank. claus stieg zu ruprecht auf den beifahrersitz. dann starteten wir durch.
wir landeten vor einem night club.
„was ist mit den geschenken“, fragte ich blöde.
„seitdem sich die menschen gegenseitig beschenken, machen wir uns `nen geilen abend.“ claus lachte sein weihnachtsmannlachen: „hohoho.“
„ich verstehe.“
wir stiegen aus und betraten die bar. eine schwulenbar. naja, besser, als zuhause abzustürzen, dachte ich. es ging in dem schuppen hoch her, und ich hatte mühe, claus vor den allseitigen annäherungsversuchen zu schützen. claus und ruprecht tanzten ausgeflippt, umarmten sich leidenschaftlich und schoben sich gegenseitig ihre rosaroten lappen in den rachen. mein gott, dachte ich, warum läßt du das zu? plötzlich zerriß ein schuß den tosenden lärm. claus plumpste wie eine puppe rücklings auf die glitzernde tanzfläche. ich stürzte zu ihm und stützte seinen kopf, während augenblicklich totenstille im raum herrschte. blut rann aus seinem mir zugeneigten mundwinkel.
„claus“, raunte ich dem sterbenden zu, „ sie erzählten mir nicht alles.“
„ja“, blubberte claus in meinen armen.
„ wie sollte ich sie in dieser bar beschützen? hier hat, glaube ich, jeder ein motiv.“
ich blickte in die meute der betreten dreinblickenden umstehenden. ruprecht stand aschfahl zwischen ihnen.
„danke, mr. brasko“, hauchte claus, bevor er den löffel abgab. bis in alle ewigkeit.
ruprecht und ich bestiegen eilig den vorm eingang geparkten schlitten. während ruprecht startete, warf ich einen blick zurück auf die leuchtschrift, und ich las: „santa claus“.
„was wird nun aus weihnachten?“ fragte ich ruprecht.
„das war das letzte weihnachten“, sagte er bleich, „aber eigentlich ist weihnachten schon lange tot …“
„ja, das ist mein gedanke. es musste so kommen. jetzt gibt es nicht mal mehr den weihnachtsmann. warum vögelte er auch so willenlos durch die gegend?“
„mr. brasko, wo soll ich sie absetzen?“
„zuhause“, seufzte ich, „da wartet noch eine halbe flasche johnny walker auf mich.“
(02.04.2007)
Das Greisendasein bei Pflegebedürftigkeit bedeutet in unserer Gesellschaft Lebenserhaltung. Dabei verdienen Pflegeheime, Ärzte, Apotheken, Sanitätshäuser und die Pharmaindustrie. Wir haben alles, um einen alten, bettlägerigen Menschen am Leben zu erhalten (ob er das nun will, oder nicht). Er wird auf Wechseldruckmatratzen gelagert und per Magensonde ernährt. Wir dokumentieren jeden Furz und jeden Pickel. Die Ärzte verschreiben fleißig, und die Apotheken liefern (unfassbar, was es alles an Mittelchen gibt). Natürlich sind viele Salben und Medikamente krankheitsbedingt notwendig, doch ich wage die These, dass die meisten bestenfalls Placeboeffekte aufweisen (dummerweise mit echten Nebenwirkung für den Patienten).
Das Verschreiben und die Anwendung vieler Mittelchen lenkt von der Hilflosigkeit der Pflegenden und Ärzte ab – und ist insofern ein Placebo für alle Beteiligten! Was Pharmaprodukte nämlich nicht leisten können, ist den Ersatz sozialer Zuwendung, also den marktwirtschaftlichen Faktor Mensch. Ein Mensch braucht Zeit, und Zeit ist Geld. Es ist billiger, einen Menschen „schlafen“ zu legen, als sich um ihn zu kümmern. Das ist die Krux.
Dem Altenpfleger macht man weis, dass es ganz normal ist, wenn er morgens innerhalb von zwei Stunden acht Bewohner waschen und ankleiden muss, von der anfallenden Behandlungspflege ganz abgesehen. Man sagt dem Altenpfleger, dass er den Beruf verfehlt hat, wenn er diese Abfertigung in Frage stellt (… wurde mir von meiner PDL auf einer Betriebsfeier gesagt, als ich meine Gedanken frei äußerte).
Ich mache dem Altenpfleger keinen Vorwurf, der irgendwann unter den gegebenen gesellschaftlichen und betrieblichen Umständen kapituliert und eine Wischiwaschi-Pflege abliefert, die mit seinem Berufsethos eigentlich nicht mehr zu vereinbaren ist. Ständig leben wir Pflegenden in einer schwer erträglichen Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
In den Pflegebetten liegen Menschen und nicht Puppen oder Tiere…, auch keine Babys/Kleinkinder – sondern alte, sehr eingeschränkte und dahinsiechende Menschen, die es verdient haben, ihre letzten Tage in Würde zu verbringen. In einem dieser Betten könntest DU eines Tages liegen – überlege ich mir oft, wenn ich nachts die Zimmer abgehe, Windeln wechsele, Hintern abputze, Menschen hin- und herwälze, Sondennahrungen ab- und anhänge … Ich komme menschlich sehr schnell an die Grenzen meiner Belastbarkeit und kompensiere das durch Routine – doch blind für das, was ich sehe und erlebe, will ich nie werden!
Wir erhalten die Menschen am Leben mit Antibiotika und Sondennahrung und sehen dabei nicht, dass wir die seelische Gesundheit total vernachlässigen. Dafür ist scheinbar niemand zuständig.
(30.09.2007)