Es war gestern und ist doch heute (15)

Abbruch

Ich las Henry Millers „Nexus“ während der Alkoholtherapie
Und drückte mich vor dem Schneeschippen
Ich las Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“
Mein Zimmergenosse heulte, weil seine
Frau ihn verlassen wollte
Die Therapie war seine letzte Chance
Als wir nach Wochen das erste Mal für wenige
Stunden Ausgang hatten, wurde er
Rückfällig
Er vertraute sich mir an
Ich konnte ihn nicht verraten
Lieber ging ich selbst
Die Therapeutin war eiskalt
Ich hoffe, er hielt durch
Er weinte, als ich meine Sachen packte
Nach 6 Stunden Zugfahrt erwartete
Mich eine Frau
Mit allem Drum und Dran
Fürs Erste war das genug

(ca. 1994)

Es war gestern und ist doch heute (4)

Weihnachten 1994

Die Eltern bringen mir eine Kiste Fressalien und einen Fuffi in einem Briefumschlag. Ich lege die sentimentalste Alkoholbeichte meines Lebens ab, und was alles dran hängt.
Wir lassen dich nicht hängen, sagen die Eltern, und schauen betreten. Ich will sie wieder aufheitern mit meiner alkoholverschleierten Durchsicht.
Wie wirklich ist die Sentimentalität? Warum gibt es Plastikweihnachtsbäume?
Ich langweile mich mit mir selbst. Die Klamotten stinken nach Kneipe, Schweiß und Urin – es fühlt sich nach Verwesung an. Der nahe Tod ist wie ein leer stehendes Haus mit wild wucherndem Vorgarten.
Meine Nachbarin ist nicht da. Es herrscht Mucksmäuschenstille. Feiertagsgediegenheit.
Seit Stunden höre ich Rockmusik. So lässt sich der erste Weihnachtsfeiertag an, mit einem Fuffi im Briefumschlag und dem Rest von 10 Dosen Bier.
Armin speist mit Eltern und Großeltern. Unerreichbar. Alles Gute, alter Freund!
Ich muss mich irgendwie loseisen. Ich bin wie festgefroren.