Es kommt, wie`s kommt

Ich kann die Dinge weder vor- noch zurückdrehen. Unglaublich, wie lange gewisse Dinge brauchen. Ich ließ mir immer schon viel Zeit. Aber langsam schrumpft das Zeitpotential, das mir bleibt. Also in diesem Leben mit dieser Identität. Ich will nicht alt werden. Jedenfalls nicht so alt wie die Alten, die ich als Altenpfleger betreute. Auf der anderen Seite halte ich es für kindisch, sich dem Altern zu verweigern. Da haben wiedermal nur die Blender was davon. Diese Arschgeigen, die jede Gelegenheit beim Schopfe packen, um aus den Nöten der Menschen Reibach zu machen.
Ich kann mein Leben weder vor- noch zurückdrehen. Vordrehen wäre auch dämlich. Aber ich wünschte mir doch, dass die Wüstenstrecken kürzer ausfielen. Besonders in der Liebe. Vielleicht hätte ich besser haushalten sollen mit dem Liebesglück. Nichts bekommen wir für die Ewigkeit. Nicht nur die physischen Ressourcen schwinden mit der Zeit. Auch unser Glück wird immer knapper. So manches müssen wir beerdigen, bevor wir selbst in die Grube fahren.
Es fällt mir schwer, den Dingen ihren Lauf zu lassen, wenn die Zeit gefühlt immer schneller vergeht. Nicht dass ich ein besonders ungeduldiger Mensch wäre. Ich bin nicht gerade scharf auf den Knochenmann. Noch bin ich zu sehr dem Fleischlichen zugetan…
Ab und zu halte ich Zwiesprache mit dem Tod, was dann ähnlich abläuft wie eines dieser unsäglichen Mitarbeitergespräche (erst kürzlich wieder eins gehabt). Ich bin danach nicht klüger als zuvor, aber eineinhalb Stunden älter. Warum ich mir das antue? Das wüsste ich auch zu gern. Vielleicht habe ich einen Hang zum Makabren. Natürlich weiß ich, dass der Tod auch nur seinen Job macht. Darum fragte ich ihn, ob er in der Gewerkschaft wäre, schließlich gäbe es inzwischen fast 8 Milliarden Seelen auf der Erde, und er müsse das wie eh und je ganz alleine stemmen. Es vergingen ein paar Momente, bis er mir trocken antwortete: „Ich bin selbstständig.“
„Dann läuft das Geschäft ja prima.“
„Ja, war schon mal schlechter.“
„Das freut mich.“
„Danke.“
„Ich glaube aber nicht, dass das mit dem Wachstum ewig so weiter geht.“
„Darauf habe ich keinen Einfluss.“

Fast tut mir der Tod nach solchen Gesprächen leid. Er hat sich auf eine Sisyphos-Arbeit eingelassen – ich wollte nicht mit ihm tauschen. Okay, auch Tumordokumentation hat was von Sisyphos, aber ich muss das nicht ewig machen. Kommt mir manchmal vor, als säße ich im Vorzimmer des Todes. Man könnte fast sagen, dass der Tod mein eigentlicher Arbeitgeber ist. Heute wie damals als Altenpfleger.



9 Gedanken zu “Es kommt, wie`s kommt

  1. Ich bewundere dich dafür, dass du diese Arbeit machst! Ich könnte das nicht! Ich hätte Angst, dass ich alleine beim Schreiben darüber einen Tumor bekomme. Deshalb habe ich unter anderem bei meinem vorherigen Arbeitgeber gekündigt..weil die Elektronikteile auch an Rüstungskonzerne lieferten. Oft dachte ich an die Frauen und Kinder, die dadurch sterben müssen. Klar, das ist alles weit hergeholt, aber es lastete auf meinem ach so weichen Herz.
    Und ja, es kommt wie’s kommt… auch in der Liebe. Oder auch nicht.

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  2. Okay. ich wollte nur nett sein. Meine ehrliche Antwort ist, dass es nicht wirklich etwas gegen Krebs gibt. Und es wird auch in den nächsten Jahrzehnten nichts geben. Eine Krankheit hat immer eine Ursache, sehr oft psychisch. Und wenn dieses Problem nicht gelöst ist, wirken auch die Medikamente nicht. Meist machen es Chemo und Bestrahlungen noch viel schlimmer und es wäre im Nachhinein besser gewesen einfach das Leben nochmal zu genießen anstatt unnütze Zeit im Krankenhaus zu vertrödeln. Diese Antwort will aber wieder niemand lesen. Ich denke halt anders.

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    • ich glaube nicht, dass es mit den psychischen ursachen getan ist… was krankheiten, insbesondere krebs angeht.
      überlege doch mal, wie viele kinder krebserkrankungen haben – die noch relativ unschuldig sind. vieles mag psychosomatisch sein, aber das ist nur ein teil der wahrheit.
      dass manche behandlungen nicht unbedingt sinnvoll sind, will ich gar nicht verneinen. auch dazu wird geforscht. die schulmedizin macht viele fehler.
      krebs ist nicht gleich krebs. es geht um die bestmögliche behandlung für den patienten, dass er diese wahrnehmen kann, egal ob er in berlin, münchen oder flensburg wohnt.
      manch bösartiger krebs ist kaum heilbar und kann nur palliativ behandelt werden. es ist auch immer eine sache, wann man den krebs erkennt, ob er bereits streute… bei vielen tumoren gab es in den letzten jahrzehnten fortschritte, gerade in der strahlentherapie. krebs muss nicht unheilbar sein. das durchschnittliche überleben ist um viele jahre gestiegen. natürlich soll sich niemand durch sinnlose behandlungen quälen. auch ist es eine frage des alters, ob eine behandlung sinn macht, je nachdem wie aggressiv der tumor ist.
      krebs ist keine so einfache materie… um mit simplen erklärungen und antworten zu kommen.
      wenn ich wüsste, dass ich unheilbar krebs habe – mit behandlung noch vielleicht ein jahr und ohne behandlung vielleicht ein halbes jahr zu leben hätte… hm, – ich würde möglicherweise wie du denken und mir lieber noch ein paar monate lang eine geile zeit machen, solange ich körperlich dazu in der lage bin.
      sowieso wäre ich ein ziemlich skeptischer patient.

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      • Ja! und ja, ich kenne auch ein paar Personen, die Krebs hatten und die geheilt wurden, bzw. bei denen der Krebs zum Stillstand kam. Nennt man das verkapselt? Ich kenne mich in diesem Thema nicht aus. Auch in meiner Familie gab es Krebsopfer. Forschung ist auf jeden Fall gut und ja, es ist schrecklich wenn Kinder Krebs haben. Ein sehr schwieriges Thema. Auch wenn ich mich jetzt wiederhole, Hut ab vor den Menschen, die die Welt hier besser machen möchten.

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      • Du machst das ja auch mit deinem Engagement für Yoga.
        Jeder macht, was er will und kann.
        In meiner Welt gibt es keine guten und schlechten Menschen.
        Krebs ist besonders dann gefährlich, wenn der Tumor invasiv ist, weil dann Metastasen in anderen Organen entstehen können. Was du als abgekapselt bezeichnest nennen wir in situ. Die Tumorzellen können dann nicht streuen, weil sie noch nicht die Blut- und Lymphgefäße erreichen.

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      • Zum Verständnis muss ich hinzufügen: Ein Patient gilt als „geheilt“, wenn kein Tumorgewebe mehr gefunden wird.
        Leider kann es trotzdem zu sogenannten Rezidiven kommen. Darum werden die Patienten in regelmäßigen Zeitabständen zur Nachsorge gebeten.

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