Es war gestern und ist doch heute (29)

Langsam ersaufen

Im Regen ertrinken mit Kevin Coyne
Im Ohr
Von einer Schneewalze erfasst werden
Und Robert Redford im Rollkragenpullover
Sehen

Ein Erdenbürger fand den Tod in einer
Müllpresse
Den Zeitungsausschnitt pinnte ich mir
An die Wand
Da fällt mir der Film „Magnolia“ ein
In dem es in einer Szene Kröten regnet
Ein starker Film
Mit Tom Cruise mal anders

Herrjeh, den letzten Satz streiche ich
Der hört sich beschissen an
Stattdessen
Mit David Bowie ins All driften
Ohne die Chance auf Rückkehr

Ein Stier nimmt mich auf die Hörner
Und Hemingway grinst mich
An

Wenn ich doch dieses nervöse Zucken
Des linken Augenlids nicht hätte
Gott – die Nerven!

Warum kommt mir jetzt Didi Hallervorden in den Sinn?
Dieser Gedanke sprengt das ganze Gedicht

Dann doch lieber mit Reinhold Messmer
Auf den Spuren des Yeti
Und wenn die Luft zu dünn wird, kriege ich eine
Mund und zu Mund-Beatmung
Mit echten Barthaaren

Scheiße – ich sehe Bruce Willis
Wie er als Weltraumpirat Hildegard (meine Liebe) begattet
Ich stecke in meinem Raumanzug und pendel
Da draußen
Herum
Mal bin ich im Blickfeld
Dann verschwunden
Ich hänge an der Nabelschnur, und plötzlich ist am anderen
Ende
Johannes Rau, der Bundespräsident
Im ersten Moment habe ich Angst, aber dann
Beruhigt mich sein Lächeln

Sich in die Wüste verabschieden ohne einen Tropfen
Wasser aber mit einem neuen Satz Batterien
Für den Walkman
Und wisst ihr, was ich auflege?
Ton, Steine, Scherben
Tom, der Wirt des Kakadu, erhängte sich im Nebenraum seiner Kneipe
Während Rio Reiser…

Nee, ich pack`s nicht mehr
Ich werde eine Runde Weinen gehen
Und dann zurückkommen


(ca. 2000)

Es war gestern und ist doch heute (3)

Er hatte einen Wahn. Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer.
„Sag mir, dass ich was ganz Besonderes bin!“ rief er in die Muschel.
Er spazierte in den Wald, in menschenleere Zonen; er schaute zu den Wipfeln empor und schrie wie ein Irrsinniger.
Wenn er in der Kneipe saß, verwickelte er die Bedienung in ein Gespräch. Er hörte sich reden und wartete auf einen Satz der Anerkennung.
Er schrieb Gedichte, die in seinem Regal verstaubten. Die Gedichte zeugten von seiner Lethargie und seinem Wahn. Er hatte seit Jahren keine Frau geliebt. Er strengte sich nicht an auf dem Gebiet. Außerdem war er außer Form.
Er lebte zurückgezogen und war nicht gerade glücklich, aber auch nicht unglücklich damit. Er wollte schon immer was ganz Besonderes sein.
Er fühlte sich wie eine leere Batterie, die von Elektrizität träumt.
Die Post, die er erhielt, und die Telefonanrufe waren dienstlich.
Manchmal meldeten sich auch seine Eltern. Er mochte seine Eltern, aber er war zu sehr in seinem Wahn, so dass ihm niemand wirklich wichtig war.
Er fragte nach dem Sinn des Ganzen und kam dabei nicht weiter.
Er wurde älter. Er wurde vorsichtiger. Darum schenkte er sich nicht mehr so viel nach, wenn er trank.
Er konnte seinen Wahn nicht loswerden, um einfach zu leben, wie er die Anderen leben sah. Er war nicht gerade glücklich, aber auch nicht unglücklich damit.

(01.10.2000)